Winterberg/Medebach. Der Tod eines Zweijährigen und die Körperverletzung seiner damals neun Monate alten Schwester werden ein Fall für das Landgericht Arnsberg. Das Amtsgericht Medebach hat den Prozess gestern ans Landgericht verwiesen.

Angeklagt ist eine neunfache Mutter (38) aus dem Raum Winterberg. Sie soll ihren Kindern nicht ausreichend Nahrung und Flüssigkeit gegeben haben. Außerdem wird die Staatsanwaltschaft Arnsberg gegen eine Mitarbeiterin des HSK-Jugendamtes ermitteln.

Vorwurf: Körperverletzung mit Todesfolge

Der Junge verhungerte und verdurstete; das Mädchen konnte in letzter Sekunde gerettet werden. Die Staatsanwaltschaft geht jetzt nicht mehr von einer fahrlässigen Tötung bzw. einer fahrlässigen Körperverletzung aus. Sie unterstellt eine Körperverletzung mit Todesfolge und eine Körperverletzung – beides unter „bedingtem Vorsatz“. Damit endete am Dienstagnachmittag der viertägige Prozess zumindest in Medebach.

Die alleinerziehende Mutter soll die jüngsten ihrer insgesamt neun Kinder nicht ausreichend versorgt haben. Der zweijährige Sohn wog nur noch ein Drittel des Normalgewichtes als er in eine Kinderklinik eingeliefert wurde. Die Ärzte konnten sein Leben nicht mehr retten.

Das kleine Mädchen war ebenfalls in einem erbarmungswürdigen Zustand. Richter Fischer: „Solche Bilder kennt man nur aus schlimmsten Entwicklungsländern.“ Es wog mit neun Monaten nur so viel wie ein Baby bei der Geburt und überlebte im Februar eine eigentlich ungefährliche Magen-Darm-Erkrankung nur knapp. Bei der Pflegemutter nahm das Mädchen von 4,5 auf 15 Kilo zu und das binnen 15 Monaten.

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Das machte am letzten Verhandlungstag vor dem Medebacher Amtsgericht die Pflegemutter aus Eslohe deutlich, zu der das fast verhungerte Kind kurz nach seiner Rettung im Krankenhaus gebracht worden war. Das Mädchen hat sich mittlerweile prächtig entwickelt.

Richter und Staatsanwaltschaft wiederholten am Dienstag die schweren Vorwürfe gegen das Jugendamt. Richter Ralf Fischer: „Die Mitarbeiterin, die ein Auge auf das Wohl der Kinder haben sollte, hat ihre Pflichten grob fahrlässig verletzt. Wäre sie ihren Pflichten nachgekommen, wären der Tod eines Kindes und das Leiden von zwei Kindern mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermeidbar gewesen.“ Staatsanwalt Klaus Neulken bestätigte auf Anfrage unserer Zeitung, dass zunächst gegen die Mitarbeitern ein Verfahren eingeleitet sei. Ob es weitere Verantwortliche gebe, müsse sich zeigen.

Beide Kinder waren stark ausgetrocknet

Auch der damalige Chefarzt der Hüstener Kinderklinik, Dr. Rey, ließ am Dienstag in seiner Zeugenaussage keinen Zweifel aufkommen: Das kleine Mädchen sei außerhalb seiner Mutter förmlich aufgeblüht. Diese habe den schlechten Gesundheitszustand der Kinder sehen müssen. Bei der Einlieferung seien beide Kinder stark ausgetrocknet gewesen. "Die erste Flasche hat das Kind in sich hineingeschlungen", berichtet der Mediziner über das Mädchen.

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Am Dienstag wurde noch einmal deutlich: Das Mädchen, das gerettet werden konnte, entwickelte sich bei seiner Pfegefamilie normal, lernte laufen und sprechen. Dies legt zum wiederholten Mal die Vermutung nahe, dass sich die Mutter einfach nicht um die Kleine und um den verstorbenen Sohn gekümmert habe. Schon das psychiatrische Gutachten hatte im Vorfeld dieser Verhandlung gezeigt, dass die Frau das Geschehen verdrängt habe.

Der Tod des kleinen Sohnes und der Fast-Tod dessen Schwester seien in ihrem Bewusstsein als nicht ursächlich von ihr verschuldete Unglücksereignisse gewertet worden. Trotzdem sei die Frau psychisch nicht krank und schuldfähig.

Jugendamt fand Pflegezustand "in Ordnung"

Unverständlich bleibt: das Jugendamt des Hochsauerlandkreises hatte das kleine Mädchen drei Wochen vor der Einlieferung ins Krankenhaus per Zufall gesehen und den Pflegezustand in einer Checkliste als "in Ordnung" schriftlich festgehalten.
Im Prozess vor dem Landgericht droht der Angeklagten bei einer Verurteilung eine Haftstrafe von mindestens drei Jahren.