Münster/Balve. Suche nach Dinosaurier-Überresten bei Balve. Ausgrabungsleiter Achim Schwermann spricht von einem Rekord-Jahr: „Weltweit einzigartig.“
Es ist original aus dem Sauerland, was Achim Schwermann gerade in den Händen hält und ihm einen gewissen Stolz ins Gesicht zaubert: „Ein sehr gut erhaltener Schwanzwirbel von einem Dinosaurier“, sagt der promovierte Paläontologe beim LWL-Museum für Naturkunde des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe in Münster.
Man kann davon ausgehen, dass Berufskollegen nach dem Fossil geradezu lechzen würden. „Es hat noch zwei Fortsätze. Das ist sehr selten“, sagt der anerkannte Dino-Experte in Westfalen. Gefunden wurde der Urzeit-Schatz an der Ausgrabungsstelle in einem alten Steinbruch bei Balve.
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Seit 2002 suchen LWL-Paläontologen im oberen Hönnetal nach der berühmten Nadel im Heuhaufen, oder besser: Dinosaurier-Überresten. Grabungsleiter Achim Schwermann ist seit 2017 dabei. Wenn ihn jemand als Dino-Nerd bezeichnet, muss er vergnügt lachen: „Die Beschäftigung mit der Tier- und Pflanzenwelt der Vorzeit ist kein Brotjob“, sagt der 40-Jährige, „es ist eine Leidenschaft.“ Selbst über Weihnachten, so erzählt er schmunzelnd, „hat es mich geritten: Ich habe mich an den Rechner gesetzt und für ein Dino-Projekt recherchiert.“
Es hat etwas von einer Schatzsuche, auf die Wissenschaftler, Studenten und freiwillige Helfer in Balve gehen. Die Fossilien sind meist „extrem kleinteilig“, wie es Schwermann ausdrückt, „und stark zerbrochen. Es geht viel Zeit ins Land, bis wir solche Stücke finden, die noch anatomische Informationen liefern. Es sind diese Perlen, die wir suchen.“
Handarbeit im alten Steinbruch
Der Münsterländer hat sich, wie die insgesamt gut 40 Grabungshelfer im vergangenen Jahr, so manche Blase an den Händen geholt. Zum Beispiel, wenn er mit einer Drahtschlinge wie beim Töpfern „an einem großen Matschhaufen“ Steine, Ton und Fossilien voneinander trennt, Ablagerungen abträgt oder die Funde über Siebe wäscht. „Unsere Tätigkeiten an dem alten Steinbruch in den Sommermonaten sind absolute Hand- und ganz viel Fleißarbeit“, sagt er. Allein im vergangenen Jahr wurden 24 Tonnen Sediment aus dem alten Steinbruch gewaschen.
Aber es lohnt sich: Der Sommer 2024 war mit 650 bedeutsamen Funden der bislang erfolgreichste in der Balver Grabungs-Geschichte. Längst ist das Areal zur Dinosaurier-Schatzkammer Deutschlands geworden. Mehr noch: „Die Fundstelle mit Überresten aus der Kreidezeit vor 125 Millionen Jahren ist angesichts der Vielfalt an nachgewiesenen Tierarten weltweit einzigartig“, sagt Achim Schwermann.
Dino-Überreste aus der Kreidezeit
Der Dino-Forscher steht im LWL-Zentralmagazin im Münsteraner Norden - dort sind die gefundenen Fossilien archiviert - und zeigt ein weiteres Highlight aus seiner Sammlung, neben Knochenfragmenten, Krallenbeinen, Daumenstacheln, Zehengliedern, Wirbeln oder Zähnen: ein länglicher Überrest aus dem Hüftbereich eines Dinosauriers. Ebenfalls in Balve gefunden und ebenfalls aus der Kreidezeit, wie sich bei Analysen von Pollen und Sporen nachweisen ließ.
Der Urzeitforscher steht an einer Schubladen-Wand mit Fossilien. „Die Balve-Abteilung wächst“, sagt der Dino-Forscher mit Blick auf den Rekord-Fundsommer 2024. In Sichtweite sind Saurier-Knochen archiviert, die 1978 in einem Steinbruch in Brilon-Nehden ausgegraben wurden. Die zweite große Fundstelle von Dinosaurier-Material im Sauerland.
