Medebach. . Auf der Anklagebank des Amtsgericht Medebach sitzt seit heute eine Sozialarbeiterin des HSK. Trifft sie eine Mitschuld am Tod eines Jungen (2)?

Hat eine 28-jährige Sozialarbeiterin eine Mitschuld am Tod eines Jungen und am Fast-Tod eines kleinen Mädchens? Ist sie ihren Kontroll-Pflichten in einer sozial-schwachen Familie im Raum Winterberg ausreichend nachgekommen? Diese Fragen versucht das Amtsgericht Medebach ab heute in vier Verhandlungstagen zu klären. Auf der Anklagebank sitzt eine Mitarbeiterin des HSK-Jugendamtes, der die Staatsanwaltschaft fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung vorwirft.

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Rückblende, 24. Februar 2014. Ein Zweijähriger stirbt: Anakin. Er verhungert und verdurstet. Einen Tag vorher: Seine neun Monate alte Schwester ist stark unterernährt: Serenity Seraphina. Sie springt dem Tod in letzter Sekunde von der Schippe. Im Januar 2016 muss sich die Mutter der Kinder vor Gericht verantworten. Fahrlässige Tötung, fahrlässige Körperverletzung. Doch inzwischen geht die Anklage von mehr aus: Körperverletzung und Körperverletzung mit Todesfolge unter bedingtem Vorsatz. Die inzwischen zehnfache Mutter (39) muss deswegen ab September vor dem Schwurgericht Arnsberg erscheinen. Im Laufe des Prozesses vor eineinhalb Jahren in Medebach rückt aber immer mehr das Jugendamt des HSK in ein schlechtes Licht – hier ganz speziell jene heute 28-jährige Mitarbeiterin, die sich jetzt unter großem Blitzlichtgewitter einen Weg in den Saal 15 des Amtsgerichtes bahnen muss.

Anklage für Verteidiger Mörsberger nicht schlüssig

Das Medienaufgebot ist groß: Vor 14 Monaten saßen hier unsere Tageszeitung, eine Presseagentur, ein Radio- und ein Fernsehsender. Gerade einmal 30 Zuschauerplätze hat das kleine Amtsgericht. Heute ist der Saal proppenvoll.

Interview mit Dr. Johannes Kamp

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    Am ersten Verhandlungstag hat der Verteidiger Thomas Mörsberger erklärt, die Anklage gegen seine Mandantin sei nicht schlüssig. "Die rechtliche Grundlage für eine Anklage ist sehr vage." Der Anwalt sagte, die Anklage enthalte nur Einschätzungen. Es sei überhaupt nicht erkennbar, worin genau die Verletzung einer Rechtspflicht bestehe. Seine Mandantin sei sehr tapfer und sehe in dem Prozess die Chance, diese nicht gerechtfertigten Anschuldigungen aus der Welt zu schaffen.

    Sozialarbeiterin selbst in Pflegefamilie aufgewachsen

    Angeblich hatte die 28-jährige Sozialarbeiterin, die übrigens selbst in einer Pflegefamilie groß geworden ist, die Kontrolle der beiden Kinder an eine andere Abteilung des Jugendamtes weiter geleitet. Diese zwei Kinderschutz-Experten hätten eine Familienhebamme installiert, die nach vier Wochen attestiert habe, das kleine Mädchen habe an Gewicht zugenommen. Die Angeklagte hatte erst später wieder Kontakt zu der Familie - allerdings mit einem anderen Kind der zehnfachen Mutter. Richter Fischer: "Wenn das so gewesen sein sollte, müssen hier zwei andere Damen auf der Anklagebank sitzen."

    Richter Ralf Fischer verlas noch einmal einen Bericht des Jugendamts aus dem Vogtlandkreis, wo die Großfamilie vor ihrem Umzug in den Raum Winterberg gelebt hatte. Darin war sehr eindringlich deutlich gemacht worden, dass die Familie dringend Unterstützung braucht. Sogar von Trinkprotokollen war die Rede.

    Dienst "gut und fachlich sauber" verrichtet

    Als Zeuge ausgesagt hat auch der Leiter des HSK-Jugendamtes. Er erklärte, die Mitarbeiterin habe ihren Dienst "gut und fachlich sauber" verrichtet. Das Schreiben vom Vogtlandkreis habe sich vornehmlich auf die Situation eines Kleinkindes bezogen. Hier habe das HSK-Jugendamt der Mutter vielfältige Hilfen angeboten. Der 56-jährige erklärte aber auch, dass es mitunter ein schwieriger Spagat sei, das Vertrauen einer solchen Familie zu gewinnen. Man könne sich nicht als Generalkontrolleur aufspielen. Die Zahl der Kindeswohlgefährdungen habe sich kreisweit von 50 Fällen im Jahr 2009 bis 2016 mehr als verfünffacht. "Wir alle bedauern diesen Fall sehr und sind tief betroffen."

    Nach dem Einsatz der Familienhebamme sei die Rückmeldung gekommen, die Mutter komme zurecht, der Kühlschrank sei voll, es habe keinen Anlass gegeben, massiver vorzugehen. Im Nachhinein betrachtet, ein fataler Irrtum.

    Am 27. April wird die Verhandlung fortgesetzt.