Mülheim. . Von pfiffigen Saarnern, einem jecken Oberbürgermeister und Vögeln ohne Starallüren – eine (nicht ganz erst gemeinte) Jahresvorschau.
Von pfiffigen Saarnern, einem jecken Oberbürgermeister und Vögeln ohne Starallüren – eine (nicht ganz erst gemeinte) Jahresvorschau.
Januar: Pfiffige Saarner
Die Gewerkschaft Verdi feiert durchschlagenden Erfolg vor dem Verwaltungsgericht: 2018 wird es keinen einzigen verkaufsoffenen Sonntag in Mülheim geben. Wie immer, sind die Saarner Einzelhändler am pfiffigsten. Sie bringen kurzerhand ein Gemeinschaftsprojekt in die Luft: Kunden können sich fortan zu jeder Tages- und Nachtzeit Waren aus dem Dorf per Drohne nach Hause liefern lassen. Ein Klick im Internet genügt, schon hebt vom Pastor-Luhr-Platz eine Drohne ab. Nicole Jakob, Vorsitzende der Werbegemeinschaft, zieht nach zwei Wochen freudestrahlend eine Zwischenbilanz: „Es ist der Renner. Unsere Umsätze sind um 20 Prozent gestiegen.“ Verkaufsschlager ist im Übrigen etwas, was Bellscheidts Bauernmarkt ins Angebot genommen hat: das alt-mölmsche Gericht „Jan im Sack“, bestehend aus Graupen und Trockenobst, schwebt meist zur Mittagszeit durch die Saarner Lüfte – und macht dem einen oder anderen Fußgänger Kohldampf. So funktioniert in Saarn die Luft-zu-Luft-Propaganda.
Februar: Stärkungspakt KarnevalStärkungspakt Karneval Stärkungspakt Karneval
Heiner Jansen, jahrelang Vorsitzender im Dachverband Mülheimer Karneval, schnappt sich beim Möhnensturm aufs Rathaus unentdeckt den Schlüssel von Oberbürgermeister Ulrich Scholten und verbarrikadiert sich für den Rest des Jahres in der Stadtkanzlei. Mülheim wird nun närrisch regiert – und schafft es, ohne neue Schulden auszukommen. Als Jansen nach einjähriger Regentschaft mal wieder vor die Tür tritt, steht vor ihm Regierungspräsidentin Birgitta Radermacher, händigt ihm Millionen aus dem Stärkungspakt aus und bützt ihn, dass es kein Halten mehr gibt.
März: Der Unvollendete
Was haben sich Bürger vor Jahren einen Kopf gemacht darum, wie der verwaiste Rathausmarkt wieder zur guten Stube der Innenstadt werden könnte. Geht nicht! Nicht zu bezahlen! Und die Parkplätze? Immer weniger fanden sich die Bürger wieder in dem, was gestalterisch herausgekommen ist. Das ändert sich erst, als Baudezernent Peter Vermeulen rebellisch den alten Kiosk besetzt und ihn eigenhändig zum begrünten Hochaus nach Mailänder Vorbild ausbaut. Auf 20 Etagen bildet sich um Vermeulen die „Mülheimer Kommune 18“, die nun aus dem Turm heraus an Stadtgestaltung- und -gesellschaft experimentiert.
April: Bahn nach Nirgendwo
Nach der Nahverkehrsplanung kommt. . . Genau: eine erneute Nahverkehrsplanung. Die Ortsvereine der SPD steuern um und kehren von ihrem Veto zur Straßenbahn nach Saarn ab. „Wenn die Bahn nicht im Nirgendwo auf der Kuppe endet, sondern auch die Freizeitlandschaft rund um Mintard anbindet, sind wir zu Kompromissen bereit“, erklärt der Ortsvereinsvorsitzende für Saarn, Selbeck und Mintard, Marc Dissel. Die Mintarder fordern mehr: eine Bahn bis Kettwig. Ein Gutachter prüft nun alternative Trassen. Kostenpunkt: 2,6 Millionen Euro.
Mai: Miniaturwelt Mülheim
Der Investitionsstau in der Stadt ist nicht aufzulösen. Der jecke Interims-OB Heiner Jansen erkennt das als Erster und verfügt, Bismarckturm, Tersteegenhaus, VHS, das in öffentlich-privater Partnerschaft erst vor Jahren sanierte, aber erneut baufällige Ziegler-Gymnasium sowie Schloß Broich binnen vier Wochen abzureißen. Stattdessen eröffnet unter Federführung von Disney in der Stadthalle eine neue Attraktion: Mülheims Miniaturwelten. Dort sind nun alle verschwundenen Gebäude der Stadtgeschichte wieder vereint: ob Zeche Humboldt, die Paulikirche oder der Kaufhof. Die Einnahmen reichen aus, um bei schlechtem Wetter Regenschirme und Wollmützen für den Freiluft-Unterricht von Schulen und VHS zu spendieren.
