Mülheim. Michael Thom bricht zwei Mal beim Fußballspielen zusammen – zwei Mal retten ihm dieselben Sportkollegen mit Hilfe eines Defibrillators das Leben.
„Ich war fit wie ein Turnschuh“, sagt Michael Thom rückblickend. Also kickt der heute 53-Jährige mal wieder mit seinen Kumpels auf dem Bolzplatz des Mellinghofer Turnvereins 1893 an der Mülheimer Aktienstraße – und bricht zusammen: Herzstillstand. Zwei Ersthelfer, Sportkollegen, beleben ihn wieder mit Hilfe eines Defibrillators. Thom kommt nach OP und Reha wieder auf die Beine, spielt wieder mit in der Altherrentruppe – und kippt erneut auf dem Platz um. Dieselben Retter holen ihn mit demselben Gerät ein zweites Mal zurück ins Leben. Wie es dem Oberhausener heute geht.
„Ich fühlte mich Bombe“, erinnert sich Michael Thom an den Donnerstag Anfang August 2019. „Wir waren gerade aus dem Urlaub zurückgekommen und ich hab noch schnell in der WhatsApp-Gruppe gecheckt, ob unsere Altherrentruppe sich an dem Tag trifft.“ Sie traf sich – wie immer donnerstags. Michael Thom fährt also von Oberhausen, wo der gebürtige Mülheimer inzwischen mit seiner Familie wohnt, zum MTV an der Aktienstraße, dem er seit 2005 als Mitglied angehört, und kickt mit seinen Kumpels.
Altherren-Fußball in moderatem Tempo – so beschreibt Michael Thom seinen Sport
„Wirklich Sport ist das nicht, was wir da machen“, räumt der 53-Jährige ein. Sie spielen auf einem kurzen Platz, treten ein bisschen gegen den Ball. „Wir sind da nicht dauernd im Vollsprint, spielen vier gegen vier oder fünf gegen fünf“, ordnet der Freizeitkicker die Intensität ein. Doch plötzlich wird ihm – ohne jegliche Vorwarnung – schwarz vor Augen, er knallt aufs Gesicht. Bewusstlos liegt der Vater einer Tochter und eines Sohnes auf dem Platz, seine Atmung hat ausgesetzt.
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Geistesgegenwärtig reagieren seine Fußballkollegen und andere Sportler, die auf der Anlage unterwegs sind. Eine junge Frau rennt sofort los und holt den Defibrillator, Fußballer Rafael beginnt direkt mit der Herzdruckmassage, Rudi, der gerade auf dem Platz nebenan Boule spielt und den Thom von früher kennt, kommt hinzu und hilft. Sie legen den Defibrillator an, folgen den Anweisungen der Maschine – und holen den Freizeitkicker zurück ins Leben.
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All das weiß Michael Thom nur aus den Erzählungen seiner Kumpel. Als der Notarzt kommt, ist der Hobbyfußballer aber schon wieder bei Bewusstsein, sein Herzrhythmus recht stabil. Unfassbares Glück ist eine Formulierung, die Michael Thom öfter in diesem Gespräch gebrauchen wird. „Boule-Spieler Rudi war bei der DLRG, der hat Erfahrung in Erster Hilfe und konnte die anderen anleiten, auch Rafael hat genau richtig gehandelt“, weiß Thom – auch das: unfassbares Glück.
Drei Stents werden ihm eingesetzt: „Danach hatte ich das Gefühl, ich bin repariert.“
Im Evangelischen Krankenhaus Mülheim werden ihm nach dem Herzinfarkt drei Stents gesetzt, Reha und berufliche Wiedereingliederung folgten für den Maschinenschlosser, der bei Siemens Energy beschäftigt ist. „Danach hatte ich das Gefühl, ich bin repariert“, schildert Thom. Als die Ärzte ihm grünes Licht geben, fängt er wieder an, moderat Sport zu treiben. Das Corona-Jahr verzögert das erneute Auflaufen der Alten Herren beim MTV.
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Im Sommer dieses Jahres ist auch Freizeitkicker Michael Thom an einem Donnerstag wieder am Ball auf dem Bolzplatz an der Aktienstraße, als das Unfassbare passiert: Er bricht ein zweites Mal zusammen, will sich noch am Tor festhalten und prallt mit dem Gesicht gegen den Pfosten. „Ich sah aus wie ein Preisboxer“, sagt Thom. Und wieder stehen seine Schutzengel parat: Boule-Spieler Rudi kommt angerannt, Fußball-Kollege Rafael leistet erste Hilfe, sie setzen den Defibrillator an, geben den Schockimpuls ab – und Michael Thom ist wieder da, wieder bei Bewusstsein, bevor der Notarzt kommt.
„Ich hab dann meine Kumpel angesprochen, um zu zeigen, dass ich sie erkenne.“ Und dem Notarzt kann er direkt sagen, er solle ihn ins EKM bringen, „denn da kennen sie mich schon.“ Kannten sie – und waren überrascht, Michael Thom schon wieder zu sehen. „Ein Stent war dicht, wohl durch die Vernarbung“, hat Thom nach der zweiten Attacke erfahren. Auch das – äußerst selten, wie ihm die Ärzte versichern.
