Mülheim/Essen.. Thomas Weise, Leiter der Polizeipressestelle Essen/Mülheim, blickt zurück auf sein “schwierigstes Jahr“. Der rechte Skandal hat alle erschüttert.
Es sei das schwierigste Jahr in seiner 40-jährigen Polizeilaufbahn gewesen. Thomas Weise leitet seit Mai die Pressestelle der Polizei Essen/Mülheim, vier Monate später erschüttert ein Skandal das Präsidium: Zunächst 29 Polizisten werden supendiert, NRW-Innenminister Herbert Reul spricht am 16. September von einer "Schande für die NRW-Polizei". Die Beamten sollen in Chat-Gruppen neonazistische, rassistische und fremdenfeindliche Bilder und Nachrichten verschickt und empfangen haben.
"Wie ein Blitzschlag" sei die Nachricht gewesen. "Wir waren geschockt", sagt Thomas Weise. Das, was für die Pressestelle anschließend folgt, habe die Quantität wie bei einem Terroranschlag gehabt, "nur bei einem Terroranschlag sind wir die Guten". In ganz Europa wird über das mutmaßlich rechte Netzwerk in der Essen/Mülheimer Polizei berichtet.
Rechter Polizeiskandal in Essen und Mülheim: Berichte in ganz Europa
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In den folgenden Tagen und Wochen reißen die Nachrichten nicht ab: Noch mehr Beamte geraten ins Visier der sich stetig ausdehnenden Ermittlungen. Einer der Polizisten soll Mitglied der Essener Hooligangruppierung "Alte Garde" sein. Bei anderen wird der Vorwurf zurückgezogen - ihre Nachrichten seien als Satire und Paraodien zu werten. Die Polizeigewerkschaften sind "wütend und enttäuscht", werfen den Verantwortlichen der Behörde und des Innenministeriums "eine rechtswidrige und damit ungerechte, aber auch unprofessionelle Vorgehensweise" vor. Sie warnen vor "Pauschalvorwürfen", die dem Vertrauen in die Polizei schadeten.
Thomas Weises Kollegen auf der Straße schlägt unterdessen ein Hass und ein Widerstand entgegen, wie es ihn vorher nicht gegeben hat. "Von einem auf den anderen Tag hat der Wind gewechselt", sagt Weise. "Täter haben sich zu Opfern gemacht, Kollegen wurden massiv beleidigt." Vor allem für junge Polizisten, die noch auf Probe verbeamtet sind, habe dies zu großer Unsicherheit geführt - ein Strafverfahren könnte ihre Verbeamtung auf Lebenszeit gefährden.
Polizeisprecher Weise: "Wir drohten, unsere Glaubwürdigkeit zu verlieren"
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Gerade in der sozialen Mittelschicht habe die Polizei eigentlich eine hohe Glaubwürdigkeit, sagt Weise. "Wir drohten, sie zu verlieren." Selbst in seinem Freundeskreis habe der 56-Jährige, der in Mülheim geboren ist und immer hier gelebt hat, Zweifel erlebt. Die Polizei müsse doch ein Strukturproblem haben, irgendetwas müsse dran sein an den Vorwürfen. "Nichts ist vertuscht worden", entgegnet Weise den Skeptikern. "Wir haben massiv an unserer Fehlerkultur gearbeitet." Was vor 20, 30 Jahren noch unter den Teppich gekehrt werden konnte, werde jetzt stringent verfolgt.
Die Situation, als zwölf der zunächst suspendierten Kollegen wieder in das Polizeipräsidium zurückkehren - andere von Vorwürfen entlastete Mülheimer Beamte leisten ihren Dienst nun in anderen Behörden -, sei für alle schwierig gewesen. Sprecher der Polizeigewerkschaften hatten schon im Oktober auf die menschliche Dimension der Suspendierungen hingewiesen, wenn Nachbarn redeten, über Verbindungen zu einem rechten Netzwerk sprächen.
Thomas Weise sagt, der Behördenleiter habe sie mit Wertschätzung empfangen, sie hätten andere, aber gleichwertige Aufgaben bekommen. Und doch bliebe die Unsicherheit, nicht zu wissen, was am Ende der Ermittlungen herauskommt. "Wir als Behörde haben keine Kenntnisse darüber, was sie genau gemacht haben sollen, was ihnen vorgeworfen wird", sagt Weise.
"Die Kollegen sind mit massiven Aggressionen konfrontiert. Das macht etwas mit ihnen"
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Er selbst kennt jeden der Kollegen persönlich, denen vorgeworfen wird, rassistische Bilder und Kommentare geteilt zu haben, habe sich jeden Tag die Frage gestellt, ob er etwas hätte merken können und müssen. Doch bis heute beantworte er sie mit Nein. Andere Fragen tauchen trotzdem immer wieder auf: Was treibt die Kollegen dazu, so ein Ventil zu brauchen? Wie kann die massive Belastung reduziert werden, damit es nicht soweit kommt? Denn klar ist: "Die Kollegen auf der Straße treffen nicht jeden Tag den Durchschnitt der Bevölkerung. Sie sind mit massiven Aggressionen konfrontiert. Das macht etwas mit ihnen."
Thomas Weise hat selbst viele Jahre im Streifendienst auf der Straße gearbeitet. Seit vier Jahrzehnten ist er bei der Polizei, hat nach seinem Realschulabschluss die Ausbildung gemacht, wurde als 18-Jähriger der damals jüngste Polizist Nordrhein-Westfalens. "Da ist man als Mensch noch gar nicht fertig und versucht, die Welt zu verbessern." Als er auf Streife in Speldorf unterwegs war, hat man versucht, ihn zu überfahren, mehrfach sei er mit einem Messer attackiert worden.
"Racial Profiling" gebe es nicht bei der Polizei
Diskriminierende Kontrollen, "Racial Profiling" - das gebe es nicht bei der Essener und Mülheimer Polizei. "Durch die polizeiliche Erfahrung ist man sensibilisiert, kann das Verhalten deuten, wie jemand geht, guckt, sich verdächtig verhält." Kontrolliere die Polizei beispielsweise zielgerichtet auf der Eppinghofer Straße, wo es "hochgradige Kriminalität" gebe, "ist es relativ schwierig, keinen Ausländer zu kontrollieren". Und wenn am Rheinischen Platz in Essen Drogen vertickt werden, dann seien die Täter in der Regel Afrikaner aus Guinea - die Seniorin mit Rollator brauche man dort nicht zu kontrollieren. "Wir wollen Straftaten aufklären", konstatiert Thomas Weise. "Unser Ziel ist es, Erfolge zu haben und Täter auf frischer Tat zu ertappen."