Hagen. Seit Juli sitzen vier Lüdenscheider in Palma im Gefängnis, der Vorwurf: Gruppenvergewaltigung. Nun äußern sich Anwälte beider Seiten.
Sie sitzen seit inzwischen neun Monaten im Gefängnis in Palma de Mallorca. Weihnachten haben die vier Männer aus Lüdenscheid in Untersuchungshaft verbracht, ebenso Ostern. Ihnen wird vorgeworfen, im vergangenen Juli eine junge Deutsche auf Mallorca vergewaltigt zu haben. Nun kritisiert der Anwalt eines der Beschuldigten im Gespräch mit der WESTFALENPOST die spanische Justiz für die lange Dauer des Ermittlungsverfahrens.
„Die Beweislage hat sich – mehr oder weniger – ab zwei Wochen nach der Festnahme der Beschuldigten nicht mehr verändert. Es ist nicht so, dass noch was ausgewertet werden müsste. Es liegt alles auf dem Tisch, alle Beteiligten haben ihre Aussagen gemacht. Deshalb haben wir kein Verständnis dafür, dass bislang keine Entscheidung über eine Anklageerhebung ergangen ist“, sagt Christian Isselhorst.
Der Dortmunder Strafverteidiger, der gemeinsam mit spanischen Anwälten einen der Lüdenscheider Männer vertritt, ergänzt: „Die Geduld der Beschuldigten und ihrer Angehörigen ist extrem gefordert, weil sie der Dinge harren, die da kommen mögen, aber es kommt nichts.“
Anwalt rechnet mit Anklage bis Juli
Die Beschuldigten, die Anfang 20 sind und die Vorwürfe bestreiten, sitzen seit Mitte Juli 2023 in Palma de Mallorca in Untersuchungshaft. Nach den bisher veröffentlichten Erkenntnissen der spanischen Ermittler soll es in der Nacht zum 13. Juli zu der Gruppenvergewaltigung gekommen sein. Demnach hatte einer der anfangs sechs Beschuldigten die damals 18 Jahre alte Deutsche kennengelernt. Die beiden sollen zunächst einvernehmlichen Geschlechtsverkehr außerhalb des Hotels, in dem die Lüdenscheider untergebracht waren, gehabt haben. Später soll das mutmaßliche Opfer aber mit dorthin gekommen sein. Im Hotel soll es dann zu sexuellen Übergriffen durch mehrere der Männer gekommen sein.
Zunächst waren sechs Männer auf Mallorca verhaftet worden. Einer wurde nach zwei Tagen entlassen, ein weiterer kam im September wohl gegen Kaution und unter Meldeauflagen auf freien Fuß. Er soll wieder in Deutschland sein. Gleichwohl soll weiter in Spanien gegen ihn ermittelt werden.
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Anders als in Deutschland, wo eine Untersuchungshaft in der Regel auf sechs Monate begrenzt ist, kann diese in Spanien bis zu zwei Jahre dauern, unter Umständen sogar noch länger. Im Fall der sogenannten 13 „Kegelbrüder“ aus Münster, denen vorgeworfen wurde, am 20. Mai 2022 einen Brand in der Nähe des Ballermanns an der Playa de Palma ausgelöst zu haben, saßen acht Kegelbrüder zwei Monate in Untersuchungshaft. Die anderen waren zuvor entlassen worden. Zum Prozess ist es bis heute nicht gekommen.
Im Fall der Beschuldigten aus Lüdenscheid geht Verteidiger Isselhorst davon aus, dass bis zum Sommer eine Entscheidung vorliegt, ob die spanische Justiz Anklage erhebt und es damit zum Prozess kommen kann, also die Ermittlungsphase beendet ist.
„Die spanischen Anwälte, mit denen wir zusammenarbeiten, haben uns mitgeteilt, dass die Frist zur Anklageerhebung in der Regel zwölf Monate ab dem Tatzeitpunkt beträgt. Das heißt, bis Juli dieses Jahres müsste die Anklage da sein. Allerdings kann die Frist um sechs Monate verlängert werden. Es könnte also auch bis Dezember dauern“, sagt Isselhorst.
