Mülheim. Die Mülheimer Sabine Gründges und Florian Scheffler wollten nur das Fulerumer Feld retten. Doch ihre Initiative bestimmte bald die Stadtpolitik.

Wer hätte gedacht, dass 2020 die heiße Schlacht um die Mehrheit im Mülheimer Ratssaal auf diesen 24 Hektar Grün am Rande der Heimaterde ausgetragen wird? Sabine Gründges und Florian Scheffler jedenfalls nicht: „Wir wollten keine Wahlempfehlungen geben, es ging uns allein um den Erhalt des Fulerumer Felds“, beteuern die Mitgründer und Sprecher der gleichnamigen Mülheimer Bürgerinitiative. Doch die rasante Entwicklung der BI auf 15.000 Mitglieder und die starke öffentliche Arbeit nötigte der Politik reichlich Demut ab – und überraschte selbst ihre Initiatoren.

Dabei hatte die Debatte fast ein Jahr zuvor mit einem nur kleinen Paukenschlag begonnen: Auf Initiative von SPD und BAMH kassierte der Stadtrat einen Gewerbeflächenplan des Planungsdezernenten Peter Vermeulen ein und erteilten dem Wirtschaftsförderer Hendrik Dönnebrink den Auftrag für einen neuen. Der lieferte im Herbst 2019 und machte acht Grünflächen aus, die er für eine mögliche Bebauung mit Gewerbe vorschlug – der große Paukenschlag.

„Dass diese große Fläche bebaut werden sollte, hat mich in der Seele getroffen“

Denn nun rührte sich eine Initiative in Essen-Haarzopf. „Ich hatte damals Plakate der BI ,Finger weg von Freiluftflächen' gesehen und gedacht: Da müsste man sich engagieren. Dabei bin ich bis dahin wenig politisch gewesen“, gesteht Gründges, „aber dass diese große Fläche bebaut werden sollte, die nicht nur schön ist, sondern eine klimatische Funktion hat, hat mich in der Seele getroffen, da steckst du deine Kraft rein“, so die Diplomkauffrau und Mutter von vier Kindern.

Der Mülheimer Funke zündete im November 2019 im „Krug zur Heimaterde". Florian Scheffler und rund 35 andere stießen hinzu, 13 formten einen aktiven Kern. „Wir hatten einen Joker: ein gut aufgestelltes Team“, meint Scheffler. Auch der kreative Mediengestalter im Marketing hatte Politik bis dahin nur am Rande verfolgt, „ich kannte nur das Wirtschaftsflächenkonzept und Jörn Benzinger von der BI „Finger weg“ – und schon gar nicht wollte ich Sprecher einer Initiative werden.“

Auf Augenhöhe mit der Politik

Also bildeten Scheffler und Gründges die Doppelspitze. Scheffler kann sich beim Gedanken daran ein unfreiwilliges Lächeln kaum verkneifen: „Dabei habe ich mich nie in der Rolle gesehen, in der Öffentlichkeit und mit der Politik zu sprechen. Am Ende war ich mehr damit beschäftigt als mit dem, was ich eigentlich als Gestalter machen wollte. Es hat dennoch megaviel Spaß gemacht.“

Denn mit einer Pressetexterin, Social-Media-Experten, Gestaltern und eingehender Recherche in Bürgerinformationssystemen wie Allris kam das Sprecherteam auf Augenhöhe mit der Politik. „Es lag auch daran, dass wir uns intensiv mit der Bewertungsmatrix für Gewerbeflächen befasst haben“, erzählt Gründges. Denn als im Frühjahr die Verwaltung eine solche Abwägung des tatsächlichen wirtschaftlichen Nutzens gegenüber dem Umweltschaden schuldig blieb, stellte die studierte Wirtschaftswissenschaftlerin einfach selbst eine auf.

Mehr als nur ein ,Dagegen-Trüppchen'

Und trieb die sich noch mit Blick auf die Wahlen im September windende Politik vor sich her. Frech? Oder schlau? „Eine Grünfläche, die Naherholungsgebiet ist und Klimaschutzfunktion hat, zu bebauen, wenn wir die ganze Zeit von Klimanotstand reden, fand ich total Banane. Wir wollten aber nicht einfach nur das ,Dagegen-Trüppchen' sein“, erwidert Scheffler, der aus Klimaschutzgründen seit sieben Jahren vegetarisch und seit drei sogar vegan lebt.

Gründges sieht das sachlich: „Ich schaue mir gerne Dinge intensiv und analytisch an. Also habe ich mir Kriterien und Gewichtungen überlegt und mir die Abschlussberichte der größten Mülheimer Firmen angeschaut. Wie viel Fläche haben sie, wie viel Steuern haben sie gezahlt? So hatten wir wenigstens eine Grundlage für Gespräche. Und dann kam auch ein Vorschlag von der Stadt.“

Wenn der WDR plötzlich vor der Tür steht

Und wie war der Schritt, plötzlich öffentliche Person zu sein? „Ich habe das gar nicht so empfunden, sondern uns immer als Team gesehen. Das wir die Gesichter der Initiative waren, wurde mir klar, als im Februar unangekündigt der WDR vor der Tür stand und ,kurz drehen' wollte“, gesteht Scheffler.

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Der Clou allerdings waren die grünen Dreiecke, die bald überall auf der Heimaterde zu sehen waren. Sie waren angelehnt an eine Initiative auf Fehmarn, die mit blauen Kreuzen gegen den Fehmarnbelt-Tunnel mobil machten. 500 grüne Dreiecke haben allein die BI-ler im kleinen Kreis hergestellt. Andere bastelten sie selbst.

Schlaflos auf der Heimaterde

Würden sie die BI noch mal ins Leben rufen, im Wissen, was auf sie zukommt? „Ich hatte zwischendurch schon ein paar schlaflose Nächte, als ich gemerkt habe, das ist nicht mit zwei Stunden in der Woche getan“, meint Scheffler, der Vater zweier Kinder ist. Und auch Gründges kam ins Grübeln, „zu Hause, nachdem ich dafür die Hand gehoben habe. Aber dann war ich überzeugt: Ich mach's, auch wenn's viel Arbeit ist.“

Beide würden es aber wieder tun: „Wir wurden von der Politik ernst genommen, aber wir wurden vor allem von den vielen Menschen, die man auf der Heimaterde jeden Tag getroffen hat, von dem Schwung mitgenommen. Es war schön zu erleben, dass das, was man an Arbeit investiert hat, Früchte trägt und bei den Leuten ankommt.“

Der letzte Paukenschlag?

Das Fulerumer Feld ist zwar nun gerettet, die Politik hat die Pläne zumindest hier begraben, die SPD kassierte ein blaues Auge und verlor kräftig an Stimmen, die Grünen erlebten einen Höhenflug. Und Wirtschaftsförderer Hendrik Dönnebrink schmiss sein zerpflücktes Konzept angefressen hin – der letzte Paukenschlag.

Doch die Initiative ruht nur. „Wir werden weiter beobachten, ob es bei der Entscheidung der Politik bleibt“, kündigt Gründges an. „Wir haben ein paar Wochen gebraucht, um durchzuschnaufen. Wir sind aber eine sehr nette Truppe mit vielen Ideen. Wenn es Themen im Kiez gibt, sind wir immer ansprechbar“, deutet Scheffler an.