Mülheim. . Stadtkämmerer Frank Mendack und Wirtschaftsförderer Jürgen Schnitzmeier haben Politikern eine Liste mit möglichen Gewerbeflächen vorgestellt.
Stadtkämmerer Frank Mendack und der Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung „Mülheim & Business“, Jürgen Schnitzmeier, haben Vertretern der Ratspolitik am Dienstagabend präsentiert, an welchen Stellen in der Stadt aus ihrer Sicht Gewerbe- und Wohnbauflächen geschaffen werden könnten. Ziel ist es, angesichts der jüngst aufgetretenen Haushaltslöcher strukturell für mehr Steuereinnahmen zu sorgen.
Die Fraktionen und Gruppen des Rates sollen nun intern beraten, für welche Projekte sie bereit wären, entsprechende Entwicklungen in die Wege zu leiten. Es sind einige Flächen darunter, für deren Baureifmachung es in der Vergangenheit ein politisches Veto gegeben hat. Bei einigen Flächen hatte auch die Bezirksregierung als Aufsichtsbehörde Pläne für unrealisierbar erklärt.
Arbeitskreis soll am 17. April Farbe bekennen
Am 17. April soll der Arbeitskreis Haushalt, in dem der Flächenpolitik unter Ausschluss der Öffentlichkeit aktuell höchste Priorität beigemessen wird, erneut tagen. Bis dahin, so der Auftrag des Stadtkämmerers an die Kommunalpolitiker, soll eruiert sein, welche Flächenentwicklungen mit dem Segen einer möglichst breiten politischen Mehrheit angegangen werden können. Nach Informationen dieser Zeitung handelt es sich um folgende Flächen, die (wieder) für Gewerbeansiedlungen gehandelt werden:
1
Nördliches Mannesmann-Gelände (Styrum/Dümpten). Es ist seit Jahren und ja, nun schon seit Jahrzehnten, die größte Potenzialfläche für Industrie und Gewerbe innerhalb der Stadt. Die Erschließung über die so genannte Styrumer Tangente war dank eines ansiedlungswilligen Baumarkthändlers schon einmal zum Greifen nahe, scheiterte damals aber am Veto der CDU. Später verschob die Stadt ihrerseits das bereits im Jahr 2000 für das Straßenbau-Förderprogramm des Landes angemeldete Projekt immer wieder und bemühte sich nicht mehr ernsthaft um eine Förderung. Aktuell will die Eigentümerin die Fläche, so ist zu hören, wegen der niedrigen Zinsen auch nicht unbedingt verkaufen. Und der Sinn einer Styrumer Tangente wird aktuell auch angezweifelt. Es heißt, auf dem Mannesmann-Areal könnten weitere Flächen frei werden, so dass für diesen Fall eine Erschließung der Gewerbeflächen eher über die Pilgerstraße zu favorisieren sei.
2 Kölner Straße/Erzweg (Selbeck). Zehn Hektar Gewerbefläche gibt es hier im Bestand. In Rede war lange eine Erweiterung auf 25 Hektar. Schwermetall-Altlasten auf dem alten Bergwerksareal, aber auch der Landschafts- und Artenschutz hatten das Vorhaben immer wieder ausgebremst. 2016 hatte die RWE-Tochter Westnetz Pläne für eine Freiflächen-Photovoltaik auf dem 1,8 Hektar großen Gelände der abgebauten Umspannanlage. Davon ist schon länger nichts mehr zu hören.
3 Jost-Gelände Weseler Straße (Speldorf). Für das geräumte Gelände der umgesiedelten Schrottverwertung existiert eine Veränderungssperre, um eine weitere Handelsansiedlung im Hafen zu vermeiden. Erst am Dienstag suchte Baudezernent Peter Vermeulen nach Informationen dieser Zeitung neuerlich das Gespräch mit der Politik, um die Sperre aufzuheben. Jüngst erst hatte die Politik das Ansinnen der Stadtverwaltung abgelehnt. Die Verwaltung sieht in der Sperre ein Vermarktungshemmnis, ohne dies explizit begründet zu haben, bleibt es doch erklärtes Ziel, Handel an der Stelle nicht zuzulassen.
