Meschede. Im Ehrenamt baut und verwaltet ein Elternverein einen Kindergarten im Sauerland. Wie er nun mit einem 30.000-Euro-Defizit umgeht.
Dafür, dass ihr 30.000 Euro fehlen, macht Daniela Douteil einen ziemlich gefassten Eindruck. Vielleicht wäre das Verhalten des kleinen Mädchens nebenan eher angebracht, das im Eingangsbereich der Kita aus ungeklärter Ursache die Hände über dem Kopf zusammenschlägt. Aber zum einen ist Daniela Douteil erwachsen und zum anderen trägt sie neuerdings die Verantwortung hier. Da will sie natürlich nicht kopflos wirken.
Douteil, 38, ist seit kurzem neue Vorsitzende des Elternvereins Freienohl e.V. Der ist Träger des Regenbogen Bewegungskindergartens in Meschede-Freienohl. Douteil und ihre Mitstreiter verwalten ein Jahresbudget von rund 850.000 Euro, beschäftigen 17 Mitarbeiter, tragen die Verantwortung für 63 Kinder – und müssen eingangs erwähnten Fehlbetrag irgendwie aufbringen.
Das alles im Ehrenamt.
Die Finanzkrise, über die viele Kita-Träger in Nordrhein-Westfalen seit Monaten klagen und von drohenden Insolvenzen sprechen lässt, die erreicht für Daniela Douteil und die anderen Vorstandsmitglieder ihres Elternvereins eine ganz andere, sehr persönliche Dimension.
„Auch wir“, sagt die zweifache Mutter, „stehen vor einem Dilemma, nur, dass wir das alles nebenbei machen. In unserer Freizeit.“
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54.417 Euro Defizit
Der Elternverein wurde 1991 gegründet, er baute die Kita in Freienohl und führt sie als Arbeitgeber. Der Elternverein habe 169 Mitglieder, der reguläre Jahresbeitrag betrage 60 Euro. Jedes Mitglied müsse jährlich sechs Arbeitsstunden leisten (Alleinerziehende drei). Man kann sich auch von den Arbeitseinsätzen freikaufen. Daniela Douteil aber und ihr Stellvertreter Christian Steins (40), die können sich nicht so einfach von ihrer Verantwortung befreien.
Beide waren bereits zuvor im Vereinsvorstand engagiert, Ende September wurden sie auf der Mitgliederversammlung in ihre neuen Ämter gewählt. Nun müssen sie federführend vor allem das für das laufende Kita-Jahr erwartete Finanzloch stopfen. Einnahmen von 791.662,06 Euro stehen Ausgaben in Höhe von 846.079,45 Euro entgegen. Macht: -54.417,39 Euro.
„Wir laufen auf ein Desaster zu.“
Sie planen Aktionen wie einen Waffelverkauf, bitten um Spenden, prüfen Stromverträge und die Beantragung von Fördergeld, aber letztendlich auch die Reduzierung von Personalstunden (d.h. Betreuungszeiten), wie sie es im vergangenen Jahr getan haben, um damals noch auf eine schwarze Null zu kommen. Dass sie mehr Geld einnehmen müssen, als sie im Rahmen des Kinderbildungsgesetzes (KiBiz) bekommen, ist wohl nicht neu. Aber so schwierig wie diesmal sei es noch nie gewesen.
„Mit dem Defizit von 54.000 Euro würden wir einen Tiefpunkt erreichen. Unser bisher größtes Minus betrug 30.000 Euro“, sagt Daniela Douteil. Immerhin: Sie hätten es inzwischen geschafft, das erwartete Defizit zu reduzieren. „Aktuell blicken wir auf einen Fehlbetrag von 20.000 bis 30.000 Euro für das laufende Kita-Jahr“, sagt Douteil.
Streitthema Kita-Finanzierung
Seit Monaten wird in Nordrhein-Westfalen über die Finanzlage vieler Kindertagesstätten debattiert. Landesweit funken nicht-kommunale Kita-Träger SOS, das Land lasse sie finanziell verhungern.
Die Einnahmen der Kitas beinhalten vor allem die im Kinderbildungsgesetz (KiBiz) geregelten Kindpauschalen, welche sich aus öffentlichen Mittel (Jugendamt und Land) sowie aus dem Anteil des Trägers zusammensetzen. Auch die Kita-Gebühren, welche Eltern an die jeweilige Kommune entrichten, fließen in den Anteil des Jugendamtes an den Kindpauschalen. Zudem können Kita-Träger Landes-Zuschüsse erhalten, etwa für Auszubildende.
