Mülheim. Wenn das Vallourec-Werk in Mülheim dichtgemacht wird, verschwinden auch ihre Jobs. Männer aus der Belegschaft schildern, was das für sie heißt.
Ihre Familie bricht auseinander, sagen die Vallourec-Beschäftigten und meinen das Auseinandergehen der Belegschaft. Im Laufe des Jahres wird das Werk in Styrum geschlossen, ihre Arbeitsplätze fallen weg und damit auch die Gemeinschaft der Kollegen. Für die hätten sie in den vergangenen Monaten – nach Bekanntgabe der Werksschließung – weitergearbeitet, im Team und für das Team. Aber längst nicht mehr für den Konzern, dem sie nach den langwierigen Verhandlungen längst kein Vertrauen mehr entgegenbringen. Mancher von ihnen ist über vier Jahrzehnte dabei, und hat jetzt Tränen in den Augen.
Drei kleine Kinder hat er – sieben, fünf und zwei Jahre alt – und baut mit seiner Frau zusammen gerade ein Haus. Die Lebensplanung von Stephan Kreiger sah anders aus, als er 2004 seine Ausbildung zum Industriemechaniker bei Vallourec begonnen hat. „Ich dachte, ich kann hier bis zur Rente bleiben“, sagt der 35-Jährige heute. Weit gefehlt – jetzt, mit Mitte 30 und einer Familie, muss er sich umorientieren. Sein Arbeitgeber, der französische Rohrhersteller Vallourec, hat im vergangenen Frühjahr beschlossen, das Werk in Styrum Ende dieses Jahres zu schließen.
Dreifacher Vater, der bei Vallourec in Mülheim arbeitet, geht freiwillig weg
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Stephan Kreiger ist einer der Ersten, der gehen wird, Ende März ist Schluss für ihn. Einen neuen Job hat er bereits, ob er sich dort so wohlfühlen wird wie bei Vallourec, das kann er noch nicht einschätzen. „Ich hatte mir hier viel aufgebaut, habe den Meister gemacht, hatte im Mai letzten Jahres gerade eine Stelle im Büro bekommen und mich tierisch gefreut.“ Genau 18 Tage dauerte seine Freude, dann verkündete der Konzern das Aus. Bange Monate mit zähen Verhandlungen zwischen Arbeitgeber und Gewerkschaften um den Nachteilsausgleich für die Beschäftigten schlossen sich an. „Ich musste für mich und meine Familie einen Abschluss finden und zur Ruhe kommen. Ich hätte nie gedacht, dass es mich trifft, ich bin immer gerne zur Arbeit gegangen.“
Der Zusammenhalt der Kollegen, die Wertschätzung für ihre Arbeit habe sie zusammengeschweißt, nahezu jeder von ihnen habe sich mit dem Werk identifiziert, berichten die Vallourec-Beschäftigten. Doch dem Konzern gegenüber fühlten sie sich längst nicht mehr verpflichtet, ganz im Gegenteil, sagt Markus Eller: „Heute wissen wir, dass wir vorgeführt worden sind, dass man uns die Unwahrheit gesagt und uns hingehalten hat.“ Die monatelangen Verhandlungen um mögliche Kaufinteressenten, die Nachrichten vonseiten der Geschäftsführung über mögliche Käufer – das alles seien nichts mehr als Szenarien gewesen, meint Eller und spricht von Machtlosigkeit. Der 56-Jährige muss innehalten und schluckt. Seit über 40 Jahren ist er dabei, jetzt muss er das Werk abwickeln, nachdem er Generationen von Azubis in den Hallen großgezogen hat.
Wenn es still wird im Gespräch, offenbart sich die Gefühlslage der Vallourec-Männer
Es sind die Momente in dem Gespräch, in denen es still wird in dem Besprechungsraum. Männer, die sprachlos sind angesichts der Tragweite, die die Entscheidung der Vallourec-Konzernspitze mit sich bringt – für sie und für ihre Familien. Dann wird es so ruhig im Raum, dass von nebenan, aus den riesigen Produktionshallen das Wummern der Maschinen durchdringt – minutenlang.
500 der noch insgesamt rund 2000 Beschäftigten in den Vallourec-Werken in Mülheim und Düsseldorf, wo ebenfalls die Schließung ansteht, werden nach Auskunft des stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden Steffen-Lutz Wardel mit der ersten Abbauwelle auf freiwilliger Basis schon bald gehen, so wie Stephan Kreiger aus dem Mülheimer Werk.
Sein Kollege Markus Eller wird wohl bis zum bitteren Ende bleiben. „So ein Werk kann man nicht einfach abschalten, das muss nach und nach runtergefahren werden“, schildert der 56-Jährige, bis ins Jahr 2024 ist dieser Prozess geplant. Ob er danach das angebotene Altersübergangsmodell annehmen wird, weiß der Vater zweier erwachsener Kinder noch nicht. „Dafür fühle ich mich noch zu jung. Und es würde finanzielle Einbußen bedeuten.“ Weil er bis zum Schluss bleibt, habe er noch 24 Monate Zeit, sich festzulegen.
Mülheimer Vallourec-Beschäftigte werden Einbußen von mehreren Tausend Euro haben
Bis Ende des Jahres wird auch Timo Weiß dabei sein, so viel steht für den 30-Jährigen fest, der in der Elektrik des Werks arbeitet. Wie sein neuer Job aussehen wird, weiß er indes noch nicht: „Ich bin nicht unbedingt der Handwerker, der Wände aufschlitzt, um Elektroleitungen zu verlegen.“ Stattdessen gehe er lieber im Werk auf Fehlersuche, wenn es irgendwo hakt, und beseitigt Störungen. Er wird wohl eine Auszeit nehmen und drei Monate im Ausland unterwegs sein, erzählt Timo Weiß, denn: „So eine Möglichkeit bekomme ich wohl nie wieder.“ Dass er im Anschluss einen neuen Job findet, da ist er sicher. „Aber man weiß ja nie, wo man dann landet.“
Viele der Kollegen seien schon weg, berichten die Vallourec-Männer, manche seien auch ohne Abfindung gegangen, weil sie bereits neue Stellen angeboten bekommen haben. „Da wäre es fahrlässig gewesen, auf die Abfindungen zu warten“, schildert Markus Eller, der sich auch im Betriebsrat engagiert. Durch den Fachkräftemangel sei die Perspektive für einen Teil der Belegschaft recht gut, schwieriger werde es für diejenigen, die auf dem Arbeitsmarkt als ungelernt gelten, bei Vallourec aber gut verdient haben, weil sie durch ihre Spezialisierung unverzichtbar im Prozess waren. „Die werden Einbußen von mehreren tausend Euro verkraften müssen“, blickt Eller in die Zukunft.
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Für diejenigen werde die Abfindung nötig sein, um die monatlichen Einbußen zu decken. Was seine Kollegen vor allem mitbrächten, wirbt Eller für weitere Übernahmen, sei neben der fachlichen Qualifikation ihre Motivation, etwa die Bereitschaft zu Wechselschichten und Wochenenddiensten. „Hier lässt keiner den anderen im Regen stehen, wir sind hier immer offen und ehrlich miteinander umgegangen“, sagt Eller, der von tiefer Enttäuschung durch die Geschäftsführung spricht. Dass sie den schmerzhaften Prozess der Betriebsstilllegung innerhalb der Belegschaft gemeinsam durchlaufen, habe sie noch enger zusammengeschweißt.