Siegen. Kind, das Baby von Stiefvater bekam, sagt unter speziellen Bedingungen aus. Entscheidende Teile des Prozesses nicht öffentlich.

Einmal ging dann doch die Tür auf. Um 10.55 Uhr. Es traten aus Saal 183 des Landgerichts Siegen: Staatsanwältin, Verteidiger, Schöffen. Kurze Pause. Nach wenigen Minuten ging es dann hinter verschlossenen Türen weiter in diesem aufsehenerregenden Missbrauchs-Prozess um eine Elfjährige aus Siegen-Wittgenstein, die im vergangenen Jahr ein Baby ihres Stiefvaters zur Welt gebracht hat. Erst um 12.23 Uhr war es schließlich vorbei.

Gut zweieinhalb Stunden lang sagte am Donnerstagvormittag – unter Ausschluss der Öffentlichkeit – die heute Zwölfjährige vor Gericht aus, die von ihrem Stiefvater missbraucht und geschwängert worden sein soll. Der Druck auf das Mädchen, das hatte die Anwältin des mutmaßlichen Opfers zuletzt betont, sei „enorm“, zudem ungewiss, wie das „schwer traumatisierte“ Kind sich vor Gericht schlagen werde.

Nun ist diese Aussage, die eines der wichtigsten Elemente in diesem so außergewöhnlichen Verfahren ist, über die Bühne gegangen. Und das unter speziellen Bedingungen.

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Gericht schließt Öffentlichkeit aus

Das Landgericht Siegen hatte am Donnerstagmorgen zu Beginn des zweiten Verhandlungstages zunächst verkündet, dass die Aussage des Mädchens wie weitere entscheidende Teile dieses Verfahrens hinter verschlossenen Türen stattfinden, zum Schutze der Intimsphäre der Zwölfjährigen (und auch des angeklagten Stiefvaters).

Während der folgenden, nicht öffentlichen Befragung habe das Mädchen laut seiner Anwältin immer wieder Pausen benötigt. Daher habe die Aussage deutlich mehr Zeit in Anspruch genommen als geplant. „Es war eine enorme Anstrengung für meine Mandantin, aber ich bin froh, dass sie aussagen konnte“, sagte Jennifer Sauer.

Prozess am Landgericht Siegenm Bild: Anwältin Jennifer Sauer.

„Meine Mandantin kann sehr stolz auf sich sein, dass sie sich überwunden hat, auszusagen.“

Jennifer Sauer
Anwältin der Zwölfjährigen

Zum Inhalt der Aussage, zu den Fragen, ob die Zwölfjährige ihren angeklagten Stiefvater belastet und einen glaubwürdigen Eindruck erweckt habe, machte die Siegener Juristin keine Angaben. „Ich kann nichts dazu sagen, wie die Aussage zu würdigen ist“, sagte Sauer, „ich muss das alles noch auf mich wirken lassen, was wir gehört haben.“ Aus ihrer Sicht gebe es jedoch „keinen großen Klärungsbedarf mehr“. Vor allem aber sei sie „schwer beeindruckt“ von der Zwölfjährigen. „Meine Mandantin“, sagte Sauer, „kann sehr stolz auf sich sein, dass sie sich überwunden hat, auszusagen.“

Verteidiger Daniel Nierenz, der Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Mädchens geäußert hatte, weil die Zwölfjährige im Laufe der Ermittlungen ihre Aussage geändert haben soll, beschrieb die Vernehmung als „sehr mühsam“. Er sei nach der Aussage des Mädchens „so schlau wie vorher. Meine Zweifel an der Glaubwürdigkeit bleiben bestehen. Das Mädchen hat eine weitere Version der Geschehnisse erzählt.“

Aussage doch mit Therapiehund

Für die Aussage des Mädchens hatte das Landgericht besondere Maßnahmen ergriffen. Die Anwältin des Mädchens, das auch als Nebenklägerin an dem Verfahren beteiligt ist, hatte am ersten Verhandlungstag angeregt, ihre Mandantin während der Vernehmung von einem Therapiehund begleiten zu lassen. Die Kammer hatte dies abgelehnt, weil der Hund in früheren Vernehmungen „abgelenkt“ habe. „Er hat die Unruhe des Kindes gespürt und war dann auch unruhig“, hatte Richterin Sabine Metz-Horst beim Prozessstart vor neun Tagen erklärt.

