Hagen. Seit einem Jahr sitzen vier Sauerländer in Palma in U-Haft, Vorwurf: Gruppenvergewaltigung. Anwalt des mutmaßlichen Opfers übt Kritik.

Es ist ein Jahrestag, der keinen Anlass zu einer Feier gibt: Seit zwölf Monaten sitzen vier junge Männer aus Lüdenscheid in Palma de Mallorca in Untersuchungshaft. An diesem Samstag, 13. Juli, wird es ein Jahr zurückliegen, dass sie wegen des Vorwurfs der Gruppenvergewaltigung einer deutschen Urlauberin auf der Baleareninsel verhaftet wurden.

Zwölf Monate in Untersuchungshaft, ohne Anklage, ohne Prozess, das wäre in Deutschland in der Regel nicht zulässig. In Spanien hingegen schon. Für die vier beschuldigten Männer aus dem Sauerland, die Anfang 20 sind, bedeutet das: Ungewissheit. Und: Im Extremfall könnte es noch jahrelang so weitergehen (siehe Infobox).

Aber auch für das mutmaßliche Opfer in diesem Fall, der nicht voranzugehen scheint, sei die Situation „unerträglich“, betont Steffen Hörning. Der Göttinger Anwalt vertritt die junge Frau in Deutschland. Er sagt im Gespräch mit der WESTFALENPOST: „Es ist eine emotional sehr belastende Situation für meine Mandantin. Da sie nichts erfährt und nicht weiß, wie es in dem Verfahren weitergeht, ist es schwierig, mit der Traumatisierung umzugehen und abschließen zu können.“

Nach Lage der Dinge ist ein Ende der Ungewissheit nicht abzusehen. Für keine der Parteien.

Anklage erst in Monaten?

In Deutschland ist eine Untersuchungshaft in der Regel auf sechs Monate begrenzt. Über die Regelungen in Spanien sagt die Juristin Ágata María Sanz Hermida der WESTFALENPOST: „Wir haben in unserem Strafprozessrecht ein etwas komplexes System zur Regelung von Höchstfristen.“

Wie die Professorin für Verfahrensrecht an der Universität Kastilien-La Mancha in Toledo erklärt, richtet sich die Dauer der Untersuchungshaft in Spanien unter anderem nach der Freiheitsstrafe, die für ein im Raum stehendes Verbrechen verhängt werden kann. Für eine Gruppenvergewaltigung beträgt die Höchststrafe in Spanien (wie in Deutschland) 15 Jahre. Daraus ergibt sich, dass die Untersuchungshaft im Extremfall für die vier Lüdenscheider insgesamt vier Jahre betragen könnte (Höchstdauer zwei Jahre, jedoch verlängerbar um bis zu weitere zwei Jahre). Solche Verlängerungen, für die ein Gerichtsbeschluss erforderlich sei, seien aber „die absolute Ausnahme“, sagt Sanz Hermida.

Neben diesen Fristen für die Untersuchungshaft gibt es noch die für eine Anklageerhebung. In der Regel muss in Spanien binnen eines Jahres ab dem Tatzeitpunkt entschieden werden, ob es zur Verhandlung vor Gericht kommt oder das Verfahren eingestellt wird. Die spanische Strafprozessordnung sieht allerdings die Möglichkeit vor, diese Frist um jeweils bis zu sechs Monate zu verlängern – und das immer wieder aufs Neue, denn ein Limit gebe es hier nicht. „Das Gesetz gibt keine bestimmte Grenze vor“, sagt Ágata María Sanz Hermida, „aber die Verlängerungen können natürlich nicht unbegrenzt sein.“ Sie müssten jeweils richterlich geprüft und gewährt werden.

Anklageerhebung vertagt?

Nach den bisher veröffentlichten Erkenntnissen der spanischen Ermittler soll es in der Nacht zum 13. Juli 2023 zu der Gruppenvergewaltigung gekommen sein. Demnach hatte einer der anfangs sechs Beschuldigten die damals 18 Jahre alte Deutsche kennengelernt. Die beiden sollen zunächst einvernehmlichen Geschlechtsverkehr außerhalb des Hotels, in dem die Lüdenscheider untergebracht waren, gehabt haben. Später soll das mutmaßliche Opfer aber mit dorthin gekommen sein. Im Hotelzimmer soll es dann zu sexuellen Übergriffen durch mehrere der Männer gekommen sein.

Zunächst waren sechs Männer auf Mallorca verhaftet worden. Einer wurde nach zwei Tagen entlassen, ein weiterer kam im September wohl gegen Kaution und unter Meldeauflagen auf freien Fuß. Er soll wieder in Deutschland sein. Gleichwohl soll weiter in Spanien gegen ihn ermittelt werden.

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Wie es den vier Beschuldigten, welche in Untersuchungshaft verblieben sind und die Vorwürfe bestreiten, nach einem Jahr im Gefängnis geht, ist unklar. Weder sie noch ihre Angehörigen haben sich bisher gegenüber den Medien geäußert. Ihre deutschen Anwälte möchten oder dürfen nichts (mehr) sagen, der spanische Anwalt, mit dem die deutschen Verteidiger zusammenarbeiten sollen, lässt die Gelegenheit zur Stellungnahme gegenüber der WESTFALENPOST wiederholt ungenutzt. Nach Informationen der Mallorca Zeitung soll inzwischen – nicht zum ersten Mal – ein Wechsel im spanischen Anwaltsteam stattgefunden haben. Zudem soll das in dem Verfahren zuständige Gericht in Palma, das bisher nicht auf Anfragen der WESTFALENPOST reagierte, eine Entscheidung über eine Anklageerhebung und damit einen Prozessbeginn vertagt haben. Um bis zu sechs Monate.

