Mülheim. Die Geschäftsbeziehungen zu Russland von Mülheimer Firmen liegen auf Eis. Wie manches Unternehmen den Menschen aus der Ukraine helfen will.

Die Folgen des Ukraine-Krieges treffen auch die Wirtschaft hart. Manches Mülheimer Unternehmen hat seine Geschäftsbeziehungen zu Russland auf Eis gelegt, auch der Geschäftsbetrieb von Tochtergesellschaften in der Ukraine musste unterbrochen werden. Einige Firmen bringen unterdessen Spendenaktionen auf den Weg. Doch auch ein Zulieferbetrieb für die Rüstungsindustrie ist in Mülheim beheimatet.

Mit einer eigenen Vertriebstochtergesellschaft in Moskau und angeschlossenen Vertriebsbüros in verschiedenen Regionen Russlands ist die Mülheimer Turck-Gruppe bereits seit 17 Jahren vertreten. In der Ukraine, so berichtet ein Unternehmenssprecher, habe bislang ein eigenständiger Vertriebspartner aus Kiew die Lösungen des Automatisierungsspezialisten aus Mülheim angeboten. „In Anbetracht der aktuellen Situation musste unser ukrainischer Partner allerdings jetzt leider seinen Geschäftsbetrieb vorerst aufgeben“, schildert Geschäftsführer Christian Wolf. Seine Gedanken sind bei den Menschen in der Ukraine: „Wir hoffen, dass es dort allen Mitarbeitern und Familienmitgliedern gut geht.“

Turck-Geschäftsführer Christian Wolf schildert die Geschäftsbeziehungen des Mülheimer Unternehmens nach Russland und in die Ukraine.
Turck-Geschäftsführer Christian Wolf schildert die Geschäftsbeziehungen des Mülheimer Unternehmens nach Russland und in die Ukraine. © Turck-Gruppe

Mülheimer Turck-Gruppe stellt Geschäftsbeziehungen mit Russland und Belarus ein

Auch die Geschäftsbeziehungen der Turck-Gruppe mit Russland und Belarus seien durch den Krieg inzwischen komplett eingestellt, berichtet Wolf, der erklärt: „Unabhängig von den Sanktionen für bestimmte Produkte besteht derzeit auch keine Möglichkeit mehr, Waren in diese beiden Länder zu liefern.“

Um nicht tatenlos zusehen zu müssen, haben Turck-Mitarbeiter spontan eine Spendenkampagne für Menschen aus der Ukraine initiiert, die vor den Kriegswirren in ihrem Heimatland nach Polen geflüchtet sind. Über den Turck-Standort im ostpolnischen Lublin, kurz vor der ukrainischen Grenze gelegen, koordiniert das Unternehmen die Hilfe. „In Polen sind inzwischen mehr als 450.000 geflüchtete Menschen aus der Ukraine angekommen“, sagt Przemyslaw Brzeziewski, Geschäftsführer der Turck TAT in Lublin.

Turck sammelt an seinen deutschen Standorten für Ukraine-Flüchtlinge in Polen

Als Turck-Gruppe wollen wir uns in dieser Situation solidarisch zeigen und die Menschen unterstützen. Eine erste Spende in Höhe von 10.000 Euro haben wir bereits freigegeben, um Medikamente für Kinder vor Ort zu beschaffen. Wir werden auch weiterhin gezielt spenden, wo immer konkret und gezielt geholfen werden kann“, betont Brzeziewski.

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Darüber hinaus will das Unternehmen auch mit Sachspenden helfen. Dazu werden an den vier deutschen Standorten in Mülheim, Halver, Beierfeld und Detmold Sachspenden unter den Mitarbeitern gesammelt und wöchentlich nach Lublin sowie nach Człuchów in Nordpolen transportiert. Zusätzlich bemüht sich die Turck-Gruppe eigenen Angaben zufolge bei Einzelhändlern und Handelsketten um Unterstützung bei den Sachspenden.

Auch Siemens Energy pflegt Geschäftsbeziehungen mit Russland – Neugeschäft gestoppt

Geschäftsbeziehungen nach Russland pflegt für gewöhnlich auch Siemens Energy, jetzt aber liege alles auf Eis, heißt es aus dem Unternehmen. „Während wir weiterhin die umfangreichen Sanktionen und ihre Auswirkungen auf unser Unternehmen prüfen, haben wir sämtliches Neugeschäft in Russland gestoppt“, erklärt ein Sprecher und fügt hinzu: „Priorität hat aktuell die Unterstützung unserer Mitarbeitenden und ihrer Familien vor Ort. Außerdem unterstützen wir die humanitären Bemühungen mit einer Spendenaktion an das Rote Kreuz.“

