Medebach. . Kamera an Kamera, Blitzlichtgewitter, Gedränge. So einen Medienauflauf hat es im Sitzungssaal 15 des Medebacher Amtsgerichtes noch nicht gegeben.
Alle 30 Stühle sind besetzt, als um 9.30 Uhr die Angeklagte mit ihrem Verteidiger den Raum betritt. Sie versteckt sich nicht hinter Aktendeckeln, hält keine Hand oder einen Schal vors Gesicht. Blass, aber selbstbewusst geht sie zu ihrem Platz. „Meine Mandantin ist tapfer. Sie möchte damit auch zum Ausdruck bringen, dass die gegen sie erhobenen Vorwürfe nicht gerechtfertigt sind“, sagt ihr Verteidiger Thomas Mörsberger wenig später.
Kamerateams und Agenturen aus ganz Deutschland
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In welchem Gebäude denn die Sitzung stattfinde? Wo genau die Pressestelle und wer denn zuständiger Pressesprecher sei? Diese Fragen hat der Direktor des Amtsgerichtes, Ralf Fischer, in den vergangenen Tagen mehrfach beantworten müssen. Kamerateams und Agenturen aus ganz Deutschland haben nachgefragt. Natürlich gibt es nur einen Sitzungssaal, nur ein Gebäude und normalerweise ist der Amtsgerichtsdirektor auch für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Doch da er zugleich die Sitzung leitet, hat er diese Aufgabe diesmal abgetreten.
Aus Arnsberg ist Richter Dr. Johannes Kamp angereist. Er ist Pressesprecher am Landgericht und zum ersten Mal überhaupt in dem Medebacher Justizgebäude. Immer wieder wird er in eine Ecke des Gerichtsflures gebeten, um ein Statement zur Verhandlung abzugeben. Es sei ein kompliziertes und komplexes Verfahren und es gehe darum, ob die Gefährdung der Kinder erkennbar gewesen sei. Auch vom Staatsanwalt Klaus Neulken oder dem Verteidiger wollen die Reporter eine Einschätzung. Aber es gibt: „Keinen Kommentar!“
Zeugen müssen viel Geduld mitbringen
Die Zeugen müssen viel Geduld mitbringen, denn das Verfahren kommt zeitlich ins Schleppen. Die Angeklagte, die selbst in einer Pflegefamilie groß geworden ist, braucht Zeit, um Arbeitsabläufe zu erklären. Ihr Chef erläutert, dass sich die Zahl der Kindeswohlgefährdungen von 50 Fällen 2009 bis 2016 mehr als verfünffacht hat. Er berichtet auch, dass man sich nicht einfach alle Kinder einer Familie anschauen dürfe, wenn nur für ein Kind ein Gefährdungsverdacht bestehe. Von Vertrauensbildung und auch von rechtlichen Problemen spricht er.
Draußen auf dem Flur wartet eine 50-jährige Sozialarbeiterin aus dem Vogtlandkreis als Zeugin. Dort hat die Familie mit neun Kindern vorher gewohnt, bevor sie aus dem Raum Diepholz dorthin gezogen ist. 440 Kilometer hat sie heute zurückgelegt, um am Amtsgericht auszusagen. „Ich glaube, wir waren der Mutter auf Dauer sehr lästig. Sie hat uns nicht gerne reingelassen, aber wir sind hartnäckig geblieben.“
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Wie oft der Vogtlandkreis die Familie kontrolliert hat, will der Richter bis zum nächsten Sitzungstermin in Erfahrung bringen. Dem HSK-Jugendamt ist dies offenbar nicht allzu oft gelungen.
Mutter des toten Kindes kommt nicht: Ordnungsgeld
Kurz nach dem Prozessauftakt haben die meisten Kameraleute das Gericht schon wieder verlassen. Einige wenige sind geblieben, weil sie hoffen, die inzwischen zehnfache Mutter noch aufs Bild zu bekommen, die als Zeugin geladen ist. Doch die erscheint nicht. Ihr neuer Verteidiger aus München hat per Telefon wissen lassen, dass seine Mandantin vom Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch mache. Da das aber nicht schriftlich vorliegt, verhängt das Gericht ein Ordnungsgeld von 100 Euro oder ersatzweise vier Tage Haft.
Nach fünf Stunden ist der erste Prozesstag vorbei. Ganz ohne Kameras und Blitzlichter bleibt die zentrale Frage im Raum stehen: Ist die 28-Jährige moralisch und/oder juristisch verantwortlich zu machen?
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