Gesund gelebt, Sport getrieben, nie geraucht – und trotzdem zwei Herzattacken
Später im Gespräch wird Michael Thom sagen, dass er beinahe ein bisschen beleidigt ist auf seinen Körper, einfach so aus heiterem Himmel vom Herzinfarkt erwischt worden zu sein. „Ich war wirklich fit vorher, hab nie geraucht, Sport getrieben, wog 77 Kilo“, war sich der Oberhausener sicher, eigentlich gesund gelebt zu haben. „Ich hab vorher keinerlei Anzeichen verspürt, dass etwas nicht stimmt. Mein Leben lang hatte ich kein schlechtes EKG. Ich hätte mir Schmerzen als Vorwarnung gewünscht.“ Er wäre nicht auf den Platz zurückgegangen, beteuert er, wenn die Ärzte ihm nicht nach diversen Tests ihr ausdrückliches Okay gegeben hätten, nie hätte er leichtfertig sein Leben aufs Spiel gesetzt – und niemals die Kollegen ein zweites Mal in die Situation bringen wollen, ihren bewusstlosen Kumpel retten zu müssen: „Darauf hätte ich gut verzichten können.“
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Beim zweiten Mal, erinnert sich Freizeitkicker Rafael „waren wir schon ein eingespieltes Team – einer hat den Defi geholt, einer hat sich um Michael gekümmert und einer hat das Tor für den Rettungswagen aufgemacht.“ Für Thom macht das deutlich: „Wenn Leute schnell handeln, ist viel zu retten. Mir sind dadurch größere Schäden erspart geblieben, ich kann weiter ein selbstbestimmtes Leben führen.“ Was aber wäre, „wenn ich irgendwo umgekippt wäre? Auf der Straße? Oder gerade alleine zuhause gewesen wäre?“ Das sind Fragen, die ihn umtreiben.
Elektronische Lebensretter
Tief bewegt hat die Geschichte von Michael Thom auch die Mitarbeiter der MedX5 GmbH. Die Firma ist Generalimporteur der Defibrillatoren, von denen einer auch dem Oberhausener zwei Mal das Leben gerettet hat. „Das hat es bei uns noch nie gegeben, dass jemand zwei Mal mit demselben Gerät wieder belebt wird, an genau dem gleichen Platz, von genau denselben Menschen“, sagt Sabine Scuik, stellvertretende Geschäftsführerin des Unternehmens.
„Im Rahmen des Forward Hearts Programm erhalten Überlebende, die mit einem HeartSine-Defibrillator gerettet werden, einen solchen Defibrillator, den sie einer Einrichtung ihrer Wahl spenden können, um somit möglicherweise ein anderes Leben zu retten“, kündigt Sabine Scuik an und führt weiter aus: „Dieser Spenden-Defibrillator wird von uns zur Verfügung gestellt. Herr Thom erhält nun gleich zwei solcher Defibrillatoren, da er schon zweimal vor dem plötzlichen Herztod gerettet werden konnte. Die beiden Spenden-Defibrillatoren möchte er dem Mellinghofer Turnverein 1893 e.V. übergeben.“
Heute trägt Michael Thom einen permanenten, implantierten Defibrillator, der seinem Herzen den entscheidenden Impuls gegen soll, wenn es wieder aussetzen sollte. Noch ist der 53-Jährige krankgeschrieben, darf noch nicht wieder Autofahren, er schont sich, macht alles in Ruhe. Aber: Er kann sein Leben mit seiner Familie nahezu uneingeschränkt führen – dafür ist er über die Maßen dankbar.
Verein erhält über Spendenprogramm zwei neue Defibrillatoren
Dass es den Defi, den „Samaritan“, wie der elektronische Schutzengel heißt, dort auf der Anlage gab, der ihm – genau wie Rudi, Rafael und die anderen Ersthelfer das Leben gleich zwei Mal – gerettet hat, all das: unfassbares Glück. „Der Defi hat große Hilfe geleistet, aber es braucht Leute, die ihn bedienen.“ Deshalb spricht Thom auch von zwei großen und einem kleinen Lebensretter. Und auch Retter Rafael sagt: „Man kann nix falsch machen in so einer Situation – Hauptsache, man macht überhaupt etwas, Herzdruckmassage etwa, und verfällt nicht in Schockstarre. Oder noch schlimmer: Hält einfach mit dem Handy drauf – das hilft keinem.“
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Heute steht der Defi, der „Samaritan“, bei Familie Thom im Wohnzimmer – als Erinnerung und als stets sichtbarer Glücksbringer. Er ist ausgemustert – der Verein wird über ein Spendenprogramm zwei neue Geräte erhalten, die Thom als Überlebender übergeben darf. So weiß Michael Thom seine Sportfreunde in Sicherheit. „Donnerstags stirbt da keiner“, sagt er lakonisch. In gut einer Woche feiert der Freizeitkicker seinen 54. Geburtstag – der eigentlich schon sein 56. ist.