Haftprüfungsanträge abgelehnt
Der Dortmunder Jurist sieht keinen Grund, die Frist zu verlängern. Der Fall sei „ausermittelt“, alle Aussagen und Beweise lange bekannt, daher würden auch weitere Haftprüfungsanträge, die bislang allesamt vom zuständigen Gericht in Palma auf Grundlage der vorliegenden Informationen abgelehnt worden seien, keinen Sinn ergeben. „Ich gehe davon aus, dass wir bis Juli dieses Jahres die Anklage bekommen“, sagt Isselhorst. Warum die spanische Justiz noch nicht über eine Anklageerhebung entschieden habe, sei ihm und seinen Kooperationspartnern vor Ort nicht klar.
Die spanische Justiz reagierte bislang nicht auf Anfragen der WESTFALENPOST. Der Göttinger Anwalt Steffen Hörning, der das mutmaßliche Opfer vertritt, teilte am Dienstag mit, dass sich seine Mandantin „gegenüber den Medien nicht äußern“ werde. Auch er werde sich derzeit inhaltlich nicht äußern, weil er bisher keine Akteneinsicht erhalten habe. Die Staatsanwaltschaft Hagen, die ebenfalls in der Angelegenheit ermittelt, habe ihm mitgeteilt, dass sich die Verteidigung dagegen ausgesprochen habe, dass er Akteneinsicht bekomme. „Deshalb muss ein Ermittlungsrichter in der Angelegenheit entscheiden“, so Hörning, der hörbar verärgert ergänzte: „Es ist unfassbar, dass dem Vertreter der Nebenklage bislang nicht eine Seite der Akten zur Verfügung gestellt worden ist, obwohl ich den Antrag auf Akteneinsicht bereits kurz nach der Tat gestellt hatte.“ Die Staatsanwaltschaft Hagen erklärte dazu, dass man Hörnings Antrag auf Akteneinsicht unterstütze, die Verteidiger der Beschuldigten hätten sich jedoch gegen eine Akteneinsicht des Nebenklage-Vertreters ausgesprochen. Die Angelegenheit liege daher zur Entscheidung beim Amtsgericht Hagen.
Verteidiger Isselhorst sprach derweil davon, dass in diesem Fall – wie häufig in derartigen Verfahren – Aussage gegen Aussage stehe. Es gelte die Unschuldsvermutung für die Beschuldigten. Es sei nicht geklärt, ob die im Raum stehenden Handlungen einvernehmlich passiert seien oder nicht. „In meinen Augen ist eine Schuld der vier Männer nicht bewiesen“, sagte Isselhorst. Der Verteidiger bestätigte zwar, dass es ein Handyvideo aus der Tatnacht gebe. „Es ist aber nicht so, dass man aufgrund des Handyvideos Klarheit hätte“, so Isselhorst, „wahrscheinlich wird sich die Angelegenheit erst im Rahmen einer gerichtlichen Aufarbeitung klären. Wir sind der Meinung, dass es Ansatzpunkte für eine erfolgreiche Verteidigung gibt, die Lage ist nicht aussichtslos.“
Auch Hagener Staatsanwaltschaft ermittelt
In der Angelegenheit ermittelt seit Monaten auch die Hagener Staatsanwaltschaft, da es sich bei den Beschuldigten sowie beim mutmaßlichen Opfer um Deutsche handelt und das im Raum stehende Vergehen auch nach deutschem Recht strafbar wäre; die Höchststrafe beträgt hierzulande wie in Spanien 15 Jahre. Der Hagener Staatsanwaltschaft sind von der spanischen Justiz die Unterlagen zu dem Fall in elektronischer Form zugestellt worden, wie Oberstaatsanwalt Dr. Gerhard Pauli bestätigt. Die Akten habe man, auch mithilfe eines Übersetzungsbüros, ausgewertet. Inhaltlich wollte Pauli keine Einschätzung zu den Vorwürfen und der Dauer der Ermittlungen der spanischen Behörden auf Mallorca abgeben.
Der Sprecher der Hagener Staatsanwaltschaft bestätigte dafür, dass die Anwälte der Beschuldigten darum gebeten haben, das Verfahren nach Deutschland zu holen. Die spanische Justiz habe aber erklärt, das Verfahren fortführen zu wollen. Bislang gebe es „keinerlei Anzeichen“, dass sich diese Haltung ändern könnte. „Wir haben keine Möglichkeiten, die Spanier zu zwingen, das Verfahren an uns abzugeben“, so Pauli.