4 Wissoll-/Liebigstraße (Speldorf). Für die Flächen südlich des alten Speldorfer Güterbahnhofs läuft bereits ein Bebauungsplanverfahren, das das Planungsdezernat offenbar schnell zum Ziel führen will. Hochschulnahes Gewerbe soll dort Platz finden. Gewünscht ist vor Ort auch ein Innovationszentrum, in dem Unternehmensgründer, die etwa eine Forschungs- und Laborinfrastruktur benötigen, Platz finden. Gutachten etwa zur Verkehrsbelastung und zu Altlasten sind nötig.
5 Eltener/Xantener Straße (Speldorf/Broich). Im Fortgang der Eltener Straße gibt es noch etwas Brachland. Es gilt als schwer zu erschließen. Anwohner der Eltener Straße sollen nicht über Gebühr belastet werden.
6 Lilienthalstraße (Raadt). Gegenüber der Halle der WDL Luftschiffgesellschaft liegt ein von der Stadt verpachteter Acker, der Anfang des Jahrtausends schon einmal als Gewerbefläche in Rede stand. Damals hatte die Bezirksregierung Plänen zur Ausweisung eines Gewerbegebietes einen Riegel vorgeschoben: Landschaftsschutz!
7 Büro- und Gewerbepark Brunshofstraße (Raadt). Ebenfalls ein leidiges Kapitel Mülheimer Gewerbeflächenpolitik. Seit Jahren tut sich nichts auf der 6,3 Hektar großen Fläche. Als Grund wird angeführt, dass die politische Mehrheit der Flughafen-Gegner seinerzeit hatte festschreiben lassen, dass sich kein flughafenaffines Gewerbe ansiedeln darf.
8
Gustavstraße (Styrum). Dort, wo die städtische Wohnungsbaugesellschaft SWB vor Jahren eher abrisswürdige Mehrfamilienhäuser für die Flüchtlingsunterbringung zur Verfügung gestellt hat, ist für die Wirtschaftsförderung auch Gewerbe vorstellbar. Für Wohnbau, heißt es aus informierten Kreisen, sei das Gelände nahe der A 40 und des Mannesmann-Areals nicht länger vorzuhalten.
9 Kölner Straße (Saarn-Süd). Südlich der Markenstraße, schräg gegenüber dem Kneipenrestaurant Alte Schule und neben der Holzhandlung Heinrich Jägers, liegt eine ungenutzte Wiesenfläche, die für eine Gewerbeansiedlung ins Spiel gebracht ist. Mögliches Hindernis: Sie gilt laut Regionalem Flächennutzungsplan als ökologisches „Fenster zur Landschaft“.
10
Solinger/Remscheider Straße (Saarn). Gedacht ist daran, das vorhandene Gewerbegebiet gen Osten (Auberg) maßvoll zu erweitern. Auch hier gilt der Landschaftsschutz als Vorbehalt.
11 Ruhrorter Straße (Speldorf). Eine Ausdehnung des Gewerbegebietes am Hafen um die Flächen westlich des Raffelbergparks ist in der Diskussion.
Kämmerer will keine Kampfabstimmung zu jedem Grundstück
Die Präsentation für den Arbeitskreis Haushalt gaben Kämmerer Frank Mendack und Wirtschaftsförderer Jürgen Schnitzmeier am Mittwoch auf Anfrage nicht frei.
Mendack übte scharfe Kritik daran, dass die Diskussionsgrundlage an die Öffentlichkeit gelangt ist. Der Kämmerer hatte die Gewerbeflächen-Debatte bewusst so lange von der Öffentlichkeit fernhalten wollen, bis sich eine politische Mehrheit für die Entwicklung der einen oder anderen Fläche entschieden haben könnte. Mendack will „eine Kampfabstimmung zu jedem einzelnen Grundstück“ vermeiden, setzt auf breiten Konsens.
Flächen sollen planungsrechtlich gerprüft werden
Wirtschaftsförderer Schnitzmeier betonte, dass es lediglich Vorschläge aus seinem Haus seien. Eine planungsrechtliche Bewertung stehe noch aus. „Die Flächen müssen noch auf ihre tatsächliche Mobilisierungsfähigkeit hin im Detail durchgegangen werden“, sagte er.
Jüngst hatte der Kämmerer noch vor Bürgern klargemacht, dass angesichts der Haushaltslage Handeln nötig sei: „Seit 2015 haben wir keine Gewerbeflächen mehr, haben aber auch nichts dagegen unternommen.“ Die Politik müsse nun auch mal gegen Widerstände Wohn- und Gewerbegebiete ausweisen, um zu strukturellen Einnahmeverbesserungen für die Stadt zu kommen.
„Flächenpolitik nicht im Umweltausschuss scheitern lassen“
In der Abwägung soll wohl auch in Sachen Artenschutz mal ein Auge zugedrückt werden. Mendack bei einer Bürgerrunde mit dem Bürgerlichen Aufbruch: „Irgendwann entdecken wir auch mal den Betonhamster, dann können wir auch im Straßenverkehr nichts mehr machen.“ Man dürfe die „Flächenpolitik nicht immer im Umweltausschuss scheitern lassen“.
Der Mülheimer Unternehmerverband lobt die neue Dynamik, mit der Verwaltung und Politik nun nach Gewerbeflächen in der Stadt suchen möchten.
Wirtschaftssprecher: Genau der richtige Weg
Der neue Diskussionsprozess sei „hervorragend und genau der richtige Weg“, sagt der Vorsitzende des Verbandes, Hanns-Peter Windfeder, im Gespräch mit der Redaktion. Damit werde der Neuansiedlung von Unternehmen nun die Priorität eingeräumt, die grundsätzlich notwendig sei.
Gleichzeitig wirbt Windfeder dafür, „mit Maß“ auf mögliche Flächen zu schauen. Zum einen gehe es nicht darum, jede beliebige grüne Wiese zuzubauen. Und zum anderen seien einige Grundstücke in der Vergangenheit auch aus bestimmten Gründen bereits durchs Raster gefallen und als Gewerbefläche nicht berücksichtigt worden, sagt der Vorsitzende, ohne allerdings konkrete Beispiele zu nennen. „Der Teufel steckt aber manchmal auch im Detail.“
Hanns-Peter Windfeder rechnet damit, in den kommenden Tagen näher zur Gewerbeflächensuche informiert zu werden. Grundsätzlich werde der Unternehmerveband als maßgeblicher Vertreter des Mülheimer Mittelstands von der Verwaltung gut einbezogen. „Wir werden schon gut mitgenommen.“ Über die Wirtschaftsförderung arbeite man seit langem vertrauensvoll mit der Stadt zusammen und sei im stetigen Austausch.
>> ZUR GEWERBEFLÄCHEN-SITUATION DER STADT
Auf „Nullkommanull“ beziffert Kämmerer Frank Mendack die Zahl der derzeit verfügbaren Gewerbeflächen in der Stadt. Und was man nicht hat, kann man auch nicht anbieten. Das erfuhr der Chef der Wirtschaftsförderung (Mülheim & Business), Jürgen Schnitzmeier, besonders im vergangenen Jahr hautnah. 87 Anfragen von Unternehmen, die sich in Mülheim ansiedeln wollten, hatte er 2017 auf dem Tisch liegen, darunter auch zwei Anfragen für Flächen über jeweils 100 000 Quadratmeter.
Unter anderem hatten Unternehmen aus den Bereichen Logistik, Produktion und Chemie ihr Interesse bekundet. Insgesamt beliefen sich die Flächenanträge auf 136 Hektar. Die Stadt konnte aber nur auf eine Reserve von insgesamt rund 6,6 Hektar zurückgreifen. 72 Firmen musste Schnitzmeier deswegen absagen. Damit belief sich die Absagequote im vergangenen Jahr auf 83 Prozent.
Wenn das so weitergehe und man keine Flächen zur Neuansiedlung oder Expansion generiere, drohe Mülheim die Abwanderung von Betrieben, warnte Jürgen Schnitzmeier und sah den Wirtschaftsstandort gefährdet. Deshalb gehörte Mülheim & Business zu den ersten, die den Vorstoß des Kämmerers in Sachen Gewerbeflächen unterstützten.