Siegen. An 25 Schulen in NRW startet ein neues Projekt der Uni Siegen: Lehrer sollen eigene KI entwickeln, die sie im Unterricht unterstützt.
Dieses Projekt, das an der Universität Siegen geboren wurde, soll eine Blaupause für ganz Nordrhein-Westfalen werden: 12.000 Schülerinnen und Schüler an 25 Schulen der Sekundarstufe I werden sich ab dem 1. Februar an KIMADU beteiligen. Der Begriff steht für Künstliche Intelligenz (KI) im Mathematik- und Deutschunterricht. Kann der Einsatz von KI im Unterricht Lernprozesse bei Schülern verbessern oder verlernen sie dadurch das Lernen? Für Professor Dr. Ingo Witzke, Leiter des Projekts und Direktor der Mathematikdidaktik an der Universität Siegen, überwiegen eindeutig die Vorteile: „KI kann Schülerinnen und Schülern maßgeschneiderte Lernangebote machen und für mehr Chancengerechtigkeit sorgen“, sagt der 45-Jährige. Was es nun in dem vom NRW-Schulministerium initiierten und mit über einer Million Euro geförderten Projekt KIMADU zu beweisen gilt.
Worum geht es beim Projekt KIMADU?
Ingo Witzke: Ob es darum geht, im Fach Mathematik den Begriff der Funktion zu erschließen, oder darum, im Fach Deutsch eine schriftliche Argumentation zu verfassen: KI kann Schülern während solcher Arbeitsprozesse begleiten und wiederholt Impulse und Rückmeldungen geben – vorausgesetzt, sie wird von den Lehrkräften kompetent eingebunden. Dazu müssen wir auch die Lern-, Aufgaben- und Prüfungskultur an den Schulen überdenken. Eine enge Zusammenarbeit mit Schulen hilft dabei.
Welche Vorteile hat der Einsatz von KI im Unterricht für Schüler und Lehrer?
Die Möglichkeiten potenzieren sich: Wir werden den Lehrkräften im Projekt helfen, eigene KI zu entwickeln, die sie bei der Unterrichtsplanung und -durchführung unterstützen und entlasten. KI wird die Lehrkraft nie ersetzen können, sie wird aber ein Assistent für die Lehrkraft sein. Und die Schüler werden durch den Einsatz von KI, die auf ihre Bedürfnisse abgestimmt ist, auf ganz neue Weise in ihren Lernprozessen unterstützt. Wie beim Einsatz der wissenschaftlichen Taschenrechner im Mathematikunterricht oder bei Textverarbeitungsprogrammen im Deutschunterricht ist es unsere Aufgabe, zu erklären, wie KI in diesen Fächern funktionieren kann.
„Der Einsatz von künstlicher Intelligenz im Schulunterricht ist revolutionär. Ich vergleiche es mit dem Aufkommen des Internets.“
Können Sie da ein Beispiel nennen?
Zum Beispiel per einfacher Sprache jedem individuell eine Mathematikaufgabe zu erklären. Manche Schüler brauchen anschauliche Beispiele, andere nicht. Manche ausführliche Sätze, andere nicht. Solche Möglichkeiten bietet KI, das hatten wir vorher nicht. Das kann Schülern helfen und Lehrer entlasten. Zum Beispiel kann beim Arbeiten mit Funktionen die KI dem Schüler erklären, was eine Funktion ist, wie man diese erkennt und wie die korrekte grafische Darstellung dieser Funktion aussieht. Durch die KI gewinnt man Zeit, sie unterstützt – wenn man es richtig macht – beim Lernen, ohne die Lösung zu verraten. Da sie Bilder in der Sprache des fragenden Schülers erzeugen kann, stellt sich der Lerneffekt schneller ein. Die Lehrkraft kann dazu ein didaktisches Konzept individuell für einen Schüler eingeben – und das kann für Dritte auch zur Kontrolle oder weiteren Hilfe freigeschaltet werden. Das Gespräch mit der KI kann vollständig auf dem Handy oder Tablet aufgenommen werden. Darin steckt großes Potenzial für die Diagnose und Analyse von Lernprozessen.
Es klingt wie eine Revolution im Schulunterricht...
Ja, das ist revolutionär. Ich vergleiche es mit dem Aufkommen des Internets.
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Hat KI auf jede Frage eine der Realität entsprechende Antwort?
Das ist ein Missverständnis, das der Aufklärung bedarf: KI ist kein Google, sprich: keine Suchmaschine, sondern ein Sprachmodell. Sie ist ursprünglich nicht für das Recherchieren von harten Fakten konzipiert worden, sondern um Kommunikation zu simulieren. Daher kann es immer passieren, dass die KI halluziniert. Und beim Nachfragen knickt sie auch mal ein und wechselt leichtfertig den Standpunkt. Lehrkräfte und Schüler müssen früh lernen: Vertraue keinem Ergebnis blind, dass dir die KI geliefert hat, suche immer nach einer bestätigenden Quelle. Was KI kann, ist Kommunikation, ist Sprache, und genau dafür sollten wir sie nutzen.
Nehmen beim Langzeit-Einsatz von Künstlicher Intelligenz nicht die kognitiven Fähigkeiten ab?
Die Vorstellung, dass Schüler, die KI ihren Text schreiben lassen und währenddessen Eis essen gehen, trifft es nicht. Sie arbeiten mit der KI zusammen und lernen dabei viel, zum Beispiel durch Impulse und Rückmeldungen, die ihnen die KI zu ihrem Schreibprozess und ihren Texten gibt. Und sie müssen das, was sie mit der KI erarbeitet haben, dann auch erklären können, auch in Prüfungen. Dann kann KI auch die kognitiven Fähigkeiten der Schüler erweitern. Es braucht dazu viel didaktische Begleitung der Lehrkräfte.
