Hagen. In Südwestfalen hängen Tausende Jobs an Volkswagen. Wo Arbeitgebervertreter und Gewerkschaft IG Metall die größten Probleme sehen.
Die VW-Krise mit drohenden Werksschließungen und drohendem Arbeitsplatzabbau beim größten deutschen Autobauer dürfte auch an der Industrie in Südwestfalen nicht spurlos vorübergehen. Hier gibt es zahlreiche Unternehmen, die von der kleinen Schraube bis zur großen Karosseriekomponente für den Konzern mit Sitz in Wolfsburg und seinen Werken in ganz Deutschland produzieren.
Gewerkschafter zur Situation der Zuliefererindustrie in Südwestfalen
„Die Lage wird durch die Entwicklungen bei VW noch angespannter. Die genauen Auswirkungen können wir als Gewerkschaft noch nicht abschätzen.“
„Die Lage wird durch die Entwicklungen bei VW noch angespannter. Die genauen Auswirkungen können wir als Gewerkschaft noch nicht abschätzen“, sagt André Arenz, Chef der Industriegewerkschaft Metall (IG Metall) im Kreis Olpe, wo viele namhafte auf Karosserieleichtbau spezialisierte Autozulieferer wie Muhr und Bender (Mubea), Gedia oder Kirchhoff, aber auch zahlreiche kleinere Unternehmen aus der Branche zu Hause sind. Wie weit jeder einzelne Betrieb die Entscheidungen des VW-Konzerns am Standort Deutschland spüren wird, kann auch Olpes IG-Metall-Chef Arenz nicht seriös beantworten. Fest steht: „Es kommt ein großes Problem auf uns zu. Wir als IG Metall können den Unternehmen bei uns in der Region nur raten, innovativ zu sein und neue Produkte zu entwickeln.“
„Ein Zehntel der Plettenberger Bevölkerung hängt im Job an VW.“
Plettenberg gilt als „Verbrennerhauptstadt“, sagt Fabian Ferber, Erster Bevollmächtigter der IG Metall im Märkischen Kreis. Rund 60 Prozent aller Pleuelstangen für Verbrennermotoren kommen laut Ferber heute noch aus der 24.000-Einwohner-Stadt im Sauerland, wo von der kleineren Dreherei bis zu großen Schmieden viel von der Autoindustrie abhängt, insbesondere vom Volkswagenkonzern. „Ein Zehntel der Plettenberger Bevölkerung hängt im Job an VW“, schätzt Ferber. 15.000 bis 20.000 dürften es seiner Ansicht nach im Märkischen Kreis sein, die an VW hängen, vom Mittelständler bis zum Handwerksbetrieb und Autohändler.
Das sagt der Autoexperte Professor Stefan Bratzel
Die Zulieferer werden betroffen sein, wenn VW-Werke in Deutschland geschlossen werden sollten, ist sich der Autoexperte Professor Stefan Bratzel ziemlich sicher: „Aufträge, die jetzt noch aus entsprechenden Werken stammen, würden erst einmal verloren gehen.“ Selbst wenn die Kapazitäten in andere VW-Werke beispielsweise in Osteuropa verlagert würden, müssten sich die Zulieferer darauf neu bewerben. Insbesondere für kleinere Unternehmen, die nicht über Standorte im entsprechenden Ausland verfügen, könnte dies schwierig werden.
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„VW zeigt deutlich, dass wir eine Polykrise in der Automobilindustrie in Deutschland haben. Darauf haben wir bereits vor einem Jahr aufmerksam gemacht. Nun ist die Politik aufgewacht“, sagt Bratzel mit Blick auf die Vorschläge der Bundesregierung und die Industriegipfel in dieser Woche. „Es ist ein Jahr verschenkt worden“, lautet das Fazit des Experten.
So sehen es Unternehmer aus der Region und Arbeitgebervertreter
„VW steht als Deutschlands größter Automobilhersteller stellvertretend für die gesamte Branche“, sagt der Mendener Unternehmer Hermann Josef-Schulte, dessen Firma HJS unter anderem Abgassysteme für Fahrzeuge herstellt. Das Hickhack um das Verbrenner-Aus habe die Kunden verunsichert, so Schulte. Er kritisierte aber auch die Tarifpolitik bei Volkswagen. Dort seien über Jahrzehnte die falschen Strukturen geschaffen worden, angesichts der starken internationalen Konkurrenz könne man diese nun nicht mehr aufrechterhalten. „Da ist jetzt eine brachiale Notbremsung erforderlich“, so Schulte. Zudem habe der Abgasskandal (Diesel-Gate) VW unter dem Strich mehr als 30 Milliarden Euro gekostet. „Das Geld hätte man gut in neue Entwicklungen investieren können.“
Horst-Werner Maier-Hunke, Vorsitzender des Märkischen Arbeitgeberverbandes (MAV) mit Sitz in Iserlohn und Hagen, schätzt die aktuelle Entwicklung so ein: „Die wirtschaftliche Lage ist ohnehin bereits ernst. Daher kommt die Krise bei Volkswagen für die heimischen Automobilzulieferer zur Unzeit. Sparzwänge in Wolfsburg dürften auch Auswirkungen auf die Märkische Region haben. Zumindest werden Preisverhandlungen für die Zulieferer sicher nicht einfacher. Die Krise bei Volkswagen sollte den Tarifparteien vor Augen führen, dass jetzt Einigkeit und nicht harte Konfrontation geboten ist. Die Automobilindustrie benötigt alle Kräfte für den gemeinsamen Weg in die Zukunft. Wir fordern eine schnelle, konstruktive Einigung in der aktuellen Tarifrunde. Es wäre wünschenswert, dass das sowohl bei Volkswagen als auch in der gesamten Metall- und Elektro-Industrie gelingt.“
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Gerade wird nicht nur bei VW verhandelt, sondern in der gesamten Metall- und Elektrobranche. Nach Ende der sogenannten Friedenspflicht in der Nacht zu Dienstag sind auch in Südwestfalen zahlreiche Beschäftigte bereits in der Nachtschicht auf die Straße gegangen und ließen die Bänder stillstehen, weil sie mit dem Angebot der Arbeitgeber in Höhe von 3,6 Prozent mehr Entgelt in zwei Stufen bei einer Laufzeit von 27 Monaten nicht einverstanden sind. Die IG Metall fordert 7 Prozent bei zwölf Monaten.