Mülheim. Hoher Besuch für die Mülheimer Friedrich-Wilhelms-Hütte: Bundespräsident Steinmeier war zu Gast und sprach mit Nachkommen ehemaliger Gastarbeiter.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die Mülheimer Friedrich-Wilhelms-Hütte besucht, um den 60. Jahrestag des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens zu würdigen. Das Staatsoberhaupt wurde von seiner Frau Elke Büdenbender begleitet. Gemeinsam nahmen sich Steinmeier und Büdenbender Zeit für Gespräche mit Mitarbeitern – viele von ihnen Nachkommen ehemaliger Gastarbeiter –, die teils bereits in der dritten Generation in der Hütte arbeiten.

Eine Barbara, die Schutzheilige der Bergleute, haben sie für ihn gegossen – schwarz wie Kohle und trotz ihrer zierlichen 30 Zentimeter beinahe fünf Kilo schwer. Stolz zeigen Timur Aleman, 22 Jahre, und Semi Savran, 21 Jahre, die Statue aus Gussstahl, die sie in der Ausbildungswerkstatt der Friedrich-Wilhelms-Hütte (FWH) gefertigt haben. Gleich wird Bundespräsident Frank Walter Steinmeier bei ihnen sein, dann können sie dem Staatsoberhaupt ihr Geschenk überreichen.

45 Prozent der Belegschaft der Friedrich-Wilhelms-Hütte haben Migrationshintergrund

Timur Aleman und Semi Savran gehören zu den Mitarbeitern der FWH Stahlguss GmbH, die am Dienstag ins Gespräch gekommen sind mit Steinmeier und seiner Frau Elke Büdenbender. Und zu den FWH-Mitarbeitern, deren familiäre Wurzeln nicht in Deutschland liegen. Heute sind in der Hütte viele Nachkommen damaliger Gastarbeiterfamilien beschäftigt. 45 Prozent der Belegschaft des Mülheimer Betriebes, den der Bundespräsident besuchte, um an das deutsch-türkische Anwerbeabkommen zu erinnern, das vor 60 Jahren besiegelt worden war, kommen aus zugewanderten Familien.

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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender konnten bei ihrem Besuch in der Mülheimer Friedrich-Wilhelms-Hütte beobachten, wie 1600 Grad Celsius heißer Flüssigstahl in eine Form für einen Kranhaken gegossen wurde, der später eine Tragkraft von über 1300 Tonen haben wird.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender konnten bei ihrem Besuch in der Mülheimer Friedrich-Wilhelms-Hütte beobachten, wie 1600 Grad Celsius heißer Flüssigstahl in eine Form für einen Kranhaken gegossen wurde, der später eine Tragkraft von über 1300 Tonen haben wird. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Die traditionsreiche Friedrich-Wilhelms-Hütte – vor mehr als 200 Jahren gegründet – sei als Besuchsziel für den Bundespräsidenten ausgewählt worden, weil sie „eine Blaupause bietet für das Ansinnen des Anwerbeabkommens und seit jeher Mitarbeiter mit Migrationshintergrund beschäftigt“, legt Nicolas Neumann, geschäftsführender Gesellschafter der CE Capital Partners, dar. Die Hamburger Beteiligungsgesellschaft hatte den Geschäftsbetrieb des Mülheimer Herstellers von Stahlgussprodukten sowie die zugehörige Verwaltungs-GmbH erst vor wenigen Wochen übernommen.

Restrukturierung des Mülheimer Traditionsunternehmens mit harten Einschnitten

Wegen massiver Umsatzeinbrüche durch die Corona-Pandemie hatten die Friedrich-Wilhelms-Hütte Eisenguss GmbH sowie die Friedrich-Wilhelms-Hütte GmbH im Sommer 2020 jeweils ein Schutzschirmverfahren gestartet, um eine Restrukturierung möglich zu machen. Als Ergebnis dessen schloss die Hütte ihre traditionsreiche Eisengießerei; 235 Mitarbeiter mussten den Betrieb verlassen. Aktuell zählen die verbliebenen Unternehmensteile noch 214 Beschäftigte.

