Medebach. . Im Prozess gegen eine Jugendamtsmitarbeiterin kamen Ärzte und Psychologen zu Wort. Beide Kinder hatten massive Ernährungsdefizite.

  • Dritter Verhandlungstag im Prozess gegen Jugendamtsmitarbeiterin
  • Abgemagerter Zustand war bekleidet schwer zu sehen
  • Psychologen sprechen der Mutter jede Erziehungsfähigkeit ab

Der Kleine war organisch kerngesund. Gestorben ist Anakin an hochgradiger Unterversorgung. Nur 6550 Gramm wog der Zweijährige, als Dr. Ralf Zweihoff (59), Leitender Arzt der Rechtsmedizin in Dortmund, seine Leiche im Februar 2014 untersucht. Zehn bis zwölf Kilo wären altersgemäß. Im Magen findet der Fachmann gerade mal acht Milliliter Inhalt. „Das Kind hat von seinen Körperreserven gezehrt“, sagt der Rechtsmediziner. Es ist verhungert und verdurstet.

Zahlreiche Warnhinweise

Dritter Verhandlungstag vor dem Medebacher Amtsgericht gegen eine 29-jährige Mitarbeiterin des HSK-Jugendamtes. Die Sozialarbeiterin ist wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung angeklagt. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr vor, eine Großfamilie nicht engmaschig genug kontrolliert zu haben. Die Mutter von inzwischen zehn Kindern war aus dem Vogtlandkreis in den Raum Winterberg gezogen. Das sächsische Jugendamt hatte die Familie mit zahlreichen Warnhinweisen an die HSK-Kollegen überwiesen.Der Junge starb im Februar 2014, seine jüngere Schwester war ebenfalls mangelversorgt, konnte aber gerettet werden. Gegen die Mutter der Kinder wird im September in Arnsberg verhandelt.

Junge in erbärmlichem Zustand

Erschreckend deutlich schildert der Gerichtsmediziner gestern den schlechten Zustand des verstorbenen Jungen. Die Thymusdrüse - ein Organ, das mit für das Immunsystem eines Menschen zuständig ist und bei der Geburt 12 Gramm wiegt - hatte bei Anakin noch ein Gewicht von zwei Gramm. Für einen Zweijährigen wären 35 Gramm normal gewesen. Der Rechtsmediziner macht deutlich, dass ein Kind eigentlich immer Nahrung zu sich nimmt. „Wir hatten einen Fall, wo Kinder tagelang allein gelassen wurden; in ihren Mägen haben wir Tapete gefunden, die sie von den Wänden gerissen und gegessen hatten.“ Optisch auffällig, so Dr. Zweihoff, seien die tiefen Augenhöhlen des Jungen gewesen. Die stark abgezeichneten Knochenstrukturen hätte man aber vermutlich erst im entkleideten Zustand sehen können, so der Fachmann.

War der Zustand der Kinder für einen Laien erkennbar?

Auch gestern versucht das Gericht zu klären, wann und inwieweit einem ärztlichen Laien der erbarmungswürdige Zustand der Kinder hätte auffallen müssen. Dr. Heymut Omra, Kinderfacharzt an der Uniklinik Münster, macht deutlich, dass die Unterversorgung des Jungen nicht von Heute auf Morgen eingetreten sei. Im Februar 2013 war Anakin im Klinikum Obergöltzsch (Sachsen) behandelt worden. Damals brachte er 8110 Gramm auf die Waage. Ein Jahr später waren es 1560 Gramm weniger. „Hätte es zwei Monate vor dem Tod des Jungen eine Kontrolle gegeben, wäre der bedrohliche Zustand mit Sicherheit aufgefallen.“ Bei dem Mädchen möchte sich der Mediziner ungern festlegen. Der Zustand des Mädchens sei vermutlich drei Wochen vor der Einlieferung ins Krankenhaus „auffällig, aber nicht gravierend“ gewesen.

Kontrollen zwingend vorgeschlagen

Die Diplom-Psychologen Hans Bierbrauer und Eva Pütz lassen kaum ein gutes Haar an der Arbeit des HSK-Jugendamtes. Der Vogtlandkreis habe mehr als deutlich gemacht, dass „beratend und unterstützend“ in der Familie wenig auszurichten sei und zwingend Kontrollen vorgeschlagen. Die Mutter habe lediglich eine Scheinbereitschaft zur Kooperation gezeigt. Sie sei „erziehungsunfähig“; allein schon anhand der Vorgeschichte wäre es nötig gewesen, sich auch die anderen Kinder anzuschauen. Bierbrauer: „Wenn ich so eine prekäre Gefährdungsabschätzung habe, ist es üblich, für alle Kinder eine pädriatrische Diagnostik anzufordern. Das kenne ich so aus meiner 30-jährigen Tätigkeit.“

Verteidiger bestreitet Vorwurf

Verteidiger Thomas Mörsberger wehrt sich nicht zum ersten Mal gegen den Vorwurf, sein Mandantin habe nicht intensiv genug hingeschaut. Es sei schon oft vorgekommen, dass eine Familie nach einem Umzug in einen anderen Kreis mit dem nächsten Jugendamt viel besser klar gekommen sei. Das hänge oft auch von Personen ab. „Eine Familie darf nicht ihrem Schatten hinterherlaufen.“ Insofern könne man auch nie sagen, das andere Jugendamt habe besser gearbeitet. „Meine Mandantin hat ihre Pflichten korrekt erfüllt.“ Der Prozess wird am Donnerstag fortgesetzt; je nach Länge der Plädoyers gibt es dann auch ein Urteil.

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