Hagen/Hemer. Aufmerksamkeit Regierender gilt oft Großkonzernen. Im Mittelstand findet Job-Abbau längst statt. Automobilbranche besonders betroffen.

Die neuesten schlechten Nachrichten stammen aus dem Bergischen Land, haben aber auch Auswirkungen in Südwestfalen: Von der Insolvenz des Wuppertaler Autozulieferers WKW ist auch die Tochtergesellschaft Erbslöh Aluminium mit Werk in Hemer betroffen. WKW beschäftigt deutschlandweit etwa 1800 Mitarbeiter, nun stehen viele Stellen auf der Kippe. 

Deutschland steckt in einer Wirtschaftskrise – und die in Südwestfalen stark verwurzelte Autozulieferindustrie trifft es besonders hart. Zuletzt haben zahlreiche mittelständische Unternehmen in der Region angekündigt, Arbeitsplätze streichen zu wollen. Kostal hat in Lüdenscheid und Meinerzhagen mehr als 400 Mitarbeitern gekündigt, Hella will in Lippstadt ebenfalls mehr als 400 Jobs abbauen, Mubea mit Hauptsitz in Attendorn bis Ende 2025 rund 300. Andere Betriebe wie Honsel in Meschede stemmen sich mit Kurzarbeit gegen den Trend. In der Folge bauen auch kleinere Firmen Kapazitäten ab, treten damit aber öffentlich nicht in Erscheinung.

Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach.

„Die Mittelständler leiden besonders stark unter der Krise, aber sie stehen anders als die großen Autohersteller nicht so im Blickpunkt.“

Professor Stefan Bratzel

„Die Lage ist äußerst kritisch“, sagt Branchenexperte Prof. Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach. „Die Mittelständler leiden besonders stark unter der Krise, aber sie stehen anders als die großen Autohersteller nicht so im Blickpunkt.“ Auch sie würden neue Projekte und Investitionen zunehmend nach Osteuropa verlagern. „Die kommen in den nächsten 15 Jahren auch nicht zurück“, sagt Bratzel.

Der Wissenschaftler macht unter anderem die negativen Standortfaktoren für die miese Lage der Branche verantwortlich. Die Energiekosten seien deutlich zu hoch, der Bürokratieaufwand „riesig“, das Gehaltsniveau „relativ hoch“. Die Forderung der IG Metall nach sieben Prozent mehr Gehalt passe nicht in die Zeit.

Allerdings hätten auch die deutschen Automobilhersteller die Transformation in der Branche verschlafen. Das beziehe sich nicht nur auf die E-Mobilität, sondern auch auf die Tatsache, dass Computer und Software eine immer größere Rolle in Fahrzeugen spielten. „Die schnelle Entwicklung in China ist unterschätzt worden“, sagt Bratzel.

Er fordert einen „Deutschland-Pakt“, bei dem Unternehmen und Politik an einem Strang ziehen, um die Standortfaktoren wieder zu verbessern. Auf Unterstützung seien vor allem die mittelständischen und kleinen Unternehmen angewiesen, auch weil es für sie schwieriger sei, in Zeiten der Konjunkturflaute an Kredite zu kommen. Software-Entwicklungen und Künstliche Intelligenz seien bisher nicht die Stärke der Branche in Südwestfalen. Das müsse sich ändern. „Wir müssen so viel innovativer sein, wie wir auf dem Weltmarkt teurer sind“, sagt Bratzel.

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Das gilt längst nicht nur für die Automobilbranche. Der drohende große Knall verbreitet sich aktuell aus Orten wie Essen (Thyssenkrupp Stahl, Evonik) oder Wolfsburg (Volkswagen) wie eine Druckwelle bis auf die Regierungsbänke in Düsseldorf beziehungsweise Berlin. Bei Stahl, Chemie und Autobau stehen Zahlen zu zukünftigem Arbeitsplatzabbau im Raum wie Ungetüme, denen die volle Aufmerksamkeit der Politik gilt. Allen Beteuerungen der Regierenden zum Trotz gerät womöglich der Mittelstand, der Regionen wie Südwestfalen stark gemacht hat, aus dem Blick. Hier spiegelt sich die Stagnation bereits in harten Zahlen wider, wird Job-Abbau zunehmend bereits Realität. Und die Aussichten versprechen keineswegs eine Verbesserung der Lage. Dem bereits schwarzen Herbst könnte ein noch düsterer Jahreswechsel folgen.

Es sind keine Entlassungen über Nacht. Noch sind Unternehmen wie Forvia Hella und Mubea in der Lage, möglichst sozialverträglich zu reagieren. Dass es selbst so starke Player trifft, die in ihrer Branche zu den Technologie- und Weltmarktführern gehören und international aufgestellt sind, ist eine höchst beunruhigende Nachricht für den Standort Deutschland.