Angeworbene Arbeiter

Das Anwerbeabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei wurde am 30. Oktober 1961 unterzeichnet und führte zu einer verstärkten Einwanderung.

Bis zum Anwerbestopp 1973 kamen 867.000 türkische Gastarbeiter in die Bundesrepublik, rund 500.000 kehrten wieder zurück in die Türkei.

Auch die wechselvolle Geschichte der Hütte – gerade die der jüngsten Vergangenheit – sprach der Bundespräsident an: „Die Friedrich-Wilhelms-Hütte ist ein Traditionsbetrieb, der seine Produkte mit sich ändernden Anforderungen anpassen musste, sich umstellen musste, aber heute erfolgreich am Markt ist.“ Sein Besuch sei auch „die Würdigung einer Region, die wahrscheinlich wie kaum eine andere durch Zuwanderung geprägt ist.“

1961 arbeiteten mehr als 6000 Menschen auf der Mülheimer Friedrich-Wilhelms-Hütte

Im Rückblick zeigt sich die Dimension des Wandels: Im Jahr 1961 – dem Jahr, als das Anwerbeabkommen besiegelt wurde – beschäftigte die Friedrich-Wilhelms-Hütte weit über 6000 Mitarbeiter, von denen 6,2 Prozent das Anwerbeabkommen genutzt hatten, um nach Deutschland, nach Mülheim zu kommen. Bis 1973, bis zum Anwerbestopp, arbeiteten etwa 400 Beschäftigte aus der Türkei auf der Hütte. „Die Arbeit war über lange Zeit der große Integrationsfaktor“, sagte Steinmeier.

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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender nahmen sich bei ihrem Besuch in Mülheims Friedrich-Wilhelms-Hütte Zeit für Gespräche mit Mitarbeitern, die aus ihrer Familiengeschichte erzählten. 45 Prozent der Belegschaft der FWH haben einen Zuwanderungshintergrund. Viele sind Nachkommen ehemaliger Gastarbeiter.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender nahmen sich bei ihrem Besuch in Mülheims Friedrich-Wilhelms-Hütte Zeit für Gespräche mit Mitarbeitern, die aus ihrer Familiengeschichte erzählten. 45 Prozent der Belegschaft der FWH haben einen Zuwanderungshintergrund. Viele sind Nachkommen ehemaliger Gastarbeiter. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Bei seinem Vater und seinem Opa war es genau so, erzählt Muhammad Fidan. Der 19-Jährige ist Konstruktionsmechanik-Auszubildender in der FWH und in Styrum aufgewachsenen. Sein Vater arbeitet heute noch als Putzer bei der Hütte, sein Opa hatte vor Jahrzehnten den Schritt gemacht und war von der Türkei nach Deutschland gekommen. „Dadurch haben wir heute ein besseres Leben“, ist Fidan überzeugt.

Mitarbeiter heben Zusammengehörigkeitsgefühl in der Mülheimer Hütte hervor

Einen anderen Weg, eine andere Arbeitsstelle hätte sich Muhammad Fidan für sich selbst nicht vorstellen können. Schon als kleiner Junge habe er seinen Vater in den Betrieb begleitet und fand „das alles absolut faszinierend.“ Was aber für ihn mindestens so schwer wiegt wie die Präzisionsarbeit mit riesigen Formteilen und kochend heißem Stahl ist das Zusammengehörigkeitsgefühl, das er im Kollegenkreis erlebt.

Von dieser Verbundenheit in der Belegschaft zeigten sich auch Steinmeier und Büdenbender nach ihrem Besuch beeindruckt. Der Bundespräsident betonte beim Abschied: „Wenn wir auf das Anwerbeabkommen schauen, dann schauen wir nicht nur auf ein Abkommen, sondern vor allem auf die Menschen, die zu uns nach Deutschland gekommen sind und auf das, was sie beigetragen haben in Wirtschaft und Gesellschaft.“