Meinerzhagen. Heike Schmitt leidet seit ihrer Kindheit unter einer extremen Lichtunverträglichkeit. Warum sie gegen eine Behörde geklagt hat.

Der Nebel hat an diesem Morgen den Meinerzhagener Stadtteil Valbert in ein trübes Grau gehüllt. „Das ist mein Wetter“, sagt Heike Schmitt und sitzt keineswegs deprimiert am Esstisch. Die Vorhänge vor den großen Wohnzimmerscheiben muss sie heute nicht zum Abdunkeln zuziehen und auch nicht die Jalousie an der Terrassentür herunterlassen. Wenn sie nicht gerade eine Kniespiegelung hinter sich hätte, könnte sie einen Spaziergang an der frischen Luft machen oder zum Einkaufen fahren. Selbstverständlichkeiten, die für Heike Schmitt nicht selbstverständlich sind.

Denn, wie die 55 Jahre alte Sauerländerin sagt, leidet sie an der seltenen, unheilbaren und genetisch-bedingten Stoffwechselerkrankung „Erythropoetische Protoporphyrie“ (EPP) – auch Schattenspringerkrankheit genannt. Weil eine extreme Lichtempfindlichkeit Verbrennungen an den Gefäßen und damit heftigste Schmerzen bei ihr auslösen können, muss Heike Schmitt direkte Lichteinstrahlung meiden beziehungsweise alle Körperteile bedecken, wenn sie draußen ist.

Juckreiz auf der Haut und ein starkes Brennen

EPP sei eine „Krankheit mit vielen Facetten“, sagt Heike Schmitt. Betroffene reagieren vor allem auf den blauen Anteil des sichtbaren Lichts – der freilich auch bei bedecktem Himmel sehr hoch sein kann. Schon wenige Lichtstrahlen genügen, um Juckreiz auf der Haut und ein starkes Brennen auszulösen. „Es sind schlimmste Schmerzen. So als verbrenne man sich an einem Grill oder an einem Backofen“, beschreibt Heike Schmitt. Ein Zustand, der mehrere Tage andauern kann und dem sich dann nur in einem völlig abgedunkelten Raum begegnen lässt: „Ich darf es unter keinen Umständen so weit kommen lassen.“

Stoffwechsel Krankheit EPP.
„Ich bin der Urheber“, so Kurt Huter, Heike Schmitts Vater. Er trage den für EPP ursächlichen Gendefekt in sich, sagt er. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Vor zwei Jahren kam heraus, dass Heike Schmitt auch LED-Licht nicht verträgt. „Ob im Supermarkt, in Patientenzimmern von Krankenhäusern oder sonstwo. Überall ist LED-Licht. Vor Sonnenstrahlen könnte ich weglaufen, vor dem künstlichen Licht nicht.“

Vater trägt Gendefekt in sich

Während im morgendlichen Nebel am Valberter Wohngebiet Wilkenberg noch so gerade die Fassade des Nachbarhauses zu sehen ist, sitzt Heike Schmitts Vater Kurt Huter mit am Esstisch. „Ich bin der Urheber“, sagt der 82-Jährige und meint damit, dass er einen Gendefekt in sich trägt, auf dem die Krankheit EPP beruht. Auch seine verstorbene Ehefrau, Heike Schmitts Mutter, soll ihn in sich getragen haben.

„Schon als Jugendlicher hatte ich Juckreiz und Hautbrennen“, sagt Huter , „ein Arzt riet mir in seiner Hilflosigkeit, Nivea-Creme zu nehmen.“ Instinktiv mied er schon in jungen Jahren die Sonne, suchte häufig schattige Wälder auf und musste sich „von meinen Spielkameraden absondern“, wie er es ausdrückt. Später führten ihn die Urlaubsreisen mit der Familie in waldreiche Regionen: „See oder Hochgebirge - das ging gar nicht.“

Stoffwechsel Krankheit EPP.
Zur Behandlung der Stoffwechselkrankheit bekommt Heike Schmitt vier Mal im Jahr ein Implantat eingesetzt. Zumindest 14 Wochen im Jahr kann sie so ein halbwegs normales Leben führen. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Seine Tochter Heike hat eine schwerere Form der EPP entwickelt, so erzählt sie. Mutmaßlich, weil beide Elternteile den Gendefekt in sich trugen. „Schon in der Grundschule konnten andere Kinder nicht verstehen, dass ich nicht mit auf den Pausenhof durfte. Oder dass ich nicht an den Bundesjugendspielen teilnehmen konnte. Dann hieß es immer: ,Stell dich nicht so an‘.“

Meist sind bei EPP-Patienten äußerlich keine Hautveränderungen zu erkennen. Auch ein Grund, warum ihr Leiden bisweilen nicht ernst genommen wird. „Man sieht nichts“, sagt Heike Schmitt und ergänzt: „Hätte ich grüne Punkte an den Händen oder im Gesicht, würde mir jeder die Schmerzen abnehmen.“

