Arnsberg. Heilpraktiker berichtet von Deals über Weltkriegs-Bunker und Künstlerdorf. Warum die Aussage des Ex-Infineon-Managers platzt.

Als der Verteidiger des Hauptangeklagten zu Verhandlungsbeginn an diesem Morgen im Gerichtssaal steht, da ahnt die Vorsitzende Richterin gleich, dass Ungemach droht. „Das“, sagt Dorina Henkel, „ist nie ein gutes Zeichen...“

Sie sollte recht behalten.

Eigentlich war in diesem – bisher holprigen und mehrfach verschobenen – Wirtschaftsstrafprozess gegen einen ehemaligen Infineon-Manager, der gut 14 Millionen Euro Firmengeld bei einer Tochterfirma des Chipherstellers veruntreut haben soll, für diesen Dienstag die Aussage des Hauptangeklagten angekündigt. Doch daraus wurde nichts. Sein Mandant – mit geschwollener linker Wange im Gerichtssaal anwesend – könne „heute nicht sprechen“, erklärte Verteidiger Peter Wehn, „er muss sich am Mittag einen Backenzahn ziehen lassen“.

Also sagte in der Folge lediglich ein Mitangeklagter aus, was nun zu der Situation in diesem Verfahren vor dem Landgericht Arnsberg geführt hat, dass sich zwar die beiden Nebendarsteller zu den Vorwürfen geäußert haben, der Protagonist aber noch nicht.

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Mitangeklagte sehen sich als Opfer

Dem Hauptangeklagten wirft die Staatsanwaltschaft Arnsberg vor, über mehrere Jahre insgesamt 14,2 Millionen Euro Firmengeld abgezweigt zu haben, etwa für eigene Immobiliengeschäfte oder auch zur Finanzierung seines „gehobenen Lebensstandards“. Auch wird ihm Urkunden- und Bilanzfälschung sowie Verrat von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen zur Last gelegt.

Der Dortmunder war seit dem Jahr 2007 in der Geschäftsführung der Infineon Technologies Bipolar GmbH & Co. KG in Warstein tätig, Tochterunternehmen von Deutschlands größtem Halbleiterhersteller Infineon Technologies AG und des Elektro- und Energietechnikherstellers Siemens Energy AG. Früher war er ein Mann mit einem guten Ruf in Industriekreisen, der auch schon einmal eine Wirtschaftsdelegation mit dem damaligen Bundesminister Sigmar Gabriel an der Spitze nach Vietnam begleitet hatte.

„Das Ergebnis meiner Freundschaft mit ihm ist, dass ich vor der drohenden Insolvenz stehe und hier dem Strafverfahren ausgesetzt bin.“

Mitangeklagter über die Freundschaft zum ehemaligen Infineon-Manager

Den beiden Mitangeklagten, einem Ehepaar mit Wohnsitz in Düsseldorf, das mit dem ehemaligen Infineon-Manager befreundet war, wird Beihilfe zur Last gelegt. Am vergangenen Donnerstag hatte bereits die Ehefrau ausführlich ausgesagt. Sie präsentierte sich laut Zusammenfassung des Landgerichts als Strohfrau, sei nicht in die wesentlichen Vorgänge eingebunden gewesen. Ähnlich argumentierte am Dienstag ihr Mann, ein promovierter Heilpraktiker, der sich in einem parallel laufenden Zivilverfahren in der Causa mit einer Millionen-Forderung von Infineon konfrontiert sieht.

Er fasste seine Lage mit dem Satz zusammen: „Das Ergebnis meiner Freundschaft mit ihm (dem Hauptangeklagten, d. Red.) ist, dass ich vor der drohenden Insolvenz stehe und hier dem Strafverfahren ausgesetzt bin.“

Blindes Vertrauen

Der 54-Jährige präsentierte sich als – leicht zu verführendes – Opfer des ehemaligen Infineon-Managers, geblendet von der Freundschaft zu ihm und dessen einst gutem Ruf. Der Hauptangeklagte habe (scheinbar) Infineon im Rücken, zudem beispielsweise bei einem gemeinsamen Deal um eine Eventhalle in Dortmund eine bekannte deutsche Hip-Hop-Gruppe (und deren Manager) mit an Bord gehabt, also „absolute Profis“ und „potente Mitgesellschafter“. Der Heilpraktiker erklärte im Laufe seiner Befragung durch Kammer und Staatsanwaltschaft aber auch, dass er gar nicht so genau hingeschaut habe.

