Mülheim. Der städtebauliche Wettbewerb für das ehemalige Tengelmann-Areal in Mülheim startet. Die Pläne für eine neue Parkstadt sind höchst ambitioniert.
Investor Soravia will das alte Industrieareal des Tegelmann-Konzerns in eine Parkstadt verwandeln. Nun startet der städtebauliche Wettbewerb mit zehn international renommierten Planerbüros. Ihre spezielle Herausforderung: Welche Ideen haben sie für das „Jokerfeld“?
Von April bis Oktober wird sich die Wettbewerbsphase erstrecken. Am 6. Oktober soll eine Jury unter Leitung des Architekten und Stadtplaners Professor Kunibert Wachten den Siegerentwurf küren, auf dessen Basis ein Bebauungsplan aufgestellt werden soll. Wachten ist Inhaber des Lehrstuhls am Institut für Städtebau und Landesplanung an der RWTH Aachen. In Dortmund ist er Miteigentümer der „Scheuvens + Wachten plus Planungsgesellschaft“.
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Zehn renommierte Planerbüros beteiligen sich am städtebaulichen Wettbewerb
Wachten hat sich in der Vergangenheit unter anderem einen Namen mit Gutachten gemacht, die die Verträglichkeit großer Bauprojekte mit den Weltkulturerbe-Stätten des Kölner Doms und des Dresdner Elbtals untersucht haben. Eben auch auf altem Industriegrund der Clouth Gummiwerke hat er in Köln-Nippes ein neues, durchgrüntes Stadtquartier für 3000 Menschen geplant. Die ehemalige Tengelmann-Fläche ist ebenso 14 Hektar groß.
Investor Soravia will hier einen „lebendigen und gleichzeitig klima-resilienten Stadtteil“ am Übergang von Speldorf zu Broich entworfen sehen. Ideen für „intelligenten Städtebau und außergewöhnliche räumliche Qualitäten“ sind den zehn Planerbüros abverlangt. Anders als etwa bei der Entwicklung auf dem Ruhrbania-Baufeld 1 in der Innenstadt geschehen, will Soravia ausdrücklich nicht auf verdichtete Baustrukturen setzen. „Die nächste Generation muss stolz darauf sein, was wir da jetzt bauen“, sagt er, ohne selbst öffentlich nur ein Wort zu Ruhrbania verlieren zu wollen.
„Die nächste Generation muss stolz darauf sein, was wir da jetzt bauen“
Die Wettbewerbsteilnehmer und die Jury
Diese zehn Büros werden sich dem Wettbewerb stellen: Ingenhoven Architects (Düsseldorf), RKW Architektur + (Düsseldorf), Studio Vlay Streeruwitz (Wien), A01 Architects (Wien), Rüdiger Lainer (Wien), Urban agency (Kopenhagen), AW Vallentin GmbH (München), Baufrösche Architekten + Stadtplaner (Kassel), Laux Architekten (München) und Shibukawa Eder Architects (Wien).
Unterstützt werden sie jeweils von Mobilitätsexperten und Landschaftsarchitekten. Sie sollen ihren Beitrag dazu leisten, dass bei der Quartiersentwicklung das erkannte Nahverkehrsdefizit abgestellt und die Vorgabe erfüllt wird, ein neues Stadtquartier zu schaffen, das durchgrünt und mit eine „Campus-Atmosphäre“ für die Menschen auch aus dem Umfeld offen ist.
In der Jury sitzen neben dem Vorsitzenden Prof. Kunibert Wachten und einem Investoren-Vertreter OB Marc Buchholz, Baudezernent Peter Vermeulen, Mülheims Chef-Stadtplaner Felix Blasch, Landschaftsarchitektin Christine Wolf (wbp Landschaftsarchitekten, Bochum) sowie Architektin und Stadtplanerin Prof. Anna Jessen (Büro Jessen Vollenweider, Basel). Die drei großen Ratsfraktionen (CDU, Grüne, SPD) sollen je ein beratendes Mitglied entsenden.
Der österreichische Investor hat mehrfach und auch jetzt wieder betont, dass er am Ende des Wettbewerbs Entwürfe erwartet, die Frei- und Parkflächen, Aufenthaltsqualität, auch dem teils 100 Jahre alten Baumbestand auf den insgesamt 27.000 Quadratmeter großen Parkflächen eine hohe Gewichtung beimessen. All dies soll „zentraler Bestandteil jedes neuen Konzepts sein“, mit dem die Fläche schrittweise entwickelt werden soll. „Der gesamte Prozess wird länger als zehn Jahre dauern, so dass zwischenzeitlich flexibel auf die Nachfrage von Mietern und Nutzern reagiert werden kann“, heißt es seitens des Investors.