Juni: Der Rubel rollt
Interims-OB Jansen ist für manche jetzt ganz jeck: Er schuldet die Milliarden-Kredite der Stadt um. Sie sind fortan an die Entwicklung des russischen Rubel und an die Cyber-Währung der Bitcoins gekoppelt. Mit dem Rubel hat Jansen dann doch kein Glück. Die Bitcoins entwickeln sich derweil prächtig. Nach nicht einmal drei Monaten sind Mülheims Schulden auf 11,11 Euro gedrückt.
Juli: Was für Vögel!
Mit Shuttle-Bussen, auch via Helikopter (für die zahlreich angekündigte Prominenz) strömen Abertausende auf das Flughafen-Areal. Dort steigt im Juli das Konzertereignis des Jahrhunderts, der Radiosender Einslive überträgt live und vergibt gleich seine Krone an die beiden Topacts des Abends: Feldlerche Ferdi und Steinschmätzer-Dame Stefanie. Die beiden trällern nach der beleidigten Absage von Ed Sheeran in höchsten Tönen eine Hymne auf die Stadt: „Wenn ich ein Vöglein wär und auch zwei Flügel hätt, flög ich zu dir. . .“ Herbert Grönemeyer, der die Laudatio auf die beiden Vögel hält, kommen die Tränen. Nuschelnd verlässt er die Bühne: „Mülheim, ich komm’ aus dir.“
August: Wer die Wahl hat
Hat die Qual. Die CDU-Fraktion sucht erneut einen neuen Vorsitzenden. Da die fraktionsinterne Wahl zwischen Heiko Hendriks und Markus Püll erneut im unversönlichen Patt endet, spricht Parteichefin Astrid Timmermann-Fechter ein Machtwort. Eine Töpfersche Mutprobe soll über den Fraktionsvorsitz entscheiden. Das Baden in der Ruhr ist ja überraschend doch weiter verboten, so soll derjenige, der zuerst den Sprung in das bakterienverseuchte Nass wagt, der Auserwählte sein. Mit einer spritzigen Arschbombe springt. . .
September: Mobiles Lernen
Computerkurse im Freien – das verschafft VHS-Leiterin Annette Sommerhoff doch schlaflose Nächte. Zum Glück gibt’s da noch: Interims-OB Heiner Jansen. Er lässt ein paar müde Mark springen, um die Schiffe der Weißen Flotte mit PC-Arbeitsplätzen und EDV-Technik aufzurüsten. Die Kommunlapolitik meckert, als das Kursschiff während einer Ortsbesichtigung in Kettwig anlegt: „Wir wollten eine zentrale VHS!“ Nun wird überlegt, die Schiffsflotte auf dem Rathausmarkt zu verankern. Vielleicht lässt sich der bestehende Kiosk ja als VHS-Café umbauen. . .
Oktober: Tunnellösung
Die neue Bundesverkehrsministerin Sahra Wagenknecht verkündet in Mülheim das jüngste verkehrspolitische Ziel der Angola-Koalition (Rot-Schwarz-Gelb): freie Fahrt für freie Radler. Für ein erstes Projekt übergibt Wagenknecht der Stadt einen Förderbescheid über 123 Millionen Euro für die Untertunnelung des Radschnellweges. Die Bundesregierung reagiere damit darauf, dass seit Fertigstellung der Hochpromenade für Radfahrer in Mülheim kein Durchkommen mehr sei. Der Tunnel helfe, die Radtrasse wieder freizuhalten für Radler. Fußgänger sollen unter Tage flanieren. Denen macht das nichts: Oberirdisch konnten sie ja ohnehin kein Stadtpanorama genießen. Vor dem Stadtbalkon steht schließlich ein Baum.
November: Schnee von gestern
Der erste Schnee fällt über Nacht. In Massen. Bürger merken nichts davon. Denn die MEG hat Straßen, Plätze und Fußwege gar nicht erst weiß werden lassen. Dank eines Projektes zum Freiwilligendienst kann der Betrieb 8000 Ehrenamtler vom Centrum für bürgerschaftliches Engagement aus dem Schlaf reißen, sie in der Stadt verteilen und jede Schnellflocke einzeln auffangen lassen. Ein Problem hat die MEG doch: Wie die Leute beschäftigen, wenn es morgen nicht schneit?
Dezember: Das Leben des Heiner
Den jecken Interims-OB Heiner Jansen hat doch die Fortune verlassen: Mit seinem Etat-Entwurf für 2019, der als allein übrig bleibende freiwilige Leistung einen Millionen-Zuschuss für die Karnevalsvereine vorsieht, löst er heftigste politische Debatten aus. Bei einer Sondersitzung in der Silvesternacht knallt’s. Die Politiker streiten wie die Pyrotechniker. Die Fraktion des Bürgerlichen Aufbruchs spaltet sich, weil einige ihrer Mitglieder auf die fortlaufende Subventionierung des Theaters bestehen, in zwei Gruppen: „Die Bürgerlich Ausbrechenden“ und „Die Bürger des erneuten Anlaufs“. Monty Python überlegt eine Neuauflage von „Das Leben des Brian“ – mit Mülheimer Freizeitpolitikern als Laienschauspieler.