Geschäftsbeziehungen nach Russland pflegt für gewöhnlich auch Siemens Energy, jetzt aber liege alles auf Eis, heißt es aus dem Unternehmen.
Geschäftsbeziehungen nach Russland pflegt für gewöhnlich auch Siemens Energy, jetzt aber liege alles auf Eis, heißt es aus dem Unternehmen. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

In den vergangenen 165 Jahren habe Siemens Energy viele verlässliche Partnerschaften mit Unternehmen und Menschen in Russland aufgebaut, heißt es aus dem Unternehmen. Vor diesem Hintergrund betont der Unternehmenssprecher: „Wir wissen, dass auch sie und unsere russischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein Leben in Frieden führen wollen.“ Details zu den Standorten in Russland will Siemens Energy derzeit nicht nennen, denn, so formuliert es der Unternehmenssprecher: „In dieser Situation sind solche Informationen sensibel.“

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Europipe hat die Rohre für das gestoppte Projekt Nord Stream 2 geliefert

Die rund 90.000 Rohre für die außer Betrieb genommene Ostseepipeline Nord Stream 2 stammen aus Mülheim. Der Mittelständler Europipe mit Sitz im Industriegebiet an der Pilgerstraße hatte sie produziert und geliefert. Der politisch verfügte Stopp der Gaspipeline trifft Europipe nach eigenen Angaben aber nicht. „Wir pflegen aktuell keine Geschäftsbeziehungen mit der Ukraine und Russland“, erklärt ein Unternehmenssprecher, der weiter ausführt: „Das Projekt Nord Stream 2 ist für Europipe vollständig abgeschlossen.“

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Kalt aber lässt das Geschehen in der Ukraine und das Schicksal der Menschen dort die Mitarbeiter in Mülheim nicht. Der Europipe-Betriebsrat ist aktiv geworden und hat sich einer konzertierten Hilfsaktion angeschlossen, an der auch Betriebsräte anderer Betriebe und IG-Metall-Vertreter beteiligt waren. Am Wochenende ist ein 16-köpfiges Team mit mehreren Fahrzeugen – unter anderem einem 40-Tonnen-Lkw voller Hilfsgüter – nach Polen an die ukrainische Grenze gefahren, um Sachspenden wie Kleidung, Hygieneartikel und Verbandsmaterial abzuliefern.

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Da sich laut Betriebsrat von Europipe auch Anfragen von ukrainischen Kollegen häuften, die ihre Familien aus dem Kriegsgebiet holen wollen, stellte das Hilfsteam auf der Rückfahrt Plätze in den Fahrzeugen zur Verfügung – drei Frauen und ein Kater, so schildert ein Betriebsratsmitglied, seien in der Nacht zu Sonntag mit nach Deutschland gereist. Doch einer der Helfer hat bei Gesprächen mit Geflüchteten aus der Ukraine vor Ort im polnischen Przemyśl auch erfahren: „Hunderte wollen gar nicht weg, weil sie glauben, sie könnten nächste Woche wieder zurück in ihre Heimat.“

Friedrich-Wilhelms-Hütte ist Zulieferer auch für die Rüstungsindustrie

Ihre Geschäftstätigkeit durch die aktuelle Lage, in der Aufrüstung große Aufmerksamkeit zukommt, ausbauen zu können, erhofft sich indes die Friedrich-Wilhelms-Hütte (FWH) als Produzentin von hochfesten und hochlegierten Stählen. „Als europaweit einzige, zertifizierte Lieferantin der höchsten Materialgüten ist die FWH relevante Zulieferin auch für die Rüstungsindustrie“, ordnet Nicolas Neumann, Geschäftsführer der FWH Stahlguss GmbH, ein. So produziert das Unternehmen den Angaben zufolge etwa spezielle Stahlgussteile für den Schützenpanzer Puma. Neumann schildert: „Aufgrund ihrer Produktionskompetenzen war es der FWH möglich, bereits vor dem Ukraine-Konflikt weitere Großaufträge zu akquirieren. Durch die geopolitische Entwicklung planen wir nun, die Produktionskapazitäten in den kommenden Monaten weiter auszubauen.“ Um die Herstellung ausweiten zu können, sucht das Unternehmen mit Sitz an der Friedrich-Ebert-Straße nach Aussage des Geschäftsführers dringend Fachkräfte.

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Noch sieht die FWH ihre Fertigungsfähigkeit durch Sanktionen oder die mögliche Unterbrechung von Lieferketten infolge des Krieges nicht bedroht. Nicolas Neumann erklärt dazu: „Die Materialversorgung für die Produktion ist trotz der geopolitischen Entwicklungen nicht gefährdet. Wir können momentan uneingeschränkt produzieren.“ Mögliche Lieferengpässe aber, räumt der FWH-Geschäftsführer ein, könnten in der Zukunft bei bestimmten Legierungselementen entstehen, die derzeit aus Russland importiert werden.