Er sei kein Zahlenmensch, habe noch nie eine Rechnung in seiner Praxis geschrieben (das erledige eine Mitarbeiterin), zu Hause habe sich seine Ehefrau um das Konto gekümmert. Den kaufmännischen Part in der Geschäftsbeziehung habe der ehemalige Infineon-Manager übernommen. Er hingegen habe in den gemeinsamen Firmen „keinen klar definierten Aufgabenbereich“, dafür „großes Vertrauen“ zu dem ehemaligen Infineon-Geschäftsführer gehabt.

„Ich habe zu ihm aufgeschaut, ich habe ihn als erfolgreichen Manager gesehen. Und dieser Mann wollte mich an innovativen Projekten beteiligen“, sagte der Heilpraktiker. Auf die Frage der Staatsanwaltschaft, ob er nicht „ziemlich blauäugig“ gewesen sei, antwortete er: „Ich war wahnsinnig blauäugig.“

„Ich war wahnsinnig blauäugig.“

Mitangeklagter

Bunker-Umbau zu Rechenzentrum

Den ehemaligen Infineon-Manager kannte der Heilpraktiker aus der Hausarztpraxis seines Vaters, in welcher Familienmitglieder des Hauptangeklagten Patienten gewesen seien. Ihre geschäftliche Beziehung sei dann um das Jahr 2006 gestartet, als der damalige Infineon-Manager mit der Idee auf ihn zugekommen sei, alte Bunker zu Rechenzentren für Infineon oder andere IT-Firmen umzubauen, außerdem „obendrauf“ Wohnungen zu errichten. „Ich fand die Idee total genial“, sagte der Heilpraktiker. Der Hauptangeklagte habe einen Bunker in Hamm für 25.000 Euro erworben, er sei dann mit der Hälfte der Summe eingestiegen.

Mehr als zwei Stunden lang berichtete der Heilpraktiker über die gemeinsamen Geschäfte mit dem Hauptangeklagten. Es ging um Immobiliendeals, die Idee der Sanierung von Altbauten, mehrere Gesellschaften, die beide zusammen gegründet hatten oder an denen sie beteiligt waren, Finanzierungsabsicherungen, Geschäfte ihrer einen Firma finanziert mit Mitteln einer ihrer anderen Firmen (bei der die Frau des Heilpraktikers Geschäftsführerin war). Auch die Pläne, am Möhnesee eine Privatklinik oder ein Künstlerdorf oder ein Tiny-House-Areal oder ein Schulungszentrum für Infineon zu errichten, wurden thematisiert. Irgendwann kommentierte Richterin Henkel die Ausführungen zu den teils verwirrenden Details mit dem Satz: „Sie haben einige hier im Saal verloren.“

„„Wir gehen seit vier Jahren durch die Hölle.“

Mitangeklagter

Aussage nach Zahn-Op

Die Kammer, später auch die Staatsanwaltschaft, bohrten nach. Das von dem Heilpraktiker geschilderte Maß an Unwissenheit und Naivität sorgte dabei ebenso für Verwunderung wie die Aussage des Mannes, dass er mit seiner Ehefrau teils gar nicht über die Deals gesprochen oder dass selbst das Stocken von Projekten keinen Verdacht in ihm geweckt habe.

Seine Naivität bezeichnete der Mann als den größten Fehler seines Lebens. Seine Frau und er gingen seit vier Jahren „durch die Hölle“. Zu dem seiner Meinung nach Hauptverantwortlichen für seine missliche Lage habe er übrigens seit knapp vier Jahren keinen Kontakt mehr.

Jener Hauptangeklagte sitzt im Saal eine Reihe vor dem Heilpraktiker. Der Dortmunder (52) hörte am Dienstag zu, machte sich Notizen. Die Aussage des ehemaligen Infineon-Managers ist nun für den kommenden Montag (9.12.) vorgesehen – eine erfolgreiche Zahnoperation vorausgesetzt.

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