Gibt es in anderen Bundesländern ähnliche Projekte?
KI im Unterricht ist ein sehr innovatives Thema. Alle Bundesländer machen sich auf den Weg, einige haben eigene Lizenzen für KI für Schulen gekauft. Es gibt eine große Vielfalt. Darin liegt viel kreatives Potenzial. Alle schimpfen immer über den Föderalismus, aber in diesem Fall kann er ein Motor für das Bildungswesen in Deutschland sein. Wenn wir KI wie etwa ChatGPT durchdacht und verantwortungsvoll einsetzen, dann hat sie ein großes Potenzial für die Weiterentwicklung des Schulunterrichts.
Inwieweit unterscheidet sich dieses Projekt von denen in anderen Bundesländern?
Dieses Projekt zeichnet sich durch seine hohe Praxisrelevanz und Praxisnähe aus. Es geht um die beiden Hauptfächer, es geht um 25 Schulen in ganz NRW, und es sind alle allgemeinbildenden Schulformen vertreten. Geplant ist, im September und Oktober 2025 mit den Lehrkräften auf unseren zweiten Fachtagen gemeinsam fundierte und praxistaugliche Konzepte zum Einsatz von KI im Mathematik- und Deutschunterricht zu entwickeln. Wir haben uns zweieinhalb Jahre für das Projekt Zeit gegeben. In spätestens drei Jahren soll es einen Abschlussbericht geben. Wir planen auch einen Band, in dem viele Best-Practice-Beispiele vorkommen.
Werden Sie während des Projektes Zwischenergebnisse veröffentlichen?
Wir werden das Projekt wissenschaftlich begleiten und immer wieder den Stand der Dinge veröffentlichen. Es wird Fachtage geben, die Digitalisierungsbeauftragten der Schulen werden informiert, es findet ein regelmäßiger Austausch statt. Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung sowie die Best-Practice-Beispiele werden projektbegleitend veröffentlicht, damit alle Schulen in NRW davon profitieren können. (Erste Ergebnisse sollen bereits wenige Monate nach dem Start auf der Homepage www.lernen-digital.nrw abrufbar sein, Anmerkung der Redaktion).
Das Team an der Uni Siegen
Professor Dr. Ingo Witzke leitet das Projekt gemeinsam mit Dr. Frederik Dilling (Mathematikdidaktik) und Professor Dr. Torsten Steinhoff, Dr. Irene Corvacho del Toro und Mareike Fuhlrott (Didaktik der deutschen Sprache an der Uni Siegen). Das Projekt startet am 1. Februar.
KI im Unterricht und Datenschutz – passt das zusammen?
Datenschutz ist ein wichtiges Thema. Es ist aber auch nicht neu, weil sich ähnliche Fragen schon bei anderen digitalen Medien gestellt haben, die mit dem Internet verbunden waren. Zum Datenschutz beim Einsatz von KI ist zum Beispiel die Entwicklung in den USA aufschlussreich. Dort war KI an den Schulen zuerst meist verboten, dann folgten viele Maßnahmen zum Datenschutz, und nun wird es stark eingesetzt. Das haben wir in Bildungsprojekten, in denen wir mit Schulen in New York kooperiert haben, aus nächster Nähe miterlebt. Im Projekt KIMADU legen wir größten Wert auf Datenschutz. Wir sorgen in unseren KI-Anwendungen zum Beispiel mit entsprechenden Filtern dafür, dass persönliche Daten jedweder Art geschützt werden. Zugleich nutzen wir das Projekt KIMADU auch, um Lehrkräfte und Schüler für für Fragen zum Datenschutz zu sensibilisieren. Die Schüler sollen einen bewussten und souveränen Umgang mit KI lernen, und dazu gehört nicht nur eine sinnvolle Nutzung für das Lernen in den Fächern Mathematik und Deutsch, sondern auch das Wissen über Datenschutz.
Wie kam es überhaupt zu dem Projekt?
Torsten Steinhoff (Didaktik der deutschen Sprache) und ich standen zum Thema KI schon länger in Kontakt. Ich hatte mit meinem Team spannende Erfahrungen mit KI im Regionale Südwestfalen Projekt ‚DigiMath4Edu‘ und zur digitalen Transformation von Schulen im Fach Mathematik gemacht. Und Torsten Steinhoff hatte mit seinem Team zu KI mit Bezug zum Deutschunterricht geforscht, vor allem zur Rolle von KI beim Schreiben. So kam eines zum anderen. Nach einer Anfrage des Schulministeriums haben wir gemeinsam das Projekt KIMADU entwickelt und einen Antrag gestellt. Dann ging alles sehr schnell. Die Relevanz des Themas war uns allen bewusst. Geholfen haben uns dabei die gemeinsamen Erfahrungen aus dem Projekt Bildungsconnector Olpe (bc:Olpe). Dort haben wir den Einsatz von KI schon früh zusammen mit Lehrkräften erprobt. In diesem Projekt kooperieren seit 2020 die Universität Siegen, der Kreis Olpe und die Stadt Olpe zur nachhaltigen Erforschung und Entwicklung digitaler Kompetenzen mit den Schulen vor Ort. Dabei geht es sowohl um die Kompetenzentwicklung bei Lehrern als auch um die Professionalisierung der Lehramtsstudierenden der Universität. Die Erkenntnisse daraus helfen uns heute beim Projekt KIMADU.