Mülheim. Nach dem Streit um Gewerbeflächen im Grünen hat die Stadt Mülheim eine neue Strategie zur Flächenpolitik verkündet. Kritik daran bleibt nicht aus.
Nach dem quer durch die Bürgerschaft geführten Streit um die Ausweisung neuer Gewerbeflächen im Grünen und der Festlegung der Ratskoalition aus CDU und Grünen, nicht am Grün knabbern zu wollen, hat Mülheims Stadtverwaltung nun präsentiert, wo sie Potenzial für Unternehmensansiedlungen und -erweiterungen sieht. Insgesamt rund 93 Hektar Gewerbefläche glaubt sie an den Markt bringen zu können. Es gibt Skepsis.
Im Wirtschaftsausschuss stellte der Leiter des neuen, nun direkt beim OB angedockten Amtes für Stadtplanung und Wirtschaftsförderung, Felix Blasch, eine neue Strategie zur Gewerbeflächenpolitik vor, die mit politischer Unterstützung von Schwarz-Grün nun verfolgt werden soll. Dabei, so Blasch, stehe über allem als politische Vorgabe die Prämisse, dass der Wirtschaftsstandort auch bei Schonung von Freiflächen weiterzuentwickeln sei. „Wir können für die Mülheimer Zukunft schon was erreichen, wenn wir uns auf den Weg machen“, zeigte sich Blasch optimistisch.
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Stadtplaner Blasch: 30 Hektar und „vielleicht mehr“ am Flughafen
„Grob geschätzt“ 93 Hektar Potenzialfläche hat Blasch im Stadtgebiet ausgemacht. Darunter allerdings auch 30 Hektar „und vielleicht mehr“ auf dem heute doch überwiegend grünen Flughafen-Areal.
Weitere Potenziale, die Blasch in seiner Präsentation auflistete, sind ohnehin schon zur Entwicklung ausgerufen, so die ehemalige Tengelmann-Fläche in Speldorf samt benachbartem altem Bahngelände, das offenbar die Speldorfer Firma Wetec für eine Entwicklung von der Bahn erworben hat. Ebenso gelistet sind Potenziale für Gewerbe und Büronutzungen auf dem Gelände der alten Lederfabrik Lindgens oder nördlich des Saarncenters an der Düsseldorfer Straße.
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Auch Gewerbeflächen an der Gustavstraße in Styrum, an der Blücherstraße in Heißen, an der Oberheidstraße in Dümpten oder im Bereich Kölner Straße/Erzweg in Selbeck sind länger schon in der Diskussion; für die Oberheidstraße etwa sind die Planungen bereits in vollem Gange. 27 Hektar Fläche seien schon in der Entwicklung mit der Aussicht, davon 13 Hektar auch für gewerbliche Zwecke nutzbar zu machen, so Blasch.
Auch nicht neu ist, dass ein Investor das Areal der Hauptpost in der Innenstadt entwickeln möchte. Die Stadt möchte hier einen modernen Büro- und Gewerbestandort mit überörtlicher Strahlkraft entwickelt sehen, weshalb die Stadt laut Blasch auch gefordert sein wird, den öffentlichen Raum im Umfeld des Hauptbahnhofs deutlich aufzuwerten. An der Eltener Straße in Speldorf sieht Blasch die Chance, in direkter Nähe zur Hochschule ein lange schon diskutiertes Gründerzentrum zu etablieren, auch in der Innenstadt ist natürlich einiger Raum, der (auch) nach wirtschaftlicher Wiederbelebung schreit.
Stadt buhlt um die Erschließung brachliegender Flächen bei Mannesmann und Co.
Soweit nicht viel mehr als eine Bestandsaufnahme. Wirtschaftsförderung und OB trauen sich allerdings auch zu, aus bestehenden Industrie- und Gewerbeflächen mehr rauszuholen als das, was in der Vergangenheit möglich geworden ist. Ob Hafen oder die zentralen Flächen zwischen Mellinghofer Straße und Ruhr (Mannesmann, Friedrichs-Wilhelm-Hütte und Co.): Blasch bekundet die Hoffnung, hier im Gespräch mit Eigentümern manch eine kaum genutzte oder gar brachliegende Fläche für den Wirtschaftsstandort reaktivieren zu können.
Auf Nachfrage der SPD bekundete Blasch etwa, dass er bei den Flächen von Mannesmann (Salzgitter AG) und Friedrich-Wilhelms-Hütte ein Potenzial von „30 Hektar, vielleicht mehr“ sieht. OB Buchholz betont, in den ersten Monaten nach seiner Wahl diesbezüglich schon Gespräche mit Flächeneigentümern geführt zu haben.
OB Marc Buchholz: „Sehr positive Rückmeldungen aus den Unternehmen“
Gespräche im Übrigen, so Buchholz mit einer Spitze gegen die SPD, die in den vergangenen Jahren von seinem SPD-Vorgänger Ulrich Scholten nicht geführt worden seien. Es gebe nun „sehr positive Rückmeldungen aus den Unternehmen, die es gemeinsam mit der Stadt umsetzen wollen“. Er sei da „positiv gestimmt, dass in der Stadt etwas möglich ist, ohne Freiflächen anzupacken“. Mit einem Fingerzeig auf Mannesmann-Flächen sagte Blasch im Ausschuss, dass der Politik aus seiner Sicht dringend anzuraten sei, die mögliche Erschließung von Flächen auf nördlichem Mannesmann-Grund über eine Styrumer Tangente mit einem Posten im Etat verankert zu lassen.
Fokus auf Mittelstands- und Handwerksbetriebe
Der Leiter des Amtes für Stadtplanung und Wirtschaftsförderung, Felix Blasch, unterstrich die Haltung der Stadt, dass sie nicht das Ziel verfolge, Areale für Logistikunternehmen mit großem Flächenbedarf entwickeln zu wollen.
Durchaus habe der Boom in der Logistikbranche auch in Mülheim zu einzelnen Großanfragen bis zu 40 Hektar geführt. Dabei sei aber festzustellen, dass es sich um „Streuanfragen“ gehandelt habe, gerichtet an viele Kommunen in der Region.
Der Fokus der städtischen Flächenpolitik werde gerichtet auf kleine und mittlere Unternehmen sowie Handwerksbetriebe, deren Anfragen man in der Vergangenheit oft genug nicht habe bedienen können, so Blasch.
Während CDU und Grüne die vorgelegte Gewerbeflächen-Strategie im Wirtschaftsausschuss ausdrücklich begrüßten, äußerte die SPD scharfe Kritik. Bekanntlich hatte sie auch noch im Kommunalwahlkampf deutlich gemacht, dass mehr und neue Gewerbeflächen zu entwickeln seien, um der Stadt zum Erhalt ihrer Infrastruktur mehr Einnahmen zu verschaffen, die Wirtschaftskraft zu stabilisieren und neue Arbeitsplätze zu schaffen – auch für Menschen mit geringeren Qualifikationen.
SPD-Parteichef Bakum: Konzept ist „alter Wein in neuen Schläuchen“
Das von der Verwaltung präsentierte Konzept sei „alter Wein in neuen Schläuchen“, so SPD-Parteichef Rodion Bakum. Zu wenig neue Wirtschaftsfläche sei so zu gewinnen, zu wenige neue Arbeitsplätze – „wir bleiben damit auf den Abstiegsplätzen“, so Bakum mit Verweis auf die seit Jahren schlechte Entwicklung der Mülheimer Wirtschaftsdaten. Er kritisierte, dass von den 2018 von der Politik zur Entwicklung ausgerufenen Flächen heuer nicht eine einzige erschlossen sei. Er mahnte bei der Verwaltung an, nicht allein darauf zu setzen, dass durch den Arbeitsplatzabbau in Mülheims Industrie Platz für neues Gewerbe frei werde.
OB Buchholz reagierte emotional, ermahnte die SPD mit erhobener Stimme, „bitte doch den Wahlkampf abzulegen“. Bakums Kritik sei gespickt von „negativen Vokabeln, an Destruktivität nicht zu überbieten. Sehen Sie doch bitte den positiven Aufschlag, dass wir ein Potenzial von 93 Hektar haben, das wir heben wollen.“
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Wirtschaftssprecher skeptisch, ob Gespräche mit Flächeneigentümern Erfolg bringen
Dennoch, so stellte SPD-Mann Sven Deege fest: „Wir sind vom Wohl und Wehe der privaten Eigentümer abhängig.“ Er sieht in der vorgestellten Strategie keine Erfolgsgarantie, tatsächlich Bewegung in die Gewerbeflächen-Frage zu bekommen. Der Sprecher der Mülheimer Wirtschaft, Hanns-Peter Windfeder, äußerte ebenso seine Skepsis, dass die seit mehr als einem Jahrzehnt beklagte Gewerbeflächennot allein über Gespräche der Stadtspitze mit Eigentümern zu lösen sein wird. Diese Gespräche seien in der Vergangenheit oft geführt worden, immer wieder sei die Stadt vertröstet worden seitens der Flächeneigentümer.
Windfeder aber betonte, nicht alte Grabenkämpfe weiter befeuern zu wollen. Es gelte, „jetzt nach vorne zu schauen“, sagte er. Es sei zu begrüßen, wenn die Stadt jetzt aber mal losmarschiere in eine Richtung.