Das KiBiz sieht zudem vor, dass die Träger Rücklagen bilden sollen, um Betriebs- und Investitionskosten zu decken. Dies sei jedoch nicht möglich, weil die Einnahmen nicht ausreichten, sagen Kita-Träger, so auch der Elterverein Freienohl e.V.
Das NRW-Familienministerium um Ressortchefin Josefine Paul (Grüne) verweist darauf, dass das Land zum einen bereits 100 Millionen als einmalige Überbrückungshilfe an die Kita-Träger gezahlt habe. Zum anderen sei die Kindpauschale zum laufenden Kita-Jahr um rund zehn Prozent erhöht worden, insgesamt seien dies 370 Millionen Euro zusätzlich. Die freien Kita-Träger bezeichnen dies als unzureichend.
Freizeitbeschäftigung: Personalfragen, Energiepreise, Kita-Ausbau
Andere Eltern engagieren sich ehrenamtlich im Sportverein. Sie und Christian Steins aber beschäftigen sich mit Personalfragen, mit der Ganztagsbetreuung und einem erforderlichen Kita-Ausbau oder der gesetzlich geregelten Kita-Finanzierung (die sie als nicht auskömmlich bezeichnen), außerdem mit Inflation, Energiepreisen, Tarifabschlüssen. Und so weiter und so fort. All diese Probleme plagen auch andere Kita-Träger. Nur, betont Daniela Douteil: „Wir haben nicht die große Infrastruktur wie die großen Kita-Träger.“
„Wir sind ein bisschen verrückt, es zu tun.“
Sie, die zwei Kinder (Douteil) und ein Kind (Steins) in ihrer Kita in Freienohl haben, engagieren sich nicht nur als Eltern, sondern auch, weil sie sich der gesellschaftlichen Verantwortung stellen, etwas gestalten und verändern wollen, wie sie erklären. „Wir legen hier den Grundstein für das Leben und die Ausbildung der Kinder“, sagt Daniela Douteil, während Christian Steins ergänzt: „Wenn wir uns in 20 Jahren treffen, dann kann ich vielleicht sagen, ich habe einen kleinen Anteil daran, dass es gut gelaufen ist für unsere Kita.“
Er sagt dann allerdings auch: „Wir sind ein bisschen verrückt, es zu tun.“
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Engagement ist zeitintensiv
Wie viele Stunden für ihre ehrenamtliche Tätigkeit pro Monat draufgehen, können sie im Detail nicht beziffern. Vielleicht wollen sie es auch aus Eigenschutz gar nicht genau wissen. Sieben Stunden, also etwa ein Arbeitstag, seien es geschätzt, meint Steins. Aber wahrscheinlich sei es deutlich mehr, gerade jetzt, da sie den Vorsitz ihres Vereins übernommen haben und sich einarbeiten müssen.
Beide sind fachfremd, haben keinen pädagogischen Hintergrund. Die Einarbeitung in die Materie – Daniela Douteil vergleicht es mit „Vokabeln lernen“ – kostet Zeit. Zeit, die teils auf Kosten ihrer Familie geht. „Unser Engagement belastet natürlich auch unser Familienleben“, erzählt Douteil.
Andererseits könnte es – in der wirtschaftlich angespannten Situation ihrer Kita – von Vorteil sein, dass sie über einen anderen beruflichen Hintergrund verfügen.
Vorteil: Erfahrung in der Privat-Wirtschaft
Daniela Douteil leitet mit ihrem Mann Thomas einen Baustoffhandel in Freienohl, Christian Steins ist selbstständiger Informatiker. Beide kommen also, wie Daniela Douteil formuliert, „aus der Wirtschaft“. Und das hört man auch.
Sie sprechen von „Kostensenkungen“ und „Prozessoptimierungen“. So werde beispielsweise die Zusammenarbeit mit einem Dienstleister, der bisher die Gehaltsabrechnung übernahm, beendet. Die Arbeit leiste künftig die Stadt Meschede. Das spare dem Elternverein tausende Euro pro Jahr. Das hilft, aber die Lage ist herausfordernd.
Die Geschäftsleute Douteil und Steins betonen, dass ihnen als Unternehmer Risiken und finanzielle Herausforderungen bekannt seien. Aber besorgt sind sie durchaus, weil die gesetzlich geregelte Finanzierung der Kitas ein strukturelles Problem sei und hinten und vorne nicht ausreiche. „Wir“, sagt Douteil, „laufen auf ein Desaster zu.“
Es ist ein Appell. Aus dem Ehrenamt.