Arnsberg. Mit fast acht Monaten Verzögerung hat Verhandlung gegen Ex-Manager und zwei Mitangeklagte begonnen. Auftakt gerät teils konfus.
Es ging diesmal unter anderem um Garnelen in Vietnam, den tadellosen Ruf der Deutschen in China oder die Entstehung der Staatsanwaltschaft seit der Französischen Revolution, zudem mal wieder um eine (weitere) Aussetzung des Prozesses. Aber am Ende einer vierstündigen, für Beobachter teils konfusen Verhandlung vor dem Landgericht Arnsberg lässt sich festhalten: Nach fast achtmonatiger Verzögerung ist der Prozess gegen einen ehemaligen Infineon-Manager, der Firmengeld in zweistelliger Millionenhöhe veruntreut haben soll, und zwei Mitangeklagte doch noch gestartet. Wenn auch erneut holprig.
Zunächst sorgte am Dienstagmorgen ein Großbrand in Arnsberg für eine Autobahnsperrung und infolgedessen zu einer verspäteten Ankunft einiger Prozessbeteiligter am Landgericht. Dann stellte Verteidiger Volker Cramer, der eine Mitangeklagte vertritt, einen Antrag auf Aussetzung der Hauptverhandlung, weil er erst am Vortag die 3000 Seiten starke Akte zu einem Teil des Verfahrens erhalten habe und nun Zeit zur Einarbeitung benötige – in jenes Verfahren, das ursprünglich bereits im April dieses Jahres hatte starten sollen. Nachdem die Wirtschaftsstrafkammer den Antrag zurückgewiesen hatte, durfte die Staatsanwaltschaft schließlich vorbringen, was sie den drei Angeklagten vorwirft.
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25-minütige Verlesung der Anklage
In einem gut 25-minütigen Vortrag trugen abwechselnd zwei Vertreter der Staatsanwaltschaft aus zwei Anklagen vor, wie der ehemalige Infineon-Manager zwischen 2015 und 2021 insgesamt 14,2 Millionen Euro Firmengeld abgezweigt haben soll, etwa für eigene Immobiliengeschäfte oder zur Finanzierung seines „gehobenen Lebensstandards“. Der Vater dreier Söhne war seit dem Jahr 2007 in der Geschäftsführung der Infineon Technologies Bipolar GmbH & Co. KG in Warstein tätig, Tochterunternehmen von Deutschlands größtem Halbleiterhersteller Infineon Technologies AG und des Elektro- und Energietechnikherstellers Siemens Energy AG. Früher war er ein Mann mit einem guten Ruf in Industriekreisen, der auch schon einmal eine Wirtschaftsdelegation mit dem damaligen Bundesminister Sigmar Gabriel an der Spitze nach Vietnam begleitete. Nun ist er der Protagonist in diesem Wirtschaftsstrafprozess.
Der 52-Jährige soll unter anderem, so ein Vorwurf der Staatsanwaltschaft, Kontoauszüge einer Sparkasse und Saldenbestätigungen für Jahresabschlüsse gefälscht haben (per Software Adobe), um seine Privatgeschäfte mit Firmengeld gegenüber seinem Arbeitgeber zu verschleiern.
Der Hauptangeklagte will sich laut seiner Verteidiger im Laufe des Prozesses zu den Vorwürfen äußern. Am Dienstag sagte er jedoch lediglich zu seiner Person und seinem (beruflichen) Werdegang aus.
Gerüchte über Flucht nach Vietnam
So gab er unter anderem an, derzeit in der Immobilienverwertung und -Entwicklung tätig zu sein. Seit Sommer arbeite er zudem als Berater für eine Lebensmittelfirma aus dem Bergischen Land, für die er auch „drei, vier Tage auf Dienstreise“ in Vietnam gewesen sei. Sein Auftraggeber, bei dem er ab dem 1. Dezember festangestellt sei, suche in Vietnam einen Garnelenlieferanten. „Ich habe dort Kontakte hergestellt“, sagte der ehemalige Infineon-Manager, der damit wohl auch Gerüchten entgegentreten wollte, er habe sich nach Fernost absetzen wollen.
„Die Schulden bleiben für den Rest seines Lebens.“
Der Dortmunder bestätigte zudem, dass er Privatinsolvenz angemeldet hat. In einem parallel laufenden Zivilverfahren in der Causa hatte er eine Schuldanerkenntnis in Höhe von 7,5 Millionen Euro abgegeben und seine persönliche Haftung anerkannt. Zuzüglich Zinsen in Millionenhöhe entstünden so Schulden, die „für den Rest seines Lebens bleiben“, wie einer seiner vier Verteidiger erklärte. Der ehemalige Infineon-Manager verdient bei der Lebensmittelfirma laut eigener Angaben künftig monatlich 3000 bis 4000 Euro brutto, allerdings versehen „mit einer gewissen Bonuskomponente“.
