Mülheim. Trotz Corona und Mülheims Schuldenberg: Es gilt, optimistisch ins neue Jahr zu blicken. Unser satirischer Blick auf das Mülheimer Jahr 2020.
Das Mülheimer Jahr 2021 wird doch sicher dem Bürgerwillen folgen: Was aus der VHS wird, wie der neue OB in seinem ersten Jahr punktet und letztlich auch einer seiner damaligen Gegenkandidaten, lesen Sie hier – in der satirischen Jahresvorschau.
Januar. Tata! Der Koalitionsvertrag ist da. CDU und Grüne lassen weißen Rauch aus ihren Parteizentralen aufsteigen. Meilensteine aus dem Koalitionspapier: 1. Zehn neue Windräder für Mülheim, aber nur auf Flächen in Dümpten und Styrum. 2. Flughafen-Betrieb über 2034 hinaus, aber nur mit Papierfliegern, die die Frischluftversorgung des Rumbachtals nicht durchschneiden. 3. Zehn neue Baugebiete für Gutbetuchte, die
Einkommensteuereinnahmen versprechen, am Mendener Ruhrufer, am Uhlenhorst, am Auberg, am Fulerumer Feld und auf den Saarn-Selbecker-Höhen - unter der einzigen Bedingung, dass Dächer begrünt werden. 4. Der Ausbau des Straßenbahn-Netzes mit einer Strecke nach Saarn (aber die CDU darf weiter sagen, dass sie das blöd findet).
Die willfährige FDP erklärt sich sofort bereit, alle Vereinbarungen mitzutragen. Man wolle endlich mal mitregieren, wenn schon am 11.11. eine Ratssitzung zum Etat 2022 stattfinden müsse, grummelt Mülheims designierter Karnevalsprinz der Session 2021/22,
FDP-Fraktionschef Peter Beitz.
Februar. NRW-Innenminister Reul ist zur Stippvisite in der Stadt, zwei Projekte im Gepäck. Auf der Eppinghofer Straße posiert er vor ein Schar von Pressefotografen, um seine neue Charme-Offensive im Kampf gegen die Clankriminalität zu präsentieren. Dazu verteilt Reul rosa Plüschbären mit Rocker-Kutten an Passanten. "Auf Großstadtstraßen solle es wieder kuscheliger werden", untermauert Reul, dass er weiter Herr der Lage ist. Nach der Verteilaktion bewegt sich der Minister-Konvoi zur Mülheimer Polizeiwache, um dort das Grundgesetz zu verteilen. Der Minister macht dabei ein Selfie von sich und postet es in eine deutschlandweit beachtete Whatsapp-Gruppe der örtlichen Polizei.
März. Widerwillig stapft Kämmerer Frank Mendack aus dem Rathaus und über die Schloßbrücke zum VHS-Gebäude in der Müga. Heute ist Besichtigungstermin mit dem Architekten Dietmar Teich, einem von ihm hinzugezogenen Gutachter und OB Buchholz. Mendack, auch Herr der städtischen Immobilien, hatte im Vorfeld noch versucht, sich mit einer Notlüge, der Schlüssel für die VHS sei ihm abhanden gekommen, zu winden. Alles erfolglos. Als das Quartett das Denkmal betreten will, ist das Staunen groß: Die VHS ist verbarrikadiert und besetzt, und das offenbar schon länger. Die Kommunalwahlstrategen der Satirepartei "Die Partei" haben tatsächlich hier ihre Parteizentrale eingerichtet. Hier herrscht nun der "OB der Herzen": Rocker Andy Brings. Die Besichtigung? Auf unbestimmte Zeit verschoben.
April. Dritter Lockdown nach kurzem Aufatmen bei der gemeinsamen Eiersuche am Ostersonntag in der Müga. Aus der Not heraus legt OB Marc Buchholz früher als geplant seine Digitalisierungsstrategie für das Rathaus vor. Erste Maßnahme: Fortan keine Präsenz-Ratssitzungen mehr, sie werden mittels Künstlicher Intelligenz virtuell ersetzt. Dafür hatten die Ratsmitglieder im Vorfeld Tonaufnahmen gefertigt mit ihren Positionierungen zu wichtigen Themen der Stadtentwicklung. "Ich will denn mal sagen...", beginnt die erste virtuelle Sitzung mit den Worten des OB, da fällt ihm direkt ein Zwischenruf der Künstlichen Intelligenz von MBI-Urgestein Lothar Reinhard ins Wort: "Wir haben schon immer auf die Probleme hingewiesen, die sich mit Ruhrbania auftun. Auch bei der VHS..." Es gibt Beratungsbedarf. Die Sitzung wird vorzeitig abgebrochen.
