Gladbeck. Die Menschen in Gladbeck haben andere Vorstellungen von Beerdigungen als früher. Fachleute überlegen, was sich zukünftig ändern kann oder muss.
Die Friedhofskultur hierzulande befindet sich im Umbruch. Menschen haben andere Vorstellungen von ihrer letzten Ruhestätte als noch vor zehn Jahren. Das bedeutet für die Fachleute beim Zentralen Betriebshof Gladbeck (ZBG), in dessen Verantwortung die drei städtischen Anlagen in der Stadt liegen: sich auf die Wünsche einstellen und neue Ideen entwickeln, um zukunftsfähig zu sein. Orte für Konzerte? Platz für Freizeitsport? Oder gar ein Areal für einen Tierfriedhof?
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Vorstellbar sei vieles, sagt René Hilgner. Der zweite ZBG-Betriebsleiter fügt hinzu: „Wir müssen Friedhof neu denken.“ Ein Entwicklungskonzept soll die Grundlage für die Zukunft sein. „Dafür werden wir auch externe Hilfe einkaufen“, kündigt der Fachmann an. Doch auch ohne diese Unterstützung ist eines bereits jetzt klar: „Man muss langfristig planen. Ein Friedhof ist wie ein Öltanker: Es gibt einen langen Bremsweg.“
In Gladbeck sind Bestattungstrends erkennbar
Im Vergleich zu Anlagen in umliegenden Städten stehe der ZBG vor einem Problem schon einmal nicht: große Freiflächen. Während anderenorts ganze Grabfelder ungenutzt daliegen, sagt ZBG-Expertin Silke Kuckert-Brinkmann: „Wir haben definitiv keine Freiflächen.“ Was vielleicht so ausschaue, sei vergeben und werde später einmal genutzt. Hilgner sieht die städtischen Friedhöfe im Zentrum, in Rentfort und Brauck für die Bevölkerungszahl angemessen dimensioniert.
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Zwei Trends sind unübersehbar: der Wunsch nach möglichst wenig Pflegeaufwand und – damit oft verbunden – die gestiegene Nachfrage nach Feuerbestattungen. Was in der Konsequenz heißt: Der Flächenbedarf sinkt. In Rentfort, so Hilgner, habe der ZBG bereits vor Jahren reagiert: „Perspektivisch haben wir eine Fläche vermarktet. Dort ist Wohnbebauung entstanden.“
In Rentfort und auf dem Friedhof in Brauck erstrecken sich die Flächen, die für Bestattungen zur Verfügung stehen, auf jeweils zwölf Hektar. Auf dem Friedhof Mitte sind es sechs Hektar. Hier herrscht sogar Platznot.
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„Wir hatten vor zehn Jahren ungefähr 20 Prozent Urnenbeisetzungen, mittlerweile sind wir bei 52 Prozent“, berichtet der zweite Betriebsleiter. Und solche Grabstätten haben einen niedrigeren Platzverbrauch als die früheren Gruften. Vor 20 Jahren wurden die Gemeinschaftsgräber mit Grabstein eingeführt, also Nutzungsrecht inklusive Pflege, wie Silke Kuckert-Brinkmann das Prinzip beschreibt. Hilgner: „Diese Bestattungsform ist unsere Erfindung und als ,Gladbecker Modell’ heute Trend.“ Danach werde oft gefragt, denn die Pflege dieser Grabstätten übernimmt der ZBG. Gewünscht seien auch pflegefreie Partnergräber und Urnenstelen, die der Zentrale Betriebshof seit dem Jahr 2017 ermöglicht. Allesamt Varianten, bei denen Angehörige nicht eigenhändig pflanzen, jäten, schneiden und gießen müssen.
Das wundert Hilgner nicht, denn „Kinder und Kindeskinder bleiben nicht vor Ort“. Silke Kuckert-Brinkmann stellt fest, dass immer mehr Angehörige kaum den Friedhof besuchen: „Vielleicht zu Allerheiligen, dann wird das Gesteck vom Vorjahr ausgewechselt.“ Wie die Fachleute betonen, bemühe sich der ZBG, möglichst viele unterschiedliche Beisetzungsformen anzubieten. Hilgner