Lüdenscheid. Die 23-Jährige prüft im Rahmedetal die Lieferungen, bevor sie verarbeitet werden dürfen. „Ich liebe alles an Beton“, sagt sie.
Manche Sätze sind für sich genommen schon erstaunlich genug. Doch je nachdem, wer sie ausspricht, kann die Wirkung noch außergewöhnlicher sein. Ein Beispiel für so einen Satz ist: „Beton ist mein Leben.“ Wer sagt denn so was, bitte? Lily Martin, 23 Jahre alt, eine zierliche junge Frau mit rotblondem Haar, die in einem neongelben Baustellenoutfit mit Reflektoren steckt. Sie lächelt: „Ich liebe alles an Beton. Er hat einen besonderen Charakter - und er kann zickig sein.“ Ohne sie geht‘s beim Neubau der Talbrücke Rahmede in Lüdenscheid nicht.
Denn Lily Martin ist diejenige, die über den Zustand des Betons wacht. Tausende Tonnen werden benötigt für das Fundament, um die Pfeiler in die Höhe zu bauen, um eine Fahrbahn entstehen zu lassen. Etwas mehr als drei Jahre nach der Sperrung der Autobahn 45 wegen der einsturzgefährdeten Brücke im Sauerland nimmt das neue Bauwerk Formen an. Damit es viele Jahrzehnte lang hält, muss der Beton perfekt sein. Die Kontrolle ist Aufgabe von Lily Martin, der Baustoffprüferin, die für ein unabhängiges Überwachungslabor (Betontechnik Niedersachsen GmbH) arbeitet.
Letzte Betonage an der Talbrücke Rahmede ist geschafft
Immer, wenn betoniert wird, ist sie an der Brücke. Seit März fast täglich, manchmal den ganzen Tag lang. Sie schnauft durch: Vergangene Woche sei die letzte Betonage auf dem Brückenteil in Fahrtrichtung Frankfurt für dieses Jahr gewesen. Jetzt gehe es in eine kurze Winterpause. „Und ich habe wieder ein Leben.“ Sie lacht. Die letzten Monate seien anstrengend und stressig gewesen. Selbst das, sagt sie, mag sie an ihrem Beruf.
Als der Betonlaster an einem Mittwoch im Dezember vorfährt, ist Lily Martin an der Entladestelle schon bereit. Alles muss schnell gehen, das gehört zum Job dazu. „Von dem Moment, in dem der Beton in den Laster gepumpt wird, bis zum Einbau auf der Baustelle dürfen maximal 90 Minuten vergehen“, erklärt die Kontrolleurin. Sonst steift der Beton an. Das wäre nicht gut.
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Deswegen kommt der Beton für die Brücke direkt von einem Werk in Lüdenscheid, in seltenen Fällen auch aus Dortmund oder Plettenberg. Gibt es Stau auf der Strecke oder Wartezeiten auf der Baustelle, wird es problematisch. Die 23-Jährige prüft den Lieferschein, die Uhrzeit der Beladung, ob die Sorte stimmt. „Ich habe auch schon Transportbetonmischer wieder zurückgeschickt“, sagt Lily Martin.
Mit Schäufelchen und Eimer entnimmt sie eine Probe, die sie auf ihrem mobilen Labor begutachtet: ein Tischchen, ein Rüttelbrett, einen Zollstock benötigt sie u.a., um die Konsistenz zu überprüfen. Konkret: Sie misst, wie weit sich eine bestimmte Menge Beton ausbreitet. Festigkeitsklasse 3 ist gut, zwischen 420 und 480 Millimetern. Sie misst die Temperatur des Betons, der mindestens zehn Grad haben muss und maximal 30. „10,4“ Grad zeigt das Display.
Aber nicht nur das Jetzt ist wichtig, sondern auch die Entwicklung des Betons. Deswegen füllt sie mehrere Proben in Kunststoffförmchen ab: immer 15 mal 15 Zentimeter große Würfel mit Beton. Einen dieser Würfel nimmt sie mit ins Labor nach Dortmund, wo er verschlossen im Wasserbad bei 20 Grad lagert. „Am 28. Tag wird der Würfel einem Drucktest unterzogen“, sagt sie. Damit wird die Festigkeit überprüft. „Erfüllt die Probe die Anforderungen nicht, müsste der eingebaute Beton dieser Lieferung wieder entfernt werden oder durch zusätzliche Maßnahmen in den gewünschten Zustand versetzt werden“, sagt Lily Martin. „Das kommt aber eigentlich nie vor.“
„Vor allem musste ich mich beweisen, weil es die Männer gibt, die sagen: Ach, guck, die Kleine, die müssen wir nicht ernst nehmen.“
Weitere Probewürfel lagern unmittelbar an der Stelle, wo er verbaut wurde - und damit unter denselben Bedingungen. Diese Proben werden nach sieben, vierzehn und einundzwanzig Tagen überprüft. „So erhalten wir schon vor dem 28. Tag einen Eindruck, ob der Beton gut aushärtet und fehlerfrei ist. Das hat den Vorteil, dass wir schon weiterbauen können.“
An diesem Dezembertag holt sie den Würfel mit Aufschrift „Achse 30, 14. Takt“ ab. Also den Beton, der vor sieben Tagen zum Verfüllen des 14. und letzten Rings des großen Pfeilers auf der Nordseite verwendet wurde. Aus dem Labor meldet sie sich dann gleich, um grünes Licht zu geben - oder im Zweifelsfall auch nicht.
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Ein bisschen, das gibt die Dortmunderin zu, gefällt ihr das, dass sie dann das Sagen hat, wenn der Beton Lkw um Lkw angeliefert wird. „Dann hängt alles erstmal von mir und meiner Entscheidung ab. Das ist ein gewisser Druck, und ich habe dann die Verantwortung dafür, dass alles korrekt abläuft“, sagt sie. „Das ist immer spannend.“ Beton sei nun mal eigenwillig.
Es ist eine ungewöhnliche Beziehung, die schon lange währt. „Meine Großeltern haben damals gegenüber eines Betonwerks gewohnt, in dem mein Papa Betonmischerfahrer war. Ich habe Papa oft begleitet, ging in der Firma ein und aus. Mit 17 habe ich dort in den Ferien ein mehrwöchiges Praktikum gemacht“, sagt Lily Martin. Freiwillig. Unbezahlt. Aus Freude. Mit 18 begann sie die dreijährige Ausbildung. Seit zwei Jahren arbeitet sie in dem Beruf. Sie ist als Frau auf jeder Baustelle eine Rarität.
Durchsetzungsvermögen und unpopuläre Entscheidungen
„Man muss sich durchsetzen können, weil man manchmal auch unpopuläre Entscheidungen treffen muss“, sagt Lily Martin. „Vor allem musste ich mich beweisen, weil es die Männer gibt, die sagen: Ach, guck, die Kleine, die müssen wir nicht ernst nehmen. Aber mittlerweile kennen mich alle und sind eher besonders hilfsbereit und passen auf mich auf. Ich bin dann die kleine Prinzessin auf der Baustelle“, sagt sie augenzwinkernd.
Noch immer sei ihr Papa Betonmischerfahrer. Manchmal fährt auch er den Beton, den seine Tochter prüft, nach Lüdenscheid. „Alle kennen meinen Papa. Als ich anfing, war ich für alle nur die Tochter vom Bodo“, sagt sie. „Jetzt heißt es: Guck mal, da ist der Papa von der Lily.“
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