Hoher Rechtfertigungsdruck

Die Folge: „Man muss sich immer rechtfertigen. Ob bei Behörden oder Mitbürgern. Das ist sehr mühsam.“ Beispiele: „Mir wurde geraten, einfach ein Schmerzmittel zu nehmen. Dabei gibt es gegen EPP kein entsprechendes Schmerzmittel.“ Oder: „Mir wurde gesagt: Wenn ich kein LED-Licht vertrage, könnte ich ja in einer Dunkelkammer arbeiten.“

Etwa 800 Menschen in Deutschland sollen unter EPP leiden. Bei wenigen Patienten wird auch die Leber angegriffen. Im schlimmsten Fall kann das zu einer Leberzirrhose führen. Heike Schmitts Bruder, ebenfalls EPP-Patient, ist vor einigen Jahren daran verstorben: „Ihm wurde gesagt, er solle das Saufen lassen. Dabei hat er keinen Tropfen Alkohol getrunken.“

Arbeitsstelle gekündigt

Bis vor zwei Jahren arbeitete Heike Schmitt in einem Dorfladen. Nach dem Umzug in neue, lichtdurchflutete Verkaufsräume mit großen LED-Lampen reagierte ihr Körper auf das (künstliche) Licht, ihre Blutwerte verschlechterten sich dramatisch. Die zweifache Mutter wurde zunächst krankgeschrieben, dann kündigte sie. Heute lebt sie vom Einkommen ihres Ehemannes, den Weg zur Agentur für Arbeit hat sie sich bislang gespart: „Ich habe keine Lust mehr auf Rechtfertigung. Ich müsste denen erklären, dass ich nicht in einem Raum mit LED-Licht arbeiten kann. Das glaubt mir doch keiner.“

Stoffwechsel Krankheit EPP.
Seit zwei Jahren weiß Heike Schmitt, dass sie auch auf das künstliche Licht von LED-Lampen empfindlich reagiert. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Bis zum vergangenen Oktober führte die Sauerländerin einen mehrjährigen Rechtsstreit mit dem Märkischen Kreis um den Grad der Behinderung. Nach einem Vergleich vor dem Sozialgericht Dortmund wurde dieser auf 50 festgesetzt. Zu niedrig, wie Heike Schmitt findet. Zumal andere Betroffene im Verein „Selbsthilfe EPP“ (www.epp-deutschland.de) mit 100 eingestuft worden seien, wie die 55-Jährige sagt, und ein vom Gericht bestellter Gutachter ihr die Stoffwechselerkrankung zugeschrieben habe.

Behandlung am Universitätsklinikum Düsseldorf

Der Märkische Kreis kann auf Anfrage „zu den Einzelheiten (aus datenschutzrechtlichen Gründen) leider keine weiteren Angaben machen“. Nach Angaben von Kreissprecher Alexander Bange handele es sich „im konkreten Fall nicht um die ,Günther-Krankheit‘ (Erythropoetische Porphyrie), die mit einem Grad der Behinderung von 100 bewertet werden könnte, sondern um eine andere Krankheit.“ Diese Krankheit sei „gemäß der Versorgungsmedizin-Verordnung anders zu bewerten“.

Zu einem Antrag auf Schwerbehinderung - zum Ausgleich von Nachteilen durch die Erkrankung - war Heike Schmitt vom Universitätsklinikum Düsseldorf geraten worden. Dort wird sie seit sieben Jahren behandelt. Vier Mal im Jahr, zwischen März und Ende August, werde ihr ein Implantat gegen EPP eingesetzt, wie sie schildert: „Eine Einzeldosis von Scenesse kostet 25.000 Euro. Es wirkt nach 8 bis 9 Tagen für etwa dreieinhalb Wochen.“

14 Wochen im Jahr ein halbwegs normales Leben

14 Wochen im Jahr, um ein halbwegs normales Leben führen zu können. 14 Wochen, um mal einen Kurzurlaub an der See zu machen, ein Open-Air-Konzert zu besuchen, sich vor einen Computer-Bildschirm zu setzen oder sich auch mal vor 20 Uhr zum Grillen auf der Terrasse von Freunden zu treffen.

Gewöhnt man sich irgendwann an die Erkrankung? „Nein“, sagt Heike Schmitt. „Man arrangiert sich zwar irgendwann, um sich zumindest ein wenig Lebensqualität zu erhalten.. Aber man muss immer auf der Hut sein. Wenn ich im Sommer nach draußen gehen möchte, muss ich lange Kleidung und Handschuhe tragen. Und werde immer wieder gefragt, ob mir kalt ist. Das ist einfach nur nervig.“

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