Die Beschäftigung mit Dinosauriern „muss etwas haben“, sagt Schwermann augenzwinkernd und erklärt die anhaltende Faszination der längst ausgestorbenen Landwirbeltiere aus dem Erdmittelalter so: „Jurassic Park“ - das Buch von Michael Crichton und der Film von Steven Spielberg - hat in den 90er Jahren eine Dino-Welle ausgelöst. Bis heute reizt die Menschen die Möglichkeit, auf einfache Weise in eine andere Welt einzutauchen. Sie gehen auf eine spannende Reise in die Urzeit mit riesigen, die Phantasie anregenden Tieren.“
Schwermann selbst bezeichnet sich als ein „groß gewordenes Dino-Kind“. Schon im Grundschulalter habe er beim Besuch einer Saurier-Ausstellung in den Niederlanden sein Aha-Erlebnis gehabt. Umgehend stand sein Berufswunsch fest: „Ich wollte, wenn ich einmal groß bin, mit diesen Tieren arbeiten.“ Nach dem Studium der Geowissenschaften fand er beim LWL-Museum für Naturkunde seinen Traumjob. Und ist nach eigenem Bekunden der „Dino-Anhänger von damals“ geblieben.
Damals. Und damit zurück in die Kreidezeit vor 125 Millionen Jahren, als Dinosaurier im Sauerland lebten, wie die Fossilien unterstreichen, die in Balve gefunden wurden und in verschiedenen internationalen wissenschaftlichen Projekten analysiert werden. Womit Rückschlüsse über das Ökosystem, über Lebensweisen und Sozialverhalten von Dinosauriern gezogen werden sollen.
Achim Schwermann spricht von „Überlieferungen“ und beschreibt, was den Fundort in dem alten Steinbruch neben dem großen Spektrum an Überresten unterschiedlichster Wirbeltiergruppen so einzigartig macht und als international bedeutsames Bodendenkmal kennzeichnet: „Aus der frühen Kreidezeit gibt es in Europa nur wenige Dinosaurier-Fundstellen. In Balve eröffnen sich ungeahnte Einblicke in diese längst vergangene Zeit.“
Ungewöhnlich: Fundstelle im Hinterland
Zudem: Noch viel seltener seien Fundstellen mit Fossilien von Tieren, die nicht direkt an der Küste gelebt haben. Bei Balve handele es sich um eine Fundstelle in einem „absoluten Hinter- und Hochlandgebiet“.
Dass im Hönnetal überhaupt Überreste von Dinosauriern zu finden seien, so Achim Schwermann weiter, habe mit den dortigen Karstschlotten zu tun, schmalen Hohlräumen, die in die Tiefe führten. „Die unterirdischen Höhlensysteme könnte man mit Tropfsteinhöhlen vergleichen - nur dass sie sehr tief in den Untergrund gereicht haben.“
Dort hätten sich Sedimente angesammelt, in denen auch tierische Reste eingelagert waren. Das Material, was eigentlich von Bächen und Flüssen ins Meer gespült worden wäre, sei hier vor 125 Millionen Jahren in den Hohlräumen abgelagert worden. Der Dino-Forscher: „Ein glückliches Zusammentreffen: Das Sauerland ist gesegnet mit einer Geologie, die es ermöglicht hat, Überreste von Sauriern zu finden.“
Übrigens: Wenn das Grabungsteam in den Sommermonaten in Balve ist, übernachtet es in unmittelbarer Nähe des alten Steinbruchs. In Zelten. „Nach getaner Arbeit sitzen wir dann am Lagerfeuer“, beschreibt Achim Schwermann die Schatzsucher-Romantik unter dem Sternenhimmel. Ein schöner Ort, an dem sich bestimmt vor 125 Millionen Jahren auch Dinosaurier wohlgefühlt haben.
Dino-Experte zum Gespräch im Sauerland
Achim Schwermann ist am Dienstag (28. Januar) in Balve. Mit Stefan Schröder und dem Publikum wird er sich ab 19 Uhr im Bürgerhaus am Platze über „Dinosaurier & Co.“ unterhalten. Titel der Veranstaltung: „Dino-Palaver“. Der Eintritt ist frei.
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