Rechtsanwalt Steffen Hörning ist Vertreter der Nebenklägerin.

„Es ist eine unerträgliche Situation für meine Mandantin, die keine Informationen zu diesem Verfahren bekommt, noch nicht mal von mir, ihrem Anwalt, weil ich keine Akteneinsicht erhalte.“

Steffen Hörning – Anwalt des mutmaßlichen Opfers

Verteidiger hält Fall für „ausermittelt“

Im April hatte der Dortmunder Anwalt Christian Isselhorst, der einen der Beschuldigten in Deutschland vertritt, erklärt, dass sich die Beweislage – mehr oder weniger – ab zwei Wochen nach der Festnahme der Beschuldigten im Juli 2023 nicht mehr verändert habe, der Fall „ausermittelt“ sei.

„Es ist nicht so, dass noch was ausgewertet werden müsste. Es liegt alles auf dem Tisch, alle Beteiligten haben ihre Aussagen gemacht. Deshalb haben wir kein Verständnis dafür, dass bislang keine Entscheidung der Staatsanwaltschaft über eine Anklageerhebung ergangen ist“, sagte Isselhorst vor drei Monaten.

Damals war er noch davon ausgegangen, dass bis Juli die Entscheidung gefallen sei, ob Anklage erhoben werde. Dazu kam es offenbar nicht.

Christian Isselhorst ist Rechtsanwalt und Strafverteidiger aus Dortmund.

„Es ist nicht so, dass noch was ausgewertet werden müsste. Es liegt alles auf dem Tisch, alle Beteiligten haben ihre Aussagen gemacht.“

Christian Isselhorst im April – Verteidiger eines Beschuldigten

„Was das mit Opferschutz zu tun hat, muss mir mal jemand erklären“

Steffen Hörning, der Anwalt der jungen Frau, die vergewaltigt worden sein soll, wundert sich ebenfalls über die Verfahrensdauer, sagt, dass auch seine Mandantin keine Informationen aus Spanien zum Verfahrensstand erhalte und zeigt sich verärgert über eine Entscheidung der deutschen Justiz. Weil die Beschuldigten und das mutmaßliche Opfer Deutsche sind und das im Raum stehende Verbrechen auch nach deutschem Recht strafbar wäre, ermittelt in der Angelegenheit auch die Staatsanwaltschaft Hagen. Diese erhielt von den spanischen Behörden die Ermittlungsunterlagen zu dem Fall. Hörning hatte in seiner Funktion als Vertreter der Nebenklägerin einen Antrag auf Akteneinsicht gestellt. Dieser wurde von der Staatsanwaltschaft Hagen unterstützt, auf Antrag der deutschen Verteidiger der Beschuldigten vom zuständigen Amtsgericht Hagen jedoch abgelehnt, erklären Staatsanwaltschaft und Hörning.

„Meine Mandantin hängt völlig in der Luft, und derjenige, der ihr die Infos beschaffen könnte, der ist in Deutschland auf Eis gelegt. Ich weiß zu diesem Verfahren nichts, außer den Dingen, die ich wie jeder andere den Medien entnehmen kann. Was das mit Opferschutz zu tun hat, das muss mir mal jemand erklären“, sagt Hörning und ergänzt: „Mein Vorwurf richtet sich gegen den Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Hagen, der den Beschwerden der Verteidiger stattgegeben und der Nebenklage, also dem Opferanwalt, keine Einsichtnahme in das Material bewilligt hat, das der Staatsanwaltschaft Hagen zur Verfügung steht.“

Hintergrund des Antrags der Verteidiger und der Entscheidung des Amtsgerichts Hagen, das sich auf Anfrage nicht äußern wollte, ist wohl die Sorge, dass der Anwalt des mutmaßlichen Opfers nach Einsicht in die Ermittlungsakten seine Mandantin über Aussagen der Beschuldigten informieren könnte. Hörning aber erklärt dazu: „Ich habe auf Wunsch der Staatsanwaltschaft anwaltlich versichert, dass ich meiner Mandantin keine Kenntnis von sensiblen Aktenbestandteilen wie zum Beispiel von Vernehmungsprotokollen verschaffen würde.“

Übernahme des Verfahrens kann nicht erzwungen werden

Ein Ersuchen der spanischen Behörden um Übernahme des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft Hagen, wie von den Verteidigern der Beschuldigten gewünscht, liegt im Übrigen „weiterhin nicht vor“, teilt ein Sprecher der Hagener Staatsanwaltschaft mit.

Die spanischen Behörden hätten überdies auch im laufenden Verfahren bereits erklärt, dass sie dieses selber fortführen wollten. Und eine Übergabe an die deutsche Justiz könne „von hier nicht beantragt und schon gar nicht erzwungen werden“.

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