Essen. Eine Broschüre der Polizei über „Arabische Familienclans“ sorgt weit über Essen hinaus für erheblichen Wirbel. Was die Autorin dazu sagt.
Wegen der zum Teil massiven Kritik an der Broschüre „Arabische Familienclans“ des Essener Polizeipräsidiums hat der Bochumer SPD-Landtagsabgeordnete Serdar Yüksel die Absetzung von Polizeipräsident Frank Richter durch Innenminister Reul (CDU) gefordert. Die Broschüre habe nach dem Extremismus-Skandal das Fass zum Überlaufen gebracht. Doch Düsseldorf stärkt dem Behördenchef den Rücken. „Der Minister sieht keinen Grund, warum Polizeipräsident Richter sein Amt nicht weiter ausüben sollte“, so eine Sprecherin.
Die auf Hochglanz-Papier gedruckte „Clan“-Broschüre der Essener Polizei, die plötzlich für so viel Wirbel sorgt, umfasst lediglich zwanzig Seiten. Einigermaßen übersichtlich ist auch der Kreis der Adressaten. Das Heftchen mit dem Titel „Arabische Familienclans - Historie. Analyse. Ansätze zur Bekämpfung“ ist vor gut einem Jahr in erster Linie für ein polizeiinternes Publikum erarbeitet worden – als eine Kurzinformation, so die Polizei, die die Beurteilung von Einsatzlagen bei der Bekämpfung von Clan-Kriminalität in Essen leichter machen soll.
Umstrittene Polizei-Broschüre über „Arabische Familienclans“ ging auch an Politiker und Journalisten
In der aktuellen Berichterstattung wird unterdessen der Eindruck erweckt, als sei dem lange in der Türkei inhaftierten Welt-Korrespondenten Journalisten Deniz Yücel mit seinem jüngsten Bericht über die Broschüre eine bemerkenswerte Enthüllung gelungen. Tatsache ist jedoch, dass die Clan-Broschüre gezielt auch an interessierte Fachleute außerhalb des Polizeiapparates verteilt worden ist – darunter an Journalisten, Politiker und Mitarbeiter des Essener Ordnungsamtes. Den Rang eines geheimen Dossiers besitzt sie keinesfalls.
Was bislang anscheinend niemanden aufregte, sorgt nun für einen Sturm der Entrüstung – von der Linken und der SPD bis hin zu den Grünen. Der SPD-Landtagsabgeordnete Serdar Yüksel will darin ein „Sammelsurium von Stereotypen“ und gar eine „rassistische Komponente“ diagnostiziert haben.
Die besonders angeprangerten Passagen finden sich in Kapitel „V. Besonderheiten von Clans in Einsatzlagen – Reizfaktoren“, die sich auf den Einsatz von Polizeihunden und weiblichen Polizeibeamten beziehen.
Das sagt die Professorin zu den angefeindeten Passagen über Hunde und Polizeibeamtinnen
Die Autorin der Broschüre, Professorin Dr. Dorothee Dienstbühl aus Mülheim, eine Kriminologin der Fachhochschule für Öffentliche Verwaltung, hat am Freitag auf die Anfeindungen reagiert. „Mich irritiert, dass die Bekämpfung von Clankriminalität nun mit der Rassismus-Debatte vermischt wird – das sollte man trennen“, sagt die Wissenschaftlerin auf Anfrage dieser Zeitung.
In puncto Hunde geht Dienstbühl von der widersprüchlichen Beobachtung aus, dass Clan-Mitglieder etwa im Rapper- und Drogenmilieu gerne „Kampfhunde“ besäßen, aggressive Clan-Mitglieder in Einsatzlagen hingegen ängstlich auf Hunde reagierten. Daher spreche sie in der Broschüre die praktische Empfehlung aus, „Hundestaffeln einzusetzen, um eine schnellere Kooperationsbereitschaft in Tumultlagen herzustellen“. Mit anderen Worten: Es geht nicht darum, Hunde auf Araber zu hetzen, sondern Ruhe herzustellen.
Zur Wirkung von Polizeibeamtinnen im Umgang mit männlichen Angehörigen der Familienclans – und einer möglichen Dominanz – schreibt die Professorin: „In einem gelebten Patriarchat stellen gerade Frauen in Uniform ein Reizfaktor dar, entsprechend werden sie häufig nicht ernst genommen oder beleidigt. Dies zeigen diverse Erfahrungen von Polizeibeamtinnen. Auf die Frage, ob Frauen mit Dominanz das Verhalten brechen sollten, wurde darauf hingewiesen, dass dies die Ehre verletzen kann.“ Ihre Empfehlung soll Polizeibeamtinnen helfen, die Lage für sich besser einschätzen zu können.
Ordnungsdezernent über Dorothee Dienstbühl: „Eine exzellente Wissenschaftlerin“
Die öffentliche Empörung hat die Wissenschaftlerin überrascht. Sie sagt: „An sich beschreibe ich in der Broschüre nichts Neues, diverse Autoren haben die Problematiken bereits aufgegriffen. Sie sind hier für Polizeibeamte stärker komprimiert.“
Rückendeckung bekommt die vielfach angefeindete Professorin unterdessen vom Essener Ordnungsdezernenten Christian Kromberg, der sie aus vielen Konferenzen und Arbeitskreisen zur Bekämpfung der Clan-Kriminalität kennt. Er sagt: „Dorothee Dienstbühl ist eine exzellente Wissenschaftlerin, die darüber hinaus ein großes Einfühlungsvermögen für die Lebenswirklichkeit von Ordnungskräften besitzt – egal ob von Polizei oder Ordnungsamt.“
Dass der Mülheimer Professorin in der öffentlichen Debatte nun rassistische Motive unterstellt werden, sei „schlichtweg ehrabschneidend und hanebüchen“. Insgesamt habe Dorothee Dienstbühl eine Broschüre erstellt, die sehr nützlich im Berufsalltag der Ordnungskräfte bei der Bekämpfung von Clan-Kriminalität sei. Kromberg: „Die Broschüre ist keine wissenschaftliche Arbeit, sondern eine praktische Handreichung.“