Hagen/Halver. Wie der Märkische Kreis einem Landwirt, der immer wieder Ermittler beschäftigt, das Handwerk legen will - es aber bisher nicht schafft.

Die Sache war nicht weniger als eine „ökologische Katastrophe“, wie der Bund für Umwelt und Naturschutz formulierte. Tatort: ein landwirtschaftlicher Betrieb im sauerländischen Halver (Märkischer Kreis), von dessen Gelände erhebliche Mengen Gülle in die nahen Gewässer gelangt sein sollen - zum wiederholten Male. Im September war das. Mehrere Hunderttausend Liter sollen es dieses Mal gewesen sein, die einen kleinen Bach und die Neye-Talsperre im Oberbergischen Kreis verschmutzten. Mehrere Hundert Fische sind nach Angaben der Behörden gestorben.

Knapp vier Monate später ist der Fall, der die Staatsanwaltschaft Dortmund mit ihrer Zentralstelle für die Verfolgung von Umweltkriminalität in NRW beschäftigt, zu einem Katz- und Mausspiel für Fortgeschrittene geworden. Der Landwirt geht weiter seinem Beruf nach - allerdings unter erschwerten Bedingungen, weil er offenkundig unter verschärfter Beobachtung steht. „Ich meine, dass die Behörden vielleicht aufgrund des politischen Drucks mit der einen oder anderen Maßnahme ein wenig über das Ziel hinausschießen“, formuliert Paul Beckmann, der Anwalt des Landwirts.

Hof in Halver: Verstöße gegen die Bauordnung und das Wasserrecht

Der Oberbergische Kreis betrachtet den Hof und den Landwirt vor allem hinsichtlich der Trinkwasserversorgung als dauerhaftes Sicherheitsrisiko. Burkhard Mast-Weisz, Oberbürgermeister der rund 20 Kilometer von Halver entfernt liegenden Stadt Remscheid, sagte dieser Zeitung im September: „Ich mache erstmal niemandem einen Vorwurf, aber ich möchte schon wissen, wie es sein kann, dass solche Dinge wiederholt passieren und wie man als Aufsichtsbehörde mit diesem Landwirt umzugehen gedenkt.“

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Ja, wie denn eigentlich? Der Kreis will dem Landwirt und seinem bisherigen Wirken - so darf man das wohl interpretieren - das Handwerk legen. Aktuell käme dazu , so heißt es vom Kreis, „nur eine allumfassende Nutzungsuntersagung“ nach NRW-Bauordnung in Betracht. Vorab seien aber „mildere Mittel zu verfügen, was seitens des Kreises auch geschehen ist. Dem Landwirt müssen angemessene Fristen gewährt werden, um den ordnungsbehördlichen Forderungen und Auflagen nachzukommen“. Diese Fristen liefen derzeit noch. Daher sei eine Betriebsstilllegung derzeit „nicht umzusetzen“.

Die Neyetalsperre im Oberbergischen Kreis soll durch den Eintrag von Gülle im September verschmutzt worden sein.
Die Neyetalsperre im Oberbergischen Kreis soll durch den Eintrag von Gülle im September verschmutzt worden sein. © www.blossey.eu / FUNKE Foto Service | Hans Blossey

Seit September sind gegen den Landwirt „diverse Ordnungsverfügungen erlassen“ worden, wie der Märkische Kreis auf Nachfrage mitteilt. Wie viele genau, dazu will sich die Behörde nicht äußern. Es handle sich um Verstöße gegen die Bauordnung und das Wasserrecht. „Zwölf Verfahren sind es, die sich mit baurechtswidrigen Zuständen auf dem Hof befassen, und in denen Nutzungsunterlassungen sowie Zwangsgelder angedroht wurden“, sagt Paul Beckmann, der über den Umgang mit seinem Mandanten nicht sehr glücklich ist.

Paul Beckmann, Rechtsanwalt aus Dortmund, vertritt den Landwirt aus Halver-Kotten, der die Ermittlungsbehörden wegen seines Umgangs mit Gülle in Atem hält.

