Essen/Oberhausen/Duisburg/Mülheim. Wärmepumpe oder Fernwärme – das ist die Alternative zu Öl und Gas. Unser Fernwärme-Vergleich des Jahres 2023 stieß deshalb auf großes Interesse.
Im Vergleich zu den ersten Plänen haben Hauseigentümer mit dem nun geltenden Heizungsgesetz (eigentlich: Gebäudeenergiegesetz) noch einen gewissen Aufschub erhalten, eine marode Heizung weitgehend auf regenerative Energien umzustellen. Doch die Zeit der Einzelbrennöfen in Häuserkellern, um Heizungswasser mit Gas oder Heizöl heißzumachen, geht unweigerlich dem Ende entgegen – die Alternativen wie Biodiesel oder Wasserstoff für Einzelheizungen sind teuer und Zukunftsmusik.
Eine elektrisch betriebene Wärmepumpe oder der Anschluss an eine Fernwärmeleitung sind für viele Immobilienbesitzer die realistischen Zukunftsalternativen zur Gas- oder Ölheizung. Während die Wärmepumpe mit ihren Vor- und Nachteilen in den vergangenen Monaten ausführlich beleuchtet wurde, bleibt die Fernwärme relativ im Dunkeln.
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Das liegt vor allem an zwei Faktoren: Im Markt herrscht im Unterschied zu Gas- und Stromversorgung kein Wettbewerb, sondern ein einziger Monopolist liefert das heiße Wasser ins Haus. Zweitens fehlt es an Transparenz – Anschlusskosten, Verbrauchskosten, Grundgebühr sind für Laien nur mit Hürden zu ermitteln, Preisanpassungen nicht durchschaubar.
Wir haben deshalb mal im Frühsommer 2023 nachgefragt – bei vier Anbietern der Region Essen, Mülheim, Oberhausen und Duisburg. Drei von vier hüllen sich bei den Anschlusskosten für drei konkrete Beispiele in Schweigen – man lässt sich offenbar nicht gerne in seine Karten schauen. Die Energieversorgung Oberhausen (EVO) ist die vorbildliche Ausnahme.
Viele Hauseigentümer fragen im Ruhrgebiet nach einem Fernwärme-Anschluss
Ob EVO, Iqony Essen (früher Steag), Medl aus Mülheim oder die DVV (Duisburger Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft) – sie alle berichteten damals von einem enormen Andrang von Interessenten, die ihre Immobilien ans Fernwärmenetz anschließen möchten. Sie möchten wissen, ob ein Anschluss möglich ist, wie teuer er wird – und mit wie vielen jährlichen Kosten sie für Heizung und Warmwasser rechnen müssen. Fernwärme gilt wie die Wärmepumpen als umweltfreundlich. Doch stimmt das überhaupt?
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Ähnlich wie der Strommix in Deutschland, der im Jahre 2022 gerade mal zu 46 Prozent aus erneuerbaren Energien stammte, ist auch die Fernwärme heute noch auf fossile Brennstoffe angewiesen. So stammen von der Fernwärme nach Angaben des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) bundesweit nur zu 18 Prozent aus erneuerbaren Energien. Die Fernwärmeanbieter im Ruhrgebiet stehen hier besser da, denn in der dichtbesiedelten Region arbeiten noch viele Kohle-/Gaskraftwerke, Müllöfen, Chemieanlagen, Stahlöfen und Aluhütten, die bei ihrem Produktionsprozess Abwärme erzeugen. Mit dieser Abwärme wird das Wasser in den Fernwärmeleitungen erhitzt. Da die Abwärme sowieso anfällt, etwa bei der Stromerzeugung, gilt sie als umweltfreundlich und regenerativ, wenn man damit Heizwasser erhitzt. Trotzdem müssen Fernwärmeanbieter auch im Ruhrgebiet ihr Wasser bei sehr kaltem Wetter durch direkten Einsatz von Kohle oder Gas erwärmen.
Der sogenannte Primärenergiefaktor beziffert den Verbrauch solcher fossiler Brennstoffe und die Verluste von Wärme beim Transport des Wassers durch die kilometerlangen Leitungen. Die EVO hat einen ausgezeichneten Primärenergiefaktor von 0,13, das Duisburger Fernwärmenetz Hamborn von 0,42, die Iqony von 0,24 und die Medl in der Mülheimer City von 0,25. Zum Vergleich: Der durchschnittliche Primärenergiefaktor für Fern- und Nahwärme aus Kraft-Wärme-Kopplung beträgt 0,7. Es gilt: Je niedriger, desto besser. Das ist auch mit Blick auf die Kosten schon deshalb wichtig, weil Fernwärme bisher nicht ohne CO2-Preisaufschlag zu haben ist – einige hundert Euro pro Jahr kommen so schnell zusammen. Je höher der regenerative Anteil aber, desto niedriger diese Zusatzkosten. Sie sollen künftig auf null Euro fallen.
Wann fällt bei den vier Fernwärmeversorgern der CO2-Preisaufschlag weg?
Denn die Fernwärmeanbieter sind gesetzlich verpflichtet, Schritt für Schritt ihr Wasser klimaneutral zu erhitzen. Sie sollen bis 2030 einen Anteil von mindestens 50 Prozent Wärme aus erneuerbaren Energien oder Abwärme aufweisen, bis 2045 müssen sie komplett treibhausgasneutral sein. Dabei gibt es auch eine politische Dimension, was als regenerativ eingestuft wird: So wollen Umweltverbände erreichen, dass die Abwärme von Müllverbrennungsanlagen nicht – wie im neuen Gebäudeenergiegesetz vorgesehen – als „unvermeidbar“ und deshalb regenerativ eingestuft wird, da nur Abfallvermeidung wirklich umweltfreundlich sei.
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Bei allen vier befragten Fernwärmeversorgern im Ruhrgebiet laufen Machbarkeitsstudien, wie man bis 2045 klimaneutral wird. Die EVO setzt auf Geothermie, um aus sehr großen Tiefen Erdwärme nach oben zu holen, auf Großwärmepumpen und den zunehmenden Einsatz von grünem Wasserstoff in Kraftwerken zur Strom- und Wärmeproduktion. Medl prüft geeignete Standorte für Großwärmepumpen und liebäugelt mit Flusswärmepumpen in der Ruhr. Bei Iqony (Steag) laufen Projekte für Großwärmepumpen und Geothermie; das neue Gas- und Dampfturbinenkraftwerk zur Stromerzeugung in Herne soll langfristig auf grünen Wasserstoff umgestellt werden. In Duisburg sucht der Fernwärmeanbieter DVV noch nach weiteren Quellen für unvermeidbare Abwärme und nach den Potenzialen der Tiefenbohrung.
Wie teuer ist der Fernwärme-Anschluss bei den vier Anbietern im Ruhrgebiet?
Um die Anschlusskosten zu ermitteln, haben wir drei Beispiele entwickelt – von Ein- bis Mehrfamilienhäuser, die von einer Fernwärmeleitung in ihrer Straße zehn Meter entfernt sind. Nur die EVO traute sich hier, Anschlusskosten offiziell zu nennen: Sie liegen zwischen 18.000 und 20.000 Euro. Die anderen verweisen darauf, dass jeder Fall angeblich so individuell ist, dass man seriös keine pauschalen Angaben machen könnte. Fragt man allerdings Fachleute, dann erfährt man schon grobe Richtschnuren: Zwischen 8000 Euro und 20.000 Euro sind es in Duisburg, in Essen liegt man mit den Werten 10.000 bis 18.000 Euro nicht falsch.
Entscheidet man sich für einen Fernwärmeanschluss, dann dauert es im Ruhrgebiet unterschiedlich lange, bis die Wärme fließt: Die EVO erreicht hier im Sommer 2023 vergleichsweise Spitzenwerte – in der Regel ist der Anschluss innerhalb von drei bis sechs Monaten erledigt; die Medl gibt sechs Monate an, die Iqony (Steag) in Essen benötigt wegen der hohen Nachfrage und mangelnder Kapazitäten aber 18 Monate. Die Duisburger schweigen sich bei dieser Frage lieber aus („pauschale Aussage nicht möglich“).
Zusätzlich müssen Hauseigentümer auch noch einkalkulieren, dass Heizungsbauer die von den Fernwärmeversorgern bereitgestellten Übergabestationen für die Heizung und fürs Warmwasser an das eigene Haussystem anbinden müssen – hier sind zwischen 3500 und 10.000 Euro zu zahlen. Die Höhe dieser Kosten hängt davon ab, ob auch noch ein Öltank ausgebaut werden oder ein hydraulischer Abgleich der Heizung erfolgen muss. Gefördert werden die Gesamtkosten bei alten Gas- und Heizölanlagen durch den Staat derzeit mit einer Grundpauschale von 30 Prozent Zuschuss und einem Aufschlag von zehn Prozent für den Heizungstausch selbst. Dazu gibt es eine NRW-Förderung für Fernwärme zusätzlich von 1000 Euro.
Wie viel Geld muss man für Fernwärme der vier Anbieter Jahr für Jahr zahlen?
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Entscheidender als die Anschlusskosten sind sogar die laufenden Kosten der nächsten Jahre, die schließlich von niemandem subventioniert werden. Die EVO berechnet für ein Einfamilienhaus mit 120 Quadratmeter beheizter Fläche und Warmwasser für vier Personen 2000 Euro im Jahr (Verbrauch: 15.000 Kilowattstunden) und für ein Zweifamilienhaus mit 200 Quadratmetern und vier Personen 3160 Euro (25.000 Kilowattstunden Verbrauch).
Ein Vierfamilienhaus muss bei einem Verbrauch von 45.000 Kilowattstunden und Warmwasser ebenfalls für vier Personen insgesamt mit 5560 Euro im Jahr an EVO-Kosten rechnen. Auch die Medl gibt in diesem Fallbeispiel 5500 Euro an Kosten an. Die Duisburger kommen auf 6800 Euro. Dabei gehen 18 bis 25 Prozent für Fixkosten drauf, die nicht durch den Verbrauch beeinflusst werden können: Sie bestehen meist aus einer Grundgebühr fürs Netz und eine Messgebühr (Stand aller Daten: Mai 2023).
Billig ist Fernwärme also nicht, selbst wenn man sie mit heutigen Heizölpreisen vergleicht: 25.000 Kilowattstunden Fernwärme (EVO-Kosten Mai 2023: 3160 Euro) entsprechen etwa dem Heizwert von 2800 Litern Heizöl – und die gibt es heute (Februar 2024) wieder für rund 2900 Euro. Hinzuzurechnen sind noch die jährliche Wartung von etwa 200 Euro und der Schornsteinfeger für 100 Euro – diese Kosten fallen bei der Fernwärme weg.
Wie passen die Fernwärmeanbieter ihre Preise Jahr für Jahr an?
Wie sich der Fernwärmepreis entwickeln wird, weiß natürlich niemand. Die Investition in Fernwärmenetze und Klimaneutralität könnte die Fixkosten der Anlagen in die Höhe treiben. Der Arbeitspreis wiederum wird heute nach einer undurchschaubaren Formel berechnet (EVO: Arbeitspreis (AP) = AP0 x (0,5 x WP / WP0+ 0,2 x EP / EP0 + 0,2 x I / I0 + 0,1 xL /L0), die kein Laie nachvollziehen kann.
Im Prinzip richtet sich der Fernwärmepreis aber nach der Entwicklung des Gaspreises an den Börsen – mit einer Verzögerung von einem halben Jahr. Deshalb hat Iqony ihre Fernwärmepreise zum 1. Juli 2023 nochmals angehoben – sie stiegen seit Anfang 2022 pro Kilowattstunde von 6,34 Cent über 11,62 auf stattliche 15,85 Cent (brutto, inklusive Mehrwertsteuer) ab 1. Juli 2023. Zum 1. Januar 2024 wurde dieser Preis wieder abgesenkt, die sinkenden Gaspreise an den Börsen schlugen dann hier durch: Iqony nimmt nun 11,17 Cent brutto.
Bei der Energieversorgung Oberhausen (EVO) profitieren die Fernwärmekunden derzeit von den sinkenden Energiepreisen an den Börsen noch nicht - im Gegenteil. Wegen einer ungewöhnlichen Preisanpassungsklausel, die rückwirkend nicht ein halbes Jahr, sondern die Preisentwicklung der vergangenen zwei Jahre berücksichtigt, wirken sich die höheren Gaspreise durch die Energiekrise erst jetzt in Oberhausen aus. Zweimal hintereinander hat die EVO die Fernwärmepreise bereits erhöhen müssen, der letzte Preisanstieg fiel im Oktober 2023 mit einem Plus von 40 Prozent besonders drastisch aus: Für einen Muster-Haushalt (11.250 Kilowattstunden in einem Vier-Familienhaus), der bis Oktober 2022 noch rund 966 Euro im Jahr für den reinen Arbeitspreis gezahlt hat, werden ab Oktober 2023 nach der zweiten Erhöhung rund 2100 Euro im Jahr fällig. Bis Oktober 2023 zahlten EVO-Fernwärme-Kunden pro Kilowattstunde 11,5 Cent brutto, seitdem 15,92 Cent.
Nachvollziehbar ist das für keinen Außenstehenden. Wechseln zu einem anderen Anbieter wie beim Strom kann man nach dem Erstanschluss erst einmal auch nicht: Wer sich bei Iqony, der Duisburger Versorgungsgesellschaft oder Mülheimer Medl ans Netz bindet, vereinbart einen Vertrag über zehn Jahre Laufzeit – in dieser Zeit unkündbar. Nur die EVO belässt es bei Neukunden verbraucherfreundlich bei nur zwei Jahren.
Heizung und Strom: Wichtige Artikel zu vielen Energiefragen
In diesen Zeiten zunehmender Klimakrise, hoher Energiepreise und rätselhafter Gesetzesreformen haben wir für Oberhausener Bürgerinnen und Bürger zahlreiche Artikel zum Energie-Thema recherchiert und geschrieben, die Hintergründe, Analysen und orientierende Basis-Informationen bieten. Hier ein Überblick:
Berichte zu Heizungen, Warmwasser und privater Stromerzeugung:
Heizungsgesetz: Die zehn wertvollsten Energieberater-Tipps
Energieversorger: Zu wenig Zeit für Ausbau der Fernwärme
Experten: So teuer sind Wärmepumpen für Zweifamilienhäuser
Oberhausen: Das sagen Schornsteinfeger zum Heizungsgesetz
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