Kurzarbeit - ein endliches Instrument

Kurzarbeit gehört mittlerweile in zahlreichen Firmen zum Alltag. Immer dann, wenn die Auftragslage weit hinter den Planungen und Produktionskapazitäten zurückbleibt. Betroffen sind davon in Südwestfalen derzeit sicher einige tausend Beschäftigte – eine tagesscharfe Zahl ist immer erst mit mehrmonatiger Verzögerung von der Bundesagentur für Arbeit zu bekommen, wo Kurzarbeitsbedarfe angemeldet werden. Ob diese Anmeldungen vorsorglich sind oder tatsächlich genutzt wurden, stellt sich eben erst im Nachhinein heraus.

Kurzarbeit ist ein von Arbeitgebern und Arbeitnehmern anerkannt gutes Instrument, um zwischenzeitliche Auftragsflauten zu überbrücken. Aber es ist nur begrenzt einsetzbar. Maximal zwölf aufeinanderfolgende Monate. Danach muss eine gewisse Zeit wieder voll beschäftigt werden.

In Südwestfalen ist der Fachkräftemangel im Vergleich zu anderen Regionen in Nordrhein-Westfalen besonders hoch. Analog sind Unternehmen bemüht, selbst in schlechten Zeiten wie aktuell, ihr Personal zu halten, die Zeit zu nutzen, um zu qualifizieren. Aber auch dies ist endlich.

Creditreform sieht Mittelstand in der Klemme

Die wirtschaftliche Lage des Mittelstandes bleibt auch im Herbst 2024 und somit das zweite Jahr in Folge angespannt, schätzt Wirtschaftsauskunftei Creditreform die Situation kritisch ein. „Es ist 20 Jahre her, dass das Geschäftsklima im Mittelstand zuletzt zwei Jahre in Folge negativ war“, sagt Patrick-Ludwig Hantzsch, Leiter der Wirtschaftsforschung des Unternehmens mit Sitz in Neuss. Hantzsch vergleicht die anhaltende schwache Wirtschaftslage denn auch mit der von 2004, also bevor die Regierung Schröder die sogenannten Hartz-Reformen entwickelte, um den Konjunkturmotor wieder in Schwung zu bringen.

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Es gibt eine toxische Gemengelage. Die Experten sprechen davon, dass die „Stapelkrise“, also die Folge mehrerer Krisen wie Halbleitermangel 2019, Corona-Krise ab 2020 und Ukraine-Kriegs-Krise mit Energiekostenexplosion ab 2022, noch nicht verdaut sei. Und dies betrifft bei weitem nicht nur die Automobilbranche, sondern beinahe alle Branchen. Hohe Inflation in den Jahren 2022 und 2023 haben den Konsum gebremst und die Menschen beim Geldausgeben sicher mehr verunsichert als es ein Habeck‘sches Heizungsgesetz allein je gekonnt hätte. Psychologie spielt hier eine große Rolle. War das Gebäudeenergiegesetz (GEG) im Detail vielleicht verbesserungsbedürftig, war vor allem die Kommunikation zum GEG so unterirdisch, dass die Portemonnaies noch ein Stück tiefer in die Tasche gesteckt wurden und ein ganzer Markt ausgebremst worden ist. Selbst ein Heizungsbauunternehmen wie Vaillant aus Remscheid, eines der führenden Unternehmen in Deutschland und Europa in der Branche, muss den Gürtel enger schnallen und kündigt den Abbau von einhundert Arbeitsplätzen an.

Im Hochsauerland leidet das Traditionsunternehmen Oventrop, ebenfalls aus der Branche rund um Heizungsbau, bereits im vergangenen Jahr und kündigte den Abbau von rund 200 Stellen an.

Noch, so kommentiert die Bundesagentur für Arbeit, sei der Arbeitsmarkt angesichts der wirtschaftlichen Lage relativ stabil. Das mag stimmen, allerdings lag die Arbeitslosenzahl im September bundesweit bei 2,81 Millionen – und damit bereits um 180.000 höher als im September des Vorjahres. Vergessen wird angesichts der Giganten wie VW und Thyssenkrupp, dass zunehmend kleinere Betriebe nicht mehr alle Beschäftigten halten können. In der Summe geht es in Regionen wie Südwestfalen am Ende aber eben doch um Tausende Jobs, die durch die anhaltende Krise wackeln. Noch ist es ein eher schleichender Prozess mit sich abzeichnenden Produktionsverlagerungen weg vom Standort Deutschland und bestimmt von der schwachen Wirtschaftslage, die beinahe unbemerkt gerade die kleinen Betriebe hart trifft.