Am Donnerstag verkündete die Vorsitzende dann, dass der Hund – laut Anwältin Sauer ein Boxermischling namens Madita – das Mädchen doch bei der Aussage begleiten dürfe. „Er“, sagte Sauer später über den Therapiehund, „war total lieb“.

Die Vernehmung des Mädchens fand per Video-Übertragung statt. Wie Sauer schilderte, sei ihre Mandantin zwar im Gericht anwesend gewesen, jedoch aus einem anderen Raum in den Gerichtssaal zugeschaltet worden. Damit war die Bedingung der Nebenklage erfüllt, dass Mädchen und Stiefvater sich nicht im selben Raum befanden. Die Aussage der Zwölfjährigen wurde von einer im Gerichtssaal anwesenden Aussagepsychologin verfolgt. Die Gutachterin nimmt seit Donnerstag an dem Verfahren teil, um die Glaubwürdigkeit der Einlassungen des mutmaßlichen Opfers zu beurteilen.

Daniel Nierenz, Anwalt aus Netphen, Verteidiger des Stiefvaters, der seine elfjährige Stieftochter missbraucht und geschwängert haben soll.  

„Meine Zweifel an der Glaubwürdigkeit bleiben bestehen. Das Mädchen hat eine weitere Version der Geschehnisse erzählt.“

Daniel Nierenz
Verteidiger des Angeklagten

Weiteres Gutachten zur „Kondom-Theorie“

Die Vorsitzende Richterin hatte zudem – vor dem Ausschluss der Öffentlichkeit – berichtet, dass die Zwölfjährige am Montag das Landgericht besucht hatte, um sich mit der Umgebung vertraut zu machen. Weitere Maßnahme, um die Befragung des Mädchens durchzuführen: Die Prozessbeteiligten, etwa der Verteidiger des Angeklagten, mussten ihre Fragen an das Mädchen über die Vorsitzende Richterin stellen (lassen).

Des Weiteren entschied die Kammer im Zuge der Verhandlung am Donnerstag, die mit den nicht öffentlichen Befragungen einer Gynäkologin, einer Psychiaterin und einer Therapeutin bis 17.20 Uhr fortgesetzt wurde, die von Verteidiger Nierenz beantragte Vernehmung eines zusätzlichen Gutachters zur „Kondom-Theorie“ im Laufe des Prozesses durchzuführen. Bevor das Mädchen in den polizeilichen Vernehmungen seinen Stiefvater belastet haben soll, soll es zunächst ausgesagt haben, dass es sich mit einem gebrauchten Kondom des Stiefvaters, in den es verliebt gewesen sei, selbst geschwängert habe. Ein von der Staatsanwaltschaft in Auftrag gegebenes Gutachten einer Rechtsmedizinerin aus Köln, die vor Gericht noch als Zeugin gehört werden soll, soll diese Variante als äußerst unwahrscheinlich einstufen. Die Kammer will nun einen von Verteidiger Nierenz vorgeschlagenen Reproduktionsmediziner dazu hören. Dieser Aspekt sei „eine zentrale Sache in diesem Verfahren“, sagte Richterin Sabine Metz-Horst.

Ein DNA-Abgleich hatte den Stiefvater der Zwölfjährigen als biologischen Vater des Babys ermittelt. Das Baby befindet sich wie das Mädchen in Obhut des Jugendamtes des Kreises Siegen-Wittgenstein.

Das Urteil in dem Prozess wird am 18. Februar erwartet. Die Urteilsbegründung – wie die Plädoyers – findet allerdings nicht öffentlich statt.

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