Mülheim. Wieder Wohnen statt Industrie in Mülheim? Im Fall der Friedrich-Wilhelms-Hütte geht das Ringen um die Zukunft weiter – mit einigen Wendungen.

Dem Ansinnen der Grundstückseigentümerin, mit Wohnbebauung auf dem riesigen Areal der arg geschrumpften Friedrich-Wilhelms-Hütte ein erkleckliches Geschäft zu machen, steht Mülheims Politik ablehnend gegenüber. Bei ihrem Veto wollte die Mehrheit aber nicht so weit gehen wie SPD und Mülheimer Bürgerinitiativen (MBI).

Bei einer ersten Bürgerversammlung zum Mega-Stadtentwicklungsprojekt „Mülheim-West“ Mitte März hatte Anne-Marie Großmann, Geschäftsführerin der Georgsmarienhütte (GMH) Gruppe, als Vertreterin der Grundbesitzerin die Katze aus dem Sack gelassen: Sie äußerte unverhohlen wie überraschend ihre Absicht, auf dem Areal der 212 Jahre alten Hütte Wohnbaugrundstücke entwickeln zu wollen. Ein Pachtvertrag mit der Nachfolgegesellschaft der Friedrich-Wilhelms-Hütte sei bis dato nicht verlängert und laufe in wenigen Jahren (2026) aus.

Wohnen auf Mülheims Hütten-Areal? Warum die Bombe so plötzlich platzte

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Überraschung allenthalben, gar Entsetzen machte sich breit, Mülheim könne mit der jüngst wieder prosperierenden Stahlguss GmbH nach Vallourec ein weiteres Schwergewicht Mülheimer Industrie(geschichte) verlieren. Der Abend der Bürgerversammlung hallte gewaltig nach. Unklar bleibt bis heute, wie diese Entwicklung ohne Vorwarnung von OB Marc Buchholz und Felix Blasch als oberstem Stadtplaner und Wirtschaftsförderer vorbei wie eine Bombe in Mülheims Industriepolitik hereinplatzen konnte. So unvorbereitet, dass sich erst nach der Bürgerversammlung geballte politische Gegenwehr formierte.

Der 1. Mai 2023 in Mülheim: Bei einer Kundgebung am Ringlokschuppen protestierten Mitarbeitende für die Zukunft der Friedrich-Wilhelms-Hütte.
Der 1. Mai 2023 in Mülheim: Bei einer Kundgebung am Ringlokschuppen protestierten Mitarbeitende für die Zukunft der Friedrich-Wilhelms-Hütte. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

Eine unbestätigte Erklärung, die aus Quellen der Stadtverwaltung und zu Teilen auch so aus Kreisen der Wirtschaft zu vernehmen ist, lautet so: Lange hielt sich der Glaube, die Hütte könnte das Areal an der Ruhr freimachen zum alsbald leer gefegten Vallourec-Areal an der Nahtstelle zwischen Styrum und Dümpten. Nach Informationen dieser Redaktion soll CE Capital Partners, seinerzeit alleiniger Inhaber der Hütte, schon einer der drei Bieter gewesen sein, der das Vallourec-Werk übernehmen wollte, um dort selbst anzusiedeln.

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Umzug der Mülheimer Hütte zum Vallourec-Areal ist wohl ausgeschlossen

Wie bekannt ist, kam keiner jener drei Bieter zum Zuge. Vallourec lehnte alle Übernahme-Angebote ab. Weiter sah aber wohl die Stadtspitze die Option, die Hütte in den Norden umsiedeln zu können, es soll dem Vernehmen nach entsprechende Signale von den strategischen Investoren der Hütte gegeben haben nach dem Motto: Wir produzieren auf Vorrat, um den Produktionsstillstand während einer Umzugsphase schadlos zu überstehen.

Nur soll sich diese Marschrichtung mit dem Einstieg des Rüstungskonzerns Krauss-Maffei Wegmann (KMW) als Mehrheitseigner Ende 2022 geändert haben. Nun heiße es auch aufgrund der zahlreichen Rüstungsaufträge für die Hütte, man könne und wolle sich Produktionsunterbrechungen absolut nicht leisten – wird aus dem Rathaus heraus hinter vorgehaltener Hand berichtet. Eine andere Version könnte lauten: Es wäre unternehmerisch hoch risikobehaftet, auf das Vallourec-Areal zu setzen - befindet sich dessen Zukunft nach der Geltendmachung des städtischen Vorkaufsrechtes doch im Schwebezustand, weil Vallourec das Gelände nicht für einen symbolischen Euro abgeben will.