Dem guten Ruf der Deutschen vertraut
Wie der Hauptangeklagte äußerte sich auch das mitangeklagte Ehepaar, dem Beihilfe zur Untreue zur Last gelegt wird, zunächst nur zu Person und Lebenslauf, zudem dazu, wie sie den Hauptangeklagten kennengelernt hatten.
Sie, 58, ist eine in China geborene und aufgewachsene deutsche Staatsangehörige, früher als Englisch-Dolmetscherin für das chinesische Außenministerium tätig. Er, 54, ist ein in Trier zur Welt gekommener Sohn eines Chinesen und einer Deutschen, der in Peking traditionelle chinesische Medizin studierte. Das Duo soll mit dem ehemaligen Infineon-Manager einst befreundet und über zahlreiche Gesellschaften geschäftlich verbunden gewesen sein. In Kontakt gekommen mit dem Hauptangeklagten sei der Ehemann, ein Heilpraktiker, einst über die Hausarztpraxis seines Vaters, in welcher Familienmitglieder des ehemaligen Infineon-Managers über Jahre Patienten gewesen seien.
„Ich habe die Deutschen als fleißig, ehrlich, gut angesehen. Das hört sich vielleicht doof an, aber so habe ich gedacht.“
Die Ehefrau gab an, den ehemaligen Infineon-Manager über ihren Mann kennengelernt zu haben. Auf der Anklagebank in Saal 3 des Landgerichts Arnsberg will sie nun offenbar auch deshalb gelandet sein, weil sie dem Hauptangeklagten und dem guten Ruf der Deutschen in ihrer chinesischen Heimat vertraut habe. Früher habe sie die Deutschen als „fleißig, ehrlich, gut“ angesehen. „Das hört sich vielleicht doof an“, sagt die gebürtige Chinesin, „aber so habe ich gedacht.“
Verteidiger kritisieren Staatsanwaltschaft
Das Ehepaar sieht sich in diesem Prozess als Opfer des ehemaligen Infineon-Managers. Dessen Anwälte nutzten den Prozessauftakt am Dienstag für das Verlesen einer „Eröffnungserklärung“. Verteidiger Prof. Dr. Klaus Bernsmann kritisierte darin vor allem die Arbeit der zur Neutralität verpflichteten Staatsanwaltschaft, über deren Einrichtung seit der Französischen Revolution er eingangs seines Vortrags dozierte (Bernsmann: „Ich hole etwas weiter aus“).
Im vorliegenden Fall habe sich die Staatsanwaltschaft Arnsberg in erheblichem Maße auf die Arbeit privater Ermittler verlassen, daher nicht unabhängig gearbeitet. Hintergrund: Nach Informationen dieser Zeitung hatte sich der Hauptangeklagte im September 2020 bei seinem Arbeitgeber offenbart. Dieser stellte daraufhin Strafanzeige und kündigte ihm. Mithilfe einer Anwaltskanzlei ermittelte Infineon, dessen Tochterfirma in dem Prozess in Arnsberg als Nebenklägerin involviert ist, und befragte – in vor Gericht als „Interviews“ bezeichneten – Gesprächen den Hauptangeklagten.
„Nebelkerzen und Fensterreden“
Seinem Mandanten, der lediglich einmal von der Staatsanwaltschaft vernommen worden sei, sei allerdings nicht bewusst gewesen, dass die Inhalte dieser Interviews „ungefiltert“ ins Strafverfahren Einzug hielten. Sprich: Möglicherweise selbstbelastende Aussagen gegenüber Infineon hätten von der Staatsanwaltschaft nicht übernommen werden dürfen, seien jedoch „wesentliche Bestandteile der Anklageschrift“ geworden.
Während die Staatsanwaltschaft darauf nicht reagierte, wiesen die Anwälte von Infineon nach der Verhandlung die Darstellung zurück. Der Hauptangeklagte sei schriftlich belehrt worden, dass die Interview-Aussagen eins zu eins an die Staatsanwaltschaft weitergegeben werden könnten, zudem sei er in den Interviews anwaltlich begleitet aufgetreten. Die Erklärung der Verteidigung sei „nichts als Nebelkerzen und Fensterreden“, so die Infineon-Anwälte.
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