Arnsberg. Verfahren gegen Ex-Manager, der Millionen veruntreut haben soll, erneut unterbrochen, weil Mitangeklagte fehlen. Wie es nun weitergeht.

Der Prozess gegen einen ehemaligen Infineon-Manager, der bei einem Warsteiner Tochterunternehmen des Chipherstellers Firmengeld in zweistelliger Millionenhöhe unterschlagen haben soll, droht zur unendlichen Geschichte zu werden. Der seit April wiederholt verschobene Start in die Verhandlung konnte auch am Dienstag nicht wie geplant stattfinden. Diesmal der Grund: Zwei Mitangeklagte erschienen nicht beim Termin vor der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Arnsberg.

Um 9:19 Uhr nahm die Vorsitzende Richterin Dorina Henkel auf der Richterbank Platz, seufzte und stellte mit einem Blick in die Runde fest: „Dieses Verfahren scheint ein bisschen verhext zu sein.“

Allerdings verhinderten bisher nicht nur höhere Mächte, dass der Strafprozess auch fast acht Monate nach dem ursprünglich vorgesehen Start immer noch nicht wie geplant in Gang gekommen ist.

„Dieses Verfahren scheint ein bisschen verhext zu sein.“

Dorina Henkel
Vorsitzende Richterin

Zweiter Prozess soll Krankheitsauslöser sein

Eigentlich hatte die Hauptverhandlung gegen den ehemaligen Infineon-Manager, dem unter anderem Untreue, Urkunden- und Bilanzfälschung sowie Verrat von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen zur Last gelegt wird, und zwei Mitangeklagte, denen Beihilfe zur Untreue vorgeworfen wird, am 16. April starten sollen. Damals aber soll der Hauptangeklagte erkrankt gewesen sein, er erschien im Frühjahr nicht zur Verhandlung in Arnsberg. Nach mehreren vergeblichen Anläufen wurde der Prozess ausgesetzt und in den Herbst verlegt. Doch auch der Neustart vor drei Wochen ging schief, weil dem Gericht ein peinlicher Fehler unterlaufen war: Wie sich auf Intervention der Verteidigung herausstellte, arbeitet einer der beiden ursprünglich vorgesehenen Schöffen für den Infineon-Mutterkonzern, eine mögliche Befangenheit des ehrenamtlichen Richters stand im Raum.

Am Dienstag, beim Neustart des Neustarts, wurde ein neuer Schöffe vereidigt, dennoch war nach eineinhalb Stunden erneut ungeplant Schluss. Die Verteidiger der beiden Mitangeklagten des ehemaligen Infineon-Managers erklärten, dass ihre Mandanten erkrankt seien. Diese Information hätten sie, die Verteidiger, erst am Morgen erhalten.

Mehr zum Thema

Wie Richterin Henkel nach Prüfung der vorgelegten ärztlichen Atteste mitteilte, liege demnach bei dem männlichen Mitangeklagten, einem promovierten Heilpraktiker, eine „akute psychische Belastungsstörung“ vor. Bei der mitangeklagten Ehefrau sei keine Diagnose hinterlegt. Auslöser für die kurzfristigen Erkrankungen soll ein parallel laufendes Zivilverfahren in der Causa sein, in dem am Freitag eine Verhandlung am Oberlandesgericht (OLG) Hamm stattgefunden hatte.

Familie drohe „wirtschaftlicher Totalschaden“

Die Staatsanwaltschaft wirft dem ehemaligen Infineon-Manager vor, insgesamt 14,2 Millionen Euro Firmengeld abgezweigt zu haben. In dem Zivilverfahren verlangt die Infineon Technologies Bipolar GmbH & Co. KG, eine Tochterfirma des Halbleiterherstellers, die Zahlung von gut drei Millionen Euro (zuzüglich Zinsen in Höhe von 1,3 Millionen Euro und weiterer Zinsen). Der ehemalige Infineon-Manager und der Heilpraktiker sollen Infineon-Geld veruntreut und über eine von ihnen gegründete Gesellschaft für Immobiliengeschäfte zweckentfremdet haben. Das Duo soll einst befreundet und über zahlreiche Gesellschaften geschäftlich verbunden gewesen sein.

In dem Zivilverfahren hatte das Landgericht Arnsberg im Mai 2023 die Infineon-Ansprüche bestätigt. Laut Urteil, das dieser Redaktion vorliegt, hat der ehemalige Infineon-Manager ein Schuldanerkenntnis in Höhe von 7,5 Millionen Euro abgegeben und seine persönliche Haftung anerkannt.

„Für die Familie ist das ein wirtschaftlicher Totalschaden.“

Klaus Telgenbüscher
Verteidiger

Vor dem OLG Hamm wurde am Freitag die Berufung verhandelt. Zwar fällte das OLG noch keine Entscheidung, dies soll erst Ende Januar geschehen. Der Senat hat laut Gerichtsangaben jedoch erklärt, dass die Berufung wahrscheinlich keinen Erfolg haben werde. Dies habe bei dem Heilpraktiker und dessen Ehefrau, welche sich als Opfer des ehemaligen Infineon-Managers sehen, verheerende Wirkung hinterlassen, erklärte einer der Verteidiger.

„Für die Familie“, sagte Klaus Telgenbüscher, „ist das ein wirtschaftlicher Totalschaden.“

Der Verteidiger des Heilpraktikers widersprach am Dienstag zudem der Einschätzung von Infineon-Anwalt Prof. Dr. Tido Park, der in seiner Funktion als Vertreter der Nebenklage den Verdacht äußerte, die Absenz der beiden Mitangeklagten wirke wie ein Versuch, das Verfahren vor dem OLG Hamm zu nutzen, um im Strafprozess vor dem Landgericht Arnsberg „irgendeinen Exit zu suchen“. Telgenbüscher verwies darauf, dass sein Mandant und dessen Ehefrau zuvor zu jedem Verhandlungstag in Arnsberg erschienen seien. „Die haben kein Interesse an einer Verzögerung, die haben sich dem Verfahren immer gestellt“, so der Anwalt.

Weitere Themen aus der Region:

Reise nach China am Verhandlungstag?

Nach einer Beratungspause der Kammer verkündete Richterin Henkel schließlich, dass die Verhandlung unterbrochen und am 26. November fortgesetzt werde – beziehungsweise das Verfahren, in dem bisher noch nicht einmal die Verlesung der Anklage durch die Staatsanwaltschaft erfolgt ist, dann endlich starten soll.

Auf eine Untersuchung der beiden Angeklagten durch einen Amtsarzt verzichtete die Kammer, trotz mancher Zweifel an den Erkrankungen. Richterin Henkel stellte den angeklagten Eheleuten allerdings in Aussicht, zum nächsten Verhandlungstermin mit dem Polizei-Taxi gebracht zu werden. Laut Verteidiger Telgenbüscher seien derartige „Zwangsmaßnahmen“ aber nicht erforderlich. Sein Kollege Volker Cramer, der die mitangeklagte Ehefrau verteidigt, betonte zudem, dass eine vor Monaten angekündigte Reise seiner Mandantin an eben jenem 26. November nach China inzwischen obsolet sei. „Die Reise findet nicht statt“, so der Verteidiger.

Abzuwarten bleibt, ob die Reise in einer Woche dafür nach Arnsberg zum Landgericht geht.