Mülheim. Es gilt, optimistisch ins neue Jahr zu blicken, auch wenn Mülheim so seine Probleme hat. Unser satirischer Blick auf das Mülheimer Jahr 2020.

Das Mülheimer Jahr 2020 steht ganz im Zeichen der Kommunalwahl im September: Wen die SPD als OB-Kandidat aus dem Hut zaubert und warum Texas mitten in Mülheim heimisch wird, lesen Sie hier – in der satirischen Jahresvorschau.

Oberbürgermeister Ulrich Scholten zu Gast in der Jacobsbrunnen-Siedlung: Er fühlt sich ermutigt, erneut zu kandidieren.
Oberbürgermeister Ulrich Scholten zu Gast in der Jacobsbrunnen-Siedlung: Er fühlt sich ermutigt, erneut zu kandidieren. © Foto: DANIEL ELKE / FUNKE Foto Services

Januar. Lange hatte er ein Geheimnis darum gemacht, jetzt lässt OB Ulrich Scholten die Katze aus dem Sack. Er habe bei einem Bürgergespräch mit drei Teilnehmern in der Jacobsbrunnen-Siedlung so viel Empathie und Zuspruch erfahren, dass sein Entschluss nun feststehe: Er wolle sich noch einmal zum Oberbürgermeister wählen lassen, diesmal aber als unabhängiger Kandidat. Scholtens Wahlkampf wird von einem Saarner Gastronomen finanziert. Die SPD ist blank: Weil sie selbst weiter auf Kandidatensuche ist, hatten sich bei ihr Stimmen gehäuft, Scholten doch eine zweite Chance einzuräumen.

Februar. Ist das die Wende am Wirtschaftsstandort Mülheim? Tengelmann-Chef Christian Haub verkündet bei einer kurzen Stippvisite in Mülheim, dass die neue Holding mit Zweigstelle im Stammhaus an der Ruhrstraße heimisch werde. Einen Wermutstropfen hat die ganze Sache doch: Hauptsitz der Holding wird Luxemburg. Ob bei Stadtkämmerer Frank Mendack da die Kassen klingeln werden? Dieser verhängt vorsorglich eine Haushaltssperre.

März. Vor ein paar Jahren war schon mal im Gespräch, unter der Ruhrtalbrücke in Mintard Mülheims dritte Shopping-Mall zu errichten, mit Pkw-Aufzug zum Autobahnanschluss an der Ruhrtalbrücke und 20.000 kostenlosen Parkplätzen zwischen Autobahnbrücke und Wasserbahnhof. Die Chefplaner von Straßen.NRW verkünden nun neue Pläne: Das künftig größte Einkaufscenter des Ruhrgebiets wird direkt in den Brücken-Neubau integriert. Jeweils 1800 Meter lang wird sich die Mall auf zwei unter der Fahrbahn liegenden Ebenen erstrecken. Weil auf der Brücke eigene Zu- und Ausfahrten, dazu Bus-, Rad- und Fußwege einzuplanen waren, wird die Brücke statt der heute 28 und der ursprünglich geplanten 37 nun 60 Meter breit werden. In Mintard gründet sich die neue Bürgerinitiative „Gegen den Schatten“.

April. Der Stadtrat tagt diesmal in der WDL-Luftschiffhalle am Flughafen. Das hat seinen Grund allerdings nicht nur im Ansinnen des gastgebenden Unternehmens, dort gut zehn bis zwölf Millionen Euro in einen Neubau mit Luftschiff-Erlebniswelt zu schaffen. In seiner Sondersitzung macht der Stadtrat den Weg auch frei für einen Flughafenbetrieb mit kleiner Düse. Dies nämlich ist eine elementare Bedingung für das Ansinnen von Siemens, am Flughafen eine neue Weltzentrale für den abgespalteten Konzern „Siemens Energy“ zu bauen.

NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst (CDU, 2.v.l) eröffnet im Mai ein weiteres Teilstück des Radschnellweges. Er fährt – angelehnt an den Baufortschritt – Schneckentempo.
NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst (CDU, 2.v.l) eröffnet im Mai ein weiteres Teilstück des Radschnellweges. Er fährt – angelehnt an den Baufortschritt – Schneckentempo. © dpa | Roland Weihrauch

Mai. NRW-Verkehrsminister Wüst setzt wieder seinen Fahrradhelm auf – in Mülheim wird ein weiteres Teilstück des Radschnellweges RS 1 eröffnet. Es führt gut 200 Meter über die Hochschule Ruhr West hinaus in eine Sackgasse auf der Überführung der Duisburger Straße. Dort soll eigentlich ein Aufzug fahren, er versagt aber seinen Dienst. „Wieder ein Meilenstein geschafft“, frohlockt Wüst unter den Klängen, die Mülheims Coverband „The Amazing Years“ zur festlichen Einweihung beisteuert. Gespielt wird ein Klassiker von „Zager & Evans“: In the year 2525. . .

Juni. Kurz vor der Sommerpause und auf der Zielgeraden seiner Legislaturperiode zeigt sich der Stadtrat ungewohnt entscheidungsfreudig: Der Sparbeschluss über sieben Millionen Euro im ÖPNV-Betrieb steht. Alle Schienenstrecken, ober- wie unterirdisch, werden stillgelegt und zu Trassen für E-Roller umfunktioniert. Die Stadt schafft 20.000 E-Roller an, die nun an den Haltestellen der Ruhrbahn über die vorhandenen Ticketautomaten im VRR-Tarif „Mülheim E“ freizuschalten sind. „Eine einmalige Investition, die lohnt“, jubelt Stadtkämmerer Frank Mendack. Um einige Wochen später bei Inbetriebnahme der E-Roller-Strecken doch in Argumentationsnot zu geraten. In den Tunnelanlagen häufen sich die Unfälle. Die Stadt hatte nicht in eine Beleuchtung investiert – und muss nun für Millionen nachrüsten.

Juli. Auf dem Kurt-Schumacher-Platz reiht sich Wahlkampfstand an Wahlkampfstand. Bei der SPD steht ein gesichtsloser Pappkamerad, pardon: Pappgenosse, Pate für die basisdemokratische Aktion der Partei: Bürger können Vorschläge machen, wer für die Partei als OB-Kandidat antreten soll. Zum Start der Saarner Kirmes in Broich zieht Parteichef Rodion Bakum unter notarieller Aufsicht einen Zettel aus der Tombola-Losbox: Helge Schneider steht da geschrieben. Doch der winkt gleich ab: „Lieber ein blaugrüner Smaradgkäfer als OB von Wühlheim“. Noch fünf Mal zieht Bakum weitere Zettel: fünf Mal Helge Schneider. Dann, endlich, ein anderer Vorschlag: Ulrich Scholten. . .

August. Für die Sanierung des maroden Tierheims zeichnet sich weiter keine Lösung ab. Das Bauordnungsamt sieht sich derweil gezwungen, das Tierheim wegen erheblicher Brandschutzmängel zu schließen. In einem Großaufgebot mit Polizei, Veterinär- und Ordnungsamt lässt es die Schrottimmobilie räumen. Mit Unterstützung durch den Duisburger Zoo werden die Tiere zur Müga gefahren. Sie werden bis auf Weiteres im alten VHS-Gebäude untergebracht. „Da ist die Situation nicht so schlimm“, sagt Ordnungsamtschef Bernd Otto.

Doc Snyder hält Mülheim in Atem: Helge Schneider (Die Partei) trumpft in der Stichwahl gegen Hannelore Kraft (SPD) auf und wird Mülheims neuer Oberbürgermeister.
Doc Snyder hält Mülheim in Atem: Helge Schneider (Die Partei) trumpft in der Stichwahl gegen Hannelore Kraft (SPD) auf und wird Mülheims neuer Oberbürgermeister. © imago stock&people | imago stock&people

September. Nur eine kann die SPD noch retten: Hannelore Kraft. Zwei Wochen vor der Kommunalwahl präsentieren die Genossen die ehemalige Landesmutter als ihre OB-Kandidatin. Am 13. September zieht Kraft tatsächlich an der grün-schwarzen Kandidatin Diane Jägers vorbei, weil diese zuletzt wenig Präsenz beim Wahlvolk zeigt und sich in Düsseldorf an einer Verfügung zur Rodung des Hambacher Forstes verdingt. Kraft muss aber doch in die Stichwahl und unterliegt dort ihrem Herausforderer: Helge Schneider hatte es sich doch anders überlegt, als „Die Partei“ ihn um eine Kandidatur gebeten hatte. Schneider kommt im Nihil-Baxter-Kostüm zur Wahlparty ins Schräge Eck: „Wichtig ist nicht, ob man gewinnt, sondern dass man gewinnt.“

Oktober. Der neu gewählte Stadtrat setzt in seiner ersten Sitzung sofort ein Zeichen: Ein neues Schwimmbad wird gebaut. Nach Vorbild der Schalke-Arena soll dazu aus dem wenig genutzten Ruhrstadion eine Multifunktionsarena mit beweglichem Hallendach werden. Der Rasen kann künftig aus dem Stadionrund rausgefahren werden. Darunter öffnet sich ein dreigeteiltes Schwimmerparadies mit 50-Meter-Bahn, auf der sich Mülheims Schwimm-Ass Damian Wierling auf die nächsten Olympischen Spiele 2024 in Paris vorbereiten will. Blöd nur: Künftig gibt es an Friesenstraße zwei Bäder. Es gibt zu wenige Parkplätze. Der Stadtrat beschließt Abhilfe: Als Abkehr vom ÖPNV-Beschluss soll künftig doch wieder eine Straßenbahn durch Mülheim fahren: Für die alte 110 müssen aber Schienen neu verlegt werden.

November. „Der verschissene November fällt in diesem Jahr aus“, verkündet OB Helge Schneider kurzerhand. Und verabschiedet sich in den Urlaub. In einem Gebäude an der Auerstraße brüten derweil die Mitglieder eines Parteivorstandes über einem kleinen Spruch auf einer Kranzschleife: „Ist das jetzt richtig so?“

Dezember. Drei Monate nach seiner Wahl zum Oberbürgermeister gerät Helge Schneider ins Visier der Staatsanwaltschaft. Die Behörde ermittelt zum Anfangsverdacht des Klamauks. Anlass war Schneiders Rede zum Haushalt 2021, in der er angekündigt hatte, Mülheims weiter sterbende Innenstadt zur Szenen-Kulisse für eine Neuverfilmung seines Kultfilms „Texas“ umbauen zu lassen, mit Saloon im Rathaus. 500 Millionen Euro soll das Ganze kosten. „Humor sollte immer dabei sein, auch bei Problemen“, hatte Schneider seine Kritiker abgewatscht.