„Wie soll mein Mandant an allen Fronten kämpfen und gleichzeitig die Arbeit erledigen? Sich dauerhaft gegen diese Übermacht durchzusetzen, halte ich für schwierig – völlig unabhängig von der rechtlichen Situation.“

Paul Beckmann
Anwalt des Landwirts aus Halver-Kotten

Seit dem ersten schweren Vorfall 2015, als 1,7 Millionen Liter Gülle in die Neye gelangten, darf der Landwirt ein neu gebautes, riesiges Güllebecken nicht verwenden. Es liegt sogar eine Rückbauverfügung vor, die der 49-Jährige vor dem Verwaltungsgericht Arnsberg beklagt. Ende? Offen. Der Zwischenfall sei Sabotage gewesen, sagt der Landwirt bis heute. Wie es genau dazu kam, konnte das Landgericht Hagen damals nicht klären. Strafrechtlich wurde der Mann freigesprochen, zivilrechtlich aber als Betreiber einer Anlage mit wassergefährdenden Stoffen zu 200.000 Euro Schadenersatz verurteilt. Das Geld muss er noch bezahlen. Sein Anwalt steht in Verhandlungen mit der Gegenseite.

Das Betonbecken, aus dem im Jahre 2015 große Mengen Gülle ausgetreten sind. Dieser darf seitdem nicht betrieben werden und soll sogar zurückgebaut werden. Dagegen klagt der Landwirt aus Halver.
Das Betonbecken, aus dem im Jahre 2015 große Mengen Gülle ausgetreten sind. Dieser darf seitdem nicht betrieben werden und soll sogar zurückgebaut werden. Dagegen klagt der Landwirt aus Halver. © WP | Daniel Berg

Die beiden weiteren Güllebehälter dürfen derzeit ebenfalls nicht betrieben werden. Beide mussten im Oktober leergepumpt werden. Der Märkische Kreis hat Zweifel an der Dichtigkeit und Standsicherheit. Beckmann, der Anwalt, hat Sachverständige beauftragt, die unanfechtbare Fakten schaffen sollen. Denn: Der Kreis hat auch verfügt, dass die Nutzung mehrerer Stallungen nicht möglich sei, wenn die Güllebehälter nicht genutzt werden könnten. Allerdings vergeblich.

Märkischer Kreis: Vergebliche Hoffnung auf Aufgabe der Viehhaltung

Gegenüber dem Oberbergischen Kreis soll die Direktorin des Märkischen Kreises, Barbara Dienstel-Kümper, zu Protokoll gegeben haben: „Wir hatten die Hoffnung, dass die Viehhaltung reduziert oder gar aufgegeben wird, weil es keine Möglichkeit mehr gibt, die Gülle zu lagern.“ Sinngemäß habe sie das so gesagt, bestätigt sie auf Nachfrage. Hintergrund sei die Tatsache, dass „anders als zum Beispiel im Gewerbe- oder Gaststättenrecht, wo ein Betrieb wegen einer Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden oder Gastronomen untersagt werden kann, ist dies dem Märkischen Kreis bei landwirtschaftlichen Betrieben mangels einer entsprechenden Rechtsgrundlage für den vorliegenden Fall nicht möglich“.

Der Landwirt pariert die bisherigen Maßnahmen erfolgreich. Ihm sei „in seinem großen landwirtschaftlichen Netzwerk gelungen, die auf seiner Hoflage anfallende Gülle anderweitig unterzubringen, die er unmittelbar aus dem unter einem Stall gelegenem Güllekeller regelmäßig abpumpt und in Tankfahrzeugen abtransportiert“, erklärt Barbara Dienstel-Kümper. „Aktuell nutzt er Lagerkapazitäten für Gülle außerhalb des Märkischen Kreises – und damit außerhalb unseres Zuständigkeitsbereichs.“

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Der Umgang des Landwirts mit Gülle, aber nicht nur das, beschäftigt seit Jahren viele Ermittler. Allein beim Verwaltungsgericht Arnsberg gab es bislang 27 Verfahren mit seiner Beteiligung, wie dieses mitteilt, vier davon liefen noch. Im Jahr 2022 fand eine groß angelegte Razzia statt. 50 Bauernhöfe, Firmen, Wohnungen und Büros wurden durchsucht - auch der Hof in Halver-Kotten, dessen Betreiber als Hauptverdächtiger in dem Verfahren gilt. Vorwurf: Er soll über Jahre auf Bauernhöfen angefallene „Gülle, Gärreste und ähnliche Substanzen“ illegal entsorgt haben. Zudem gibt es steuerrechtliche Vorwürfe. Die Staatsanwaltschaft Hagen ermittelt weiterhin die komplizierten Zusammenhänge.

„Die Gülle-Geschichte wird sich aufklären lassen“, sagt Anwalt Beckmann, „steuerrechtlich wird es schwieriger, weil das hoch komplex ist in dieser Branche. Aber aus den Jahren 2012 bis 2018 lässt sich auf Grundlage der teilweise zu hohen Schätzungen der Finanzverwaltung eine Umsatzsteuerschuld in niedriger sechsstelliger Höhe errechnen. Kein Grund also, dass sich die Groß- und Konzernbetriebsprüfung in Hagen mit dem Fall befassen müsste. Mein Mandant ist nicht der Millionenbetrüger, als der er im Ermittlungsverfahren teilweise dargestellt wird.“

Starkregen-Ereignis soll Schuld an der Verschmutzung haben

Der jüngste Gülle-Skandal, sagen der Landwirt und sein Anwalt, sei durch ein örtlich begrenztes Starkregenereignis ausgelöst worden. Dieses hätte Tierausscheidungen von den Wiesen ins Tal und damit in die Neye gespült. Höhere Gewalt sei das gewesen.

An Zufälle wollen die Behörden nicht mehr glauben. Derzeit wird der Hof jede Woche vom Kreis kontrolliert. „Es gibt kaum eine bauliche Maßnahme auf dem Hof, an der der Kreis nicht Anstoß nimmt“, sagt Beckmann. Eine Remise, die seit 30 Jahren als Stall genutzt werde, sei zwischenzeitlich stillgelegt worden: formell baurechtswidrig. Der zwangsweise Verkauf der Rinder stand im Raum. Das Verwaltungsgericht habe die Stilllegung aber vorerst rückgängig gemacht. Der Stall darf also vorerst wieder genutzt werden.

Kreis moniert offenbar Dutzende Verfehlungen auf dem Hof

„30 Jahre lang hat das Gebäude niemanden gestört“, sagt Beckmann, räumt aber ein: „In der Sache ist es richtig, dass für kleinere bauliche Veränderungen – zum Beispiel eine Überdachung für die Tiere - keine Baugenehmigung eingeholt wurde.“ Das werde nun nachgeholt.

Gut zwei Dutzend weitere Verfehlungen auf dem Hof moniere der Kreis, sagt Beckmann. Beispiel: Müll würde gelagert. Das seien, erklärt Beckmann, zum Beispiel Holz, das man immer zum Bauen brauchen könne, und Altreifen, die zum Beschweren von Abdeckungen verwendet würden - wie auf anderen Höfen auch.

Bauernhof in Halver könnte neuen Pächter bekommen

Beckmann und sein Mandant kämpfen weiterhin für den Erhalt des Hofes. „Da steckt die Existenz einer ganzen Familie dahinter“, sagt Beckmann. Gleichzeitig wissen beide, dass es nicht mehr viel zu gewinnen gibt. „Das ist ein Ein-Mann-Betrieb“, sagt Beckmann, „wie soll mein Mandant an allen Fronten kämpfen und gleichzeitig die Arbeit erledigen? Sich dauerhaft gegen diese Übermacht durchzusetzen, halte ich für schwierig – völlig unabhängig von der rechtlichen Situation.“

Im Raum stehe, sagt Beckmann, dass der Hof verpachtet werden könnte. Ein Interessent stehe schon bereit, eine Absichtserklärung sei schon verfasst. Problem: Die vielen behördlichen Ungewissheiten schreckten den, der übernehmen könnte, derzeit noch ab. Ein neues Abwasserkonzept muss nach Auskunft des Kreises erarbeitet werden. Dies sei „bislang aber noch nicht vorgelegt“ worden, wie der Kreis mitteilt. „Uns ist nicht bekannt, welche tatsächlichen Veränderungen eine Verpachtung zukünftig mit sich bringen würden. Grundsätzlich würden baurechtliche Missstände selbstverständlich auch bei Änderungen der Besitz- bzw. Eigentumsverhältnisse abzustellen sein.“ Fortsetzung? Folgt bestimmt.