Mai. Im Wonnemonat kann OB Buchholz seinen ersten dicken Punktgewinn einfahren. Das verkündet zumindest die Stadtpressestelle. Buchholz selbst gibt sich noch bedeckt: "Näheres verrate ich erst bei meiner 275-Tage-Bilanz".
Juni. Die SWT Verwaltungs GmbH, Eigentümerin des Hauptpost-Areals zwischen Forum und Hauptbahnhof, präsentiert ihre Baupläne. Es soll über das Areal eine riesige Glaskuppel gesetzt werden, als eine Antwort auf den Klimawandel. Im Innern sind Tausende Beatmungsgeräte für Innenstadt-Bewohner installiert, damit diese sich dort im Falle einer weiteren Bebauung im Rumbachtal und am Flughafen "gegen eine geringe Gebühr", wie der Investor verspricht, Frischluft ziehen können.
Apropos: Neben Andy Brings, Jochen Hartmann und Jürgen Abeln gibt auch Horst Bilo seine Kandidatur für die anstehende Bundestagswahl bekannt.
Juli. Der Bundestagswahlkampf startet mit einem Eklat und gegenseitigen Schuldzuweisungen der Parteien. Überall in der Stadt sind Plakate von Kandidaten abgehängt. Ein Unbekannter hat die gesammelten Photoshop-Retuschen über die gesamte Stadt verstreut neben Altpapiercontainern deponiert. Der Staatsschutz ermittelt, RTL Explosiv ist in der Stadt. Schließlich beweisen die neuen Mülldetektive ihren Spürsinn. Die Spuren führen nach Saarn. Dort wird denn auch ein ehemaliger OB- und aktueller Bundestagskandidat auf frischer Tat ertappt. Er streitet die Taten, zu denen er mit Lastenrad aufgebrochen war, nicht mal ab.
Apropos: Am 9. Juli ist es soweit: OB Marc Buchholz verkündet während seiner Pressekonferenz zum Anlass, heute schon 275 Tage im Amt zu sein, den Start seines wegweisenden Stadtentwicklungsprojektes: Die Innenstadt wird autofrei, der Rumbach an die Oberfläche der Leineweberstraße geholt. Gondolieri bringen Kunden oder die, die es wieder werden könnten, künftig in die City. Die Grünen bejubeln das Klimaprojekt, die CDU? Nun ja...
August. Von wegen Sommerloch: Die neue Autobahn GmbH des Bundes revidiert die bisherigen Planungen für den Neubau der Ruhrtalbrücke in Mintard. Getreu ihrem Motto "Schneller planen, effizienter bauen, betreiben und erhalten" verwirft sie alle alten Planungen der Landesstraßenbehörde Straßen.NRW und plant den sechsstreifigen Ausbau nun ohne Brücke (und Shopping-Mall unter der Fahrbahn, siehe Jahresvorschau 2020). Die Autobahn soll künftig mit Tal- und Bergfahrt direkt durch Mintard geführt werden. Für die Planungen werden Experten des Bottroper Alpincenters zu Rate gezogen. Um die Autobahn an der Mintarder Straße zu queren, ist eine Seilbahn vorgesehen, die auch Autos über die A52 hieven kann. Für die A52-Querung der Ruhr schafft sich die Weiße Flotte Auto- und Lkw-Fähren an - die Fährgebühr ist ein riesen Geschäft für die klamme Stadt.
+++ Vorhang auf für das Jahr 2020 - die satirische Jahresvorschau +++
+++ Vorhang auf für das Jahr 2019 - die satirische Jahresvorschau +++
+++ Vorhang auf für das Jahr 2018 - die satirische Jahresvorschau +++
September. In einer Nacht- und Nebelaktion sind diesmal keine Wahlplakate verschwunden, sondern ist eine Schuldenuhr an ein stadtbekanntes Denkmal in Nähe von Schloß Broich angebracht worden. Die Ermittler der Finanzaufsicht suchen Zeugen. Täterbeschreibung: klein gewachsener Mann mit weißgrauen Haaren, Schnäuzer und Brille. Nein: "kein südländisches Aussehen". Unter dem Arm soll der Tatverdächtige, etwa Mitte 50, ein dickes Buch geklemmt haben. Womöglich einen Haushaltsentwurf...
Oktober. Ein Jahr nach der Kommunalwahl hat ein handfester Streit hinter den Kulissen die schwarz-grüne Koalition platzen lassen, auch bei der AfD rumort es. Ein Fuchs aus Dümpten hat auf diese, seine neue Chance gewartet: Diesmal macht er mit Abtrünnigen aus Union, Grünen und AfD gemeinsame Sache, um zumindest als Vorsitzender einer neuen Wählergemeinschaft politisch wieder mitmischen zu können. Eine neue Ratsfraktion entsteht: der BAMH. Nicht neu? Doch: Es ist nicht der Bürgerliche Aufbruch Mülheim, der gerade Plätzchen backt für die letzte Ratssitzung des Jahres, sondern der "Bürgerliche Aufbruch mit Hartmann". Ach ja: Die Frist zur Umsetzung des VHS-Bürgerentscheids ist schließlich abgelaufen. Tatenlos.
November. Nur nebenbei bemerkt: Wegen der letzten Corona-Massenimpfungen ist die Bundestagswahl um zwei Monate verschoben worden. Am Wahlabend kommt es zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen um das Direktmandat im "Wahlkreis Mülheim-Essen I". Lange hatte SPD-Kandidat Sebastian Fiedler mit seiner Trumpfkarte "Sicherheit" wie der sichere Sieger ausgesehen, doch auf den letzten Metern stiehlt dem Krefelder ein populärer Mülheimer die Show: Horst Bilo, Unternehmer aus Dümpten und ehemaliger OB-Kandidat, punktet mit seiner Ankündigung, "mich dann eben in den Zug zu setzen und in Berlin einen Koffer mit Geld für unsere überschuldete Stadt abzuholen". Das Wahlvolk ist entzückt, träumt von neuem Schwimmbad und luxussanierter VHS. Bilo postet am Wahlabend ein Foto von seinem Karnickelstall, den er von seiner Terrasse im Blick hat: "Das sind unsere drei Karnickel. Aber jezz hatt es sich ausgeguckt. Ich fahr nach Berlin."
Dezember. Der Masterplan für den Flughafen wird mit einer gigantischen Show in der neuen Luftschiffhalle am Flughafen präsentiert. Ein neuer, kreisförmiger Stadtteil mit 20.000 Neubürgern und einem Straßenbahn-Drehkreuz mit Verbindungen quer über die weiten Felder zur Heimaterde, nach Kettwig und zur Essener Margarethenhöhe entsteht. Im Kreiszentrum wird die Geschäftswelt angesiedelt, in einem zweiten Kreis Schulen, Straßenbahn-Zentralverwaltung und Erholungsgebiete, den äußersten Kreis bilden Wohnsiedlungen. "Der neue Stadtteil ist autofrei, der Verkehr wird unter die Erdoberfläche verlagert, der Transport über Monorails (Einschienenbahn) und Peoplemover (für kurze Strecken gedachte Schienentransporte) bewerkstelligt", beschreibt es ein Fachbeitrag. Still liegt derweil die Feldlerche im Gras. Sie schüttelt den Kopf: "Bei Ed Sheeran hätte ich wenigstens mitzwitschern können..."
Am Silvesterabend steht die Stadt aus anderem Grund Kopf. Über der Stadt funkelt zum Sieg der Mölmschheit über die Corona-Pandemie das prächtigste Feuerwerk, das Mülheim je gesehen hat. Missmut herrscht nur bei der kleinen Truppe, die mahnend Position am Kurt-Schumacher-Platz bezogen hat und ein Banner hochhält: "Für den Erhalt unserer..."