Mülheims Politik stellt klar: Keine Wohnbebauung auf dem Hütten-Areal

Ohne Umzugsoption kann es für Mehrheitseigner KMW nun nur darum gehen, den Pachtvertrag für das Industrieareal an der Ruhr verlängert zu bekommen. Lässt sich die Flächeneigentümerin, die Georgsmarienhütte Gruppe, aber darauf ein, wo doch im Falle der Vermarktung des Grundstücks als Wohnbauland am Wasser satte Erlöse zu erwarten wären?

Es dürfte spannend werden, wie die GMH Gruppe, die sich selbst trotz Anfrage seit Monaten nicht mehr zur Sache äußern will, in den Poker um die Entwicklungsflächen für „Mülheim-West“ gehen wird. Mülheims Politik jedenfalls hat nun im Planungsausschuss eine Trumpfkarte ausgespielt: Auf Antrag von CDU und Grünen hat sie beschlossen, dass auf dem Hütten-Areal nördlich der Konrad-Adenauer-Brücke Wohnbebauung „explizit kein Ziel der Planung ist“. Nur die AfD enthielt sich in dieser Frage, ohne dies zu begründen. Alle anderen Parteien folgten dem Antrag.

„Mülheim-West“: Emittierendes Gewerbe und Industrie soll hier weiter Platz haben

Auch die SPD war mit einem Antrag zum Schutz der Hütte in den Ring gegangen. Er war noch schärfer, die SPD konnte aber nur für zwei ihrer vier Forderungen politische Mehrheiten gewinnen, jeweils wieder bei einer Enthaltung der AfD. Zum einen ließ sie für das gesamte Stadtentwicklungsprojekt „Mülheim-West“, das sich von den Ruhrbania-Baufeldern 3 und 4 bis hin zu den Flächen von Aldi Süd und RWW in Styrum erstreckt, festschreiben, dass späteres Baurecht weiterhin und ausdrücklich emittierendes Gewerbe und Industrie zulassen soll. Zum anderen wurde OB Buchholz aufgefordert, aktiv die Vermittlerrolle zwischen GMH Gruppe und Hütte auszufüllen, um eine langfristige Zukunft der Hütte am Standort möglich zu machen.

Mülheims OB Marc Buchholz (CDU) steht unter Druck: Einerseits soll er im Rahmen des Projektes „Mülheim-West“ wirtschaftliche Brachflächen wieder nutzbar machen, dabei soll er aber auch alles tun, um die Friedrich-Wilhelms-Hütte am Standort zu halten.
Mülheims OB Marc Buchholz (CDU) steht unter Druck: Einerseits soll er im Rahmen des Projektes „Mülheim-West“ wirtschaftliche Brachflächen wieder nutzbar machen, dabei soll er aber auch alles tun, um die Friedrich-Wilhelms-Hütte am Standort zu halten. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

Nur die Unterstützung der MBI fanden die Sozialdemokraten auch in ihrer Forderung, die gesamte Planung für „Mülheim-West“ so lange auf Eis zu legen, wie diese langfristige Perspektive der Hütte eben nicht gesichert ist. Planungsdezernent Blasch hatte deutlich gemacht, dass losgelöst von der Zukunftsfrage der Hütte vorbereitende Prüfungen hinsichtlich von Altlasten, Verkehr oder Emissionen trotz allem in Angriff genommen werden sollten. Die Grundlagenermittlung könne man bedenkenlos angehen – und sollte dies auch, weil Mülheim es sich nicht erlauben könne, „die Fläche lange liegen zu lassen, damit wir irgendwann einen wirtschaftlichen Impuls für Mülheim haben“. Filip Fischer (SPD) warb erfolglos für jenes Planungsmoratorium, dass er als Druckmittel gegenüber der GMH Gruppe verstanden sehen wollte.

Bericht aus Verhandlungen: „Eine verlängerte Weiternutzung“ in Aussicht

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Ebenso wollten nur die MBI der SPD-Forderung folgen, nach dem Vorbild der Vallourec-Fläche eine Satzung vorzubereiten, die es der Stadt ermöglichen würde, das Hütten-Gelände wegen einer außerordentlichen Bedeutung für die Stadtentwicklung per Vorkaufsrecht an sich zu reißen.

Derweil berichtete Planungsamtsleiter Alexander Behringer Hoffnungsvolles für den Hütten-Betrieb. Aus jüngsten Verhandlungen zwischen Grundstückseigentümerin und Hütten-Inhabern sei das Signal für „eine verlängerte Weiternutzung“ des rund 8,3 Hektar großen Pachtgrundstücks für den Hütten-Betrieb gesendet worden – „was immer das auch konkret bedeutet“, fügte Behringer an.

Die Stahlguss GmbH habe aktuell 44 Prozent des ehemaligen Geländes der Friedrich-Wilhelms-Hütte gepachtet. So blieben bei einem Weiterbetrieb vor Ort große Brachflächen für eine Entwicklung im Projekt „Mülheim-West“ mindestens die südliche Spitze des Areals hin zur Konrad-Adenauer-Brücke.

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