„Wir wollen den geschlossenen Campus in alle Himmelsrichtungen öffnen und die Grünflächen für Außenstehende begehbar halten. Die Strahlkraft der neuen Parkstadt Mülheim wird weit über die Stadt und Regionsgrenzen hinausreichen“, verspricht Soravia ein außergewöhnliches neues, klimaneutrales Quartier, samt Nutzung klimaresilienter Baustoffe.
Noch vor 2024 könnten erste Bauaktivitäten zu sehen sein
Im ersten Schritt baut Soravia bereits erhaltenswerte Bestandsgebäude der alten Tengelmann-Zentrale um, 65.000 Quadratmeter Fläche sind in der Vermarktung. Soravia wünscht sich einen bunten Mieter-Mix, vom Coworking-Space über Niederlassungen bis hin zu Firmenzentralen, wofür etwa die Unternehmensgruppe Standardkessel Baumgarte schon einen Mietvertrag unterschrieben hat. Bis zum nächsten Jahr, so die Zielvorstellung, sollen 80 bis 90 Prozent der Flächen vermietet sein.
Steht ein Bebauungsplan, könnten noch vor 2024 die ersten Bauaktivitäten auf freier Fläche stattfinden. Im Visier dafür hat Soravia die Flächen im Westen. Im Südwesten soll die Fläche rings um das alte Haub-Wohnhaus mit seinem Rosengarten als grüne Lunge des künftigen Stadtquartiers samt hochwertiger Gastronomie weiterentwickelt werden. Die Flächen im Nordwesten mit Sport- und Parkplatz sind für Wohnungsbau vorgesehen. Insgesamt soll auf dem Campus Wohnraum für alle Altersklassen und Schichten entstehen, zum Mieten und Erwerben.
See auf dem alten Sportplatzgelände soll mindestens ein Hektar messen
Soravia hat dem Sportplatz-Areal den Titel „Teichfeld“ gegeben, nicht ohne Grund: Er sieht hier als Mittelpunkt einen mindestens einen Hektar großen See – das entspräche dem Ausmaß eines Fußballfelds. In ihm sollen Mülheimer künftig auch schwimmen können. Überhaupt sollen bestehende Brunnen und Wasserbecken auf dem Areal noch mehr akzentuiert werden.
Mit Spannung erwartet werden dürfen wohl insbesondere die Wettbewerbsbeiträge zum „Jokerfeld“ in der Mitte des Areals, wo aktuell im Technikum die Ausstellungen der „Körperwelten“ und der Terrakotta-Armee gezeigt werden. Für das Baufeld, das wohl erst später entwickelt wird, sollen die Planerbüros zwei Varianten einer Bebauung skizzieren: eine „moderate“ und eine „markante“ Version mit dichterer und höherer Bebauung. Investor Soravia will schließlich auf Mülheims Politik als Vertreter der Bürger setzen. Sie wird ja auch darüber entscheiden, „welche der beiden Varianten dem historischen Ort angemessen ist“.
Areal rund um das Technikum wird zum „Jokerfeld“ für die Planer
Dem Technikum wird offenbar nicht zugetraut, genügend Strahlkraft zu entwickeln, um neuer Mittelpunkt des Quartiers zu werden, um den herum sich auch das Ensemble aus Kutscher- und Kesselhaus sowie der ehemaligen Schokoladenfabrik etwa mit Gastronomie in Szene setzen soll. Bekanntlich hat der Essener Gastronom Franco Gianetti schon fürs Kesselhaus unterschrieben.
Auch Bildung soll am Standort seinen Platz finden. Soravia führt nach eigenem Bekunden aussichtsreiche Gespräche mit der Hochschule Ruhr-West über Erweiterungsflächen. Der Bau einer Kita mit Außenbereich sei schon fest verabredet mit der Stadt, heißt es. Sollte Mülheim wegen der wachsenden Zahl an Schülern einen Schulneubau ins Visier nehmen, sei dafür „schon ein Platz reserviert“.
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Die Parkstadt soll sich in alle Richtungen offen zeigen
Das Quartier soll sich im Inneren durch Verkehrsberuhigung und Fahrradfreundlichkeit auszeichnen, Radfahrer und Fußgänger sollen „größtmögliche Freiräume“ erhalten. Und auch die Mauer, die das ehemalige Tengelmann-Areal über Jahrzehnte von der Außenwelt abschnitt, soll fallen. Die Parkstadt soll sich, so legt sich Soravia fest, nach allen Richtungen öffnen.
Erwin Soravia verspricht viel: „In den nächsten Jahren entsteht auf diesem einzigartigen Areal ein neuer Teil der Zukunft Mülheims. Mit dem neuen Stadtteil leisten wir einen wichtigen Beitrag zu den Klimaplänen der Stadt und schaffen gleichzeitig ein Zentrum für Erfindergeist und Innovation. Ich freue mich schon jetzt auf den Wettbewerb und die Ideen der Teilnehmer, die hierfür den Anstoß liefern.“