Oberhausen. 20 Jahre hat Hartmut Gieske, Chef des Energieversorgers EVO, Oberhausenern Strom und Wärme geliefert – zuletzt ein heikles Unterfangen.
Früher, als sich Hartmut Gieske schon in jungen Jahren entschloss, in der Branche der Energieversorger seine berufliche Karriere zu machen, da galt die Verteilung von Gas, Strom und Fernwärme noch als langweiliges Brot- und Butter-Geschäft. Aktien von Energiekonzernen stuften die Finanzexperten als so sicher ein, dass sie sogar für Witwen und Waisen geeignet schienen.
Das Geschäftsmodell entpuppt sich nicht nur für Laien als einfach zu managen: Man kauft regelmäßig, also rollierend, für zwei bis drei Jahre zu aktuellen Preisen immer wieder einen Teil der benötigten Menge Energie ein, produziert noch ein wenig Strom selbst und verkauft das Ganze teurer an die Kundschaft – und die Gewinne fließen fast automatisch. Schließlich hatten die Versorger vor Ort, die Stadtwerke und Revier-Konzerne noch in den 90er Jahren ein Monopol – ein Geschäft ohne Wettbewerb.
Die Liberalisierung der Energiemärkte bringt Energiemanager ins Schwitzen
Doch in den vergangenen 20 Jahren, also genau in der Zeit, als Gieske nach 25 Jahren im RWE-Konzern an die Spitze als kaufmännischer Vorstand der Energieversorgung Oberhausen (EVO) rückte, fegt die Liberalisierung des Energiemarktes alte Grundsätze weg. Fremder Strom durch eigene Leitung, schwankende Kurse an Strombörsen, Tarif-Vergleich im Internet zwischen Hunderten Anbietern, Trennung von Netzen und Gas – es gab auf einmal viel Arbeit für die Manager der Unternehmen. Und mehr Risiken. Belegschaften wurden auch in Oberhausen stark reduziert, in normalen Zeiten bedrängen 190 Gas- und über 270-Stromwettbewerber den Umsatz der EVO. Und der ist auch von 2009 bis 2019 um über elf Prozent gesunken – auf unter 200 Millionen Euro.
In diesem Sinne ist es irgendwie folgerichtig, dass Gieske in seinen letzten Jahren als EVO-Manager vor dem Ruhestand zusammen mit seinem Vorstandskollegen Christian Basler noch einmal so richtig die Ärmel hochkrempeln musste: erst die Pandemie mit hohen Umsatzverlusten, dann die Energie-Wirren 2022. Angesichts der Gefahr, durch den Ukraine-Krieg plötzlich ohne Strom und Gas dazustehen, gab Gieske die Losung aus, erst einmal für Energiesicherheit zu sorgen – trotz hoher Marktpreise. Was blieb auch anderes übrig? Wie viele Stadtwerke sah sich die EVO gezwungen, gleich mehrmals im Jahre 2022 ihre Tarife deutlich zu erhöhen. Die Energiekrise erschütterte die Oberhausenerinnen und Oberhausener dermaßen, dass die EVO-Kundendienstberater schon seit Monaten mit Anfragen überrollt werden.
Die Gieskes – seit vier Generationen beim RWE-Konzern tätig
Hartmut Gieske ist Vater von drei Kindern und in Essen geboren; er machte eine Lehre zum Industriekaufmann und wurde im Abendstudium Betriebswirt. Der heute 65-Jährige mit einem Jahresverdienst von rund 300.000 Euro entstammt zwar einer Familie, die seit vier Generationen im RWE-Konzern arbeitet und gearbeitet hat, aber dennoch ist Gieske kein betulicher Verwaltungsmensch geworden. Während andere Manager sich vor lauter Sorge, irgendwo anzuecken, in weichen Marketing-Worthülsen flüchten, pflegte Gieske das direkte offene Wort – Provokationen inklusive. Selbst die eigenen Leute waren davor nicht geschützt.
Als Abschlagszahlungen mehrmals falsch berechnet wurden, räumte Gieske 2021 „gravierende Fehler und Missstände beim Kundenservice“ ein – und hatte bereits eine Strukturreform verordnet. Verblüffend war seine Analyse während der Bilanzpressekonferenz zum Jahr 2020, dass es – frei formuliert – im Unternehmen offenbar jahrelang eine organisierte Verantwortungslosigkeit gegeben hat. Für diese Fehlorganisation war er natürlich als Manager zuständig: „Wir haben die Verantwortung der Prozesse vom Zähler bis zur Abrechnung auf drei Schultern verteilt, niemand war plötzlich für die Fehler verantwortlich, einer schob es auf den anderen.“
Und erst recht nahm sich Gieske mit scharfen Worten das politische Agieren verschiedener Bundesregierungen vor. Ausstieg aus Kohle? Ausstieg aus Kernkraft? Ausstieg aus Gas? Und dann auch noch immer mehr Steuern und Abgaben auf den Energiepreis? Er warnte schon vor zehn Jahren, als es noch um Stromverteuerungen für Musterfamilien um 100 Euro im Jahr ging: „Die Politik muss aufpassen, dass Energie für Privatleute nicht zum Luxusgut wird.“ Und sah Blackout-Gefahren: „Bekommen wir noch einmal einen solch langen Winter ohne viel Sonne und Wind wie 2012/13, dann ist die flächendeckende Stromversorgung nicht mehr gesichert.“ Der Zukauf von Strom aus Atomkraft oder Braunkohle aus dem Ausland könne doch kein sinnvolles Ziel sein.
Seine Prognosekraft verließ Gieske allerdings, als er sich in den Nuller-Jahren massiv dafür einsetzte, dass arme Städte im Ruhrgebiet wie Oberhausen unbedingt den Kohleverstromer Steag kaufen sollten – als lukrative Investition („ein Jahrhundert-Deal“). Der Abgesang auf Kohlekraftwerke im Zeitalter der Klimakrise machte die Steag aber zu einem Flop für die Städte, die die Steag damals für über eine Milliarde Euro zu teuer gekauft hatten – und nun schon länger wieder loswerden wollen. Obwohl: Die jetzige Energiekrise mit kurzzeitiger Rückkehr der Kohleverstromung macht die Steag nun wieder für Investoren interessant.
Ein Abschiedstext über Hartmut Gieske wäre natürlich nicht vollständig, würde man sein sportliches Engagement nicht erwähnen. Auch wenn er immer wieder beteuerte, wie sehr die EVO Jugend- und Breitensport sponsert, so hing sein Herz vor allem an der ersten Fußballmannschaft der Herren, die sich nach verdienstvollem Aufstieg bis in die Zweite Bundesliga mit anschließendem turbulenten Abstieg nun schon seit vielen Jahren in der vierten Liga abmüht. Emotionaler Abschied nach 16 Jahren, zuletzt über viele Jahre als Aufsichtsratsvorsitzender: „„RWO ist und bleibt mein Herzensverein.“
Gieske zieht sich nun nach Köln zurück, wo er schon länger lebt. Die Pendelei mit dem Dienstwagen ist Ende des Jahres endgültig Geschichte – und damit verliert Oberhausen einen engagierten wie streitbaren Stadtmanager. Und gewinnt mit dem 46-jährigen Mülheimer Timm Dolezych einen Neuen. Mal sehen, wie der frühere Geschäftsführer des süddeutschen Netzbetreibers Syna GmbH das Amt des kaufmännischen Vorstandes der EVO ausfüllen wird.