Mülheim. . Wenn die Feldlerche befragt würde, wann Ed Sheeran am Flughafen singen sollte, würde sie den August wählen. Oder noch einen Monat später.

Gestatten Sie, dass ich mich zuerst einmal vorstelle: Alauda arvensis, die Feldlerche, geschlüpft in Mülheim vor vier Jahren, männlich. Sie können mich Peter nennen, das macht es etwas einfacher. Meine Frau ruft mich natürlich anders. Ich melde mich aus dem sonnigen Süden. Im kalten, verregneten Mülheim gibt es ja derzeit keine Nahrung für mich und die meinen.

Viel ist geschrieben worden über meinesgleichen, die auf dem Flughafengelände im Juli den Auftritt eines anderen Sängers verhindern sollen. Mich hat ja keiner gefragt, aber wenn das möglich wäre, hätte ich gesagt: Mich persönlich stört der Gesang des ungefiederten Sängers überhaupt nicht. Das Problem ist eher, dass wir zu dem Zeitpunkt, wenn der Menschensänger mit dem schönen, roten Schopf am 22. Juli 2018 auf dem Flughafengelände auftreten sollte, den Nachwuchs überwiegend noch nicht aus den Nestern haben. Wir sind acht Paare, manchmal neun, die auf dem Flughafengelände Lebensbedingungen vorfinden, die es so nur ganz schwer, und in Mülheim überhaupt kaum noch zu finden gibt: freie Horizonte. Wir sind ja eigentlich ganz alte Steppenbewohner. Unsere Vorfahren kamen noch auf nicht zu intensiv bewirtschafteten Äckern zurecht – deshalb werden wir ja auch Feldlerchen genannt.

Auf dem Auberg haben früher viele Vögel gebrütet

Auf dem Auberggelände haben sich früher sehr viele von uns wohlgefühlt, doch da ist inzwischen viel zu viel los: Spaziergänger, frei laufende Hunde – zu viel Aufruhr für Vögel wie mich, die nicht nur ihr Nest in einer kleinen Mulde auf der Erde bauen, sondern auch die meiste Zeit zu Fuß unterwegs sind, um Futter zu finden. Bei Gefahr drücke ich mich auf den Boden – nur geübte Blicke können mich dann entdecken. Doch wenn uns Menschen oder Tiere zu nah auf die Pelle rücken, lassen wir auch unsere Nester im Stich. Das ist leider tödlich für unsere Nachkommenschaft.

Weil das unsere Natur ist, können wir nur in offenen Landschaften leben, wo die Vegetation dicht genug ist, um uns und unser Nest zu verbergen – aber nicht zu dicht, damit wir noch zwischen Stängeln und Blättern herumhuschen können. Wir meiden Häuser und Zäune, Bäume und Masten – eben alles, wo sich unsere Feinde, zumeist Rabenvögel und kleine Greifvögel – niederlassen und genau beobachten können, wo sich unser kleines Nest befindet.

Feldlerchen sind gut getarnt

Aus der Luft ist es ohnehin schlecht zu erkennen in einer weiten Landschaft, und auch für Füchse und Marder nur schwer zu finden. Und wenn doch, dann kennt meine Frau einen Trick, der oft verfängt: Sie tut so, als sei sie flügellahm, hüpft auffällig langsam weg vom Nest und lenkt so die Feinde ab. Glückt ihr das, fliegt sie davon.

Mein Job ist es, mein Revier zu markieren. Ich baue quasi einen akustischen Gartenzaun um mein Haus. Ich steige auf, singe dabei laut und stehe auch minutenlang singend in der Luft. Das ist ziemlich kräftezehrende Arbeit, das kann man sich ja wohl vorstellen. Steigen Sie mal mehrmals am Tag aus voller Kehle singend auf einen Berg!

Die geschlüpften Küken wollen Insekten fressen

Wenn Sie im Frühjahr die Kollegen beim Singflug sehen, die sich dabei in ungeahnte Höhen schrauben: Das sind die Junggesellen, die noch keine Familienverantwortung haben. Ich muss ja recht schnell wieder runter. Die geschlüpften Küken wollen Insekten fressen. Dabei lande ich nie auf dem Nest: Wäre ja nicht so clever, den Feinden auch noch den Weg zu zeigen. . . Sehr hilfreich ist es, wenn die Nachbarlerchenmänner auch mal den Krähen klar machen, dass sie hier unerwünscht sind. Allein machen sie dich ein, das gilt auch hier, aber das ist wieder ein Lied ganz anderer Sänger . .

Der rotschopfige Menschensänger und seine künstlich verstärkte Stimme sind also überhaupt nicht das Problem für mich und die meinen. Uns stört der Fluglärm ja auch nicht. Sind wir doch daran gewöhnt, dass die fliegenden Geräte und die Fahrzeuge auf den Teerbahnen bleiben. Das Problem sind die vielen anderen Menschen, die den Sänger ausgerechnet im Juli hören und sehen wollen. Wir können das nicht in unmittelbarer Nähe ertragen, das ist nun mal unsere Natur. Wir brauchen die Distanz.

Im August wäre es besser für ein Konzert

Kämen die Besucher aber erst im August, so ginge uns das – Entschuldigung! – am Bürzel vorbei. Dann kann unser Nachwuchs ja vielleicht schon selbst fliegen oder ist wenigstens schon so gut zu Fuß, dass wir Eltern mit ihm ausweichen können in Bereiche, wohin uns kein Mensch folgt.

Weil das ganze Gelände eingezäunt ist, brauchen wir hier auch keine Angst vor Hunden oder Menschen zu haben, die quer über die Wiesen laufen. Außerhalb vom Flughafengelände werden Sie hier in Raadt daher auch kaum Lerchenpaare sehen. Auch, weil wir uns so schön gewöhnt haben an die fast perfekten Lebensbedingungen auf dem Flughafenareal. Und deshalb alle Jahre im Frühling wiederkehren. Solange es noch genug von uns gibt, die sich paaren und für Nachkommen sorgen können.

>> LANUV führt Feldlerche als geschützte Art

- Die Fachkenntnisse über Feldlerchen und ihre Lebensgewohnheiten stammen von der stellvertretenden Nabu-Vorsitzenden in Mülheim, der Vogelkundlerin Elke Brandt, sowie Inge Püschel. Die freiberuflich tätige Mülheimer Biologin Püschel hat im Auftrag der Stadt für ein Gutachten das Vorkommen der Bodenbrüter auf dem Flughafengelände kartiert. Dieses Gutachten wurde vor wenigen Wochen im Mülheimer Naturschutzbeirat (früher Landschaftsbeirat genannt) vorgestellt.

- Inge Püschels Zahlen stammen aus den Jahren 2016 und 2017. Sie konnte für das Gutachten aktuell acht Feldlerchenpaare, wahrscheinlich sogar neun Paare, auf dem Flughafenareal nachweisen.

- Das LANUV (Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW) führt die Feldlerche als besonders geschützte Art; der Nabu (Naturschutzbund Deutschland) hat den Vogel schon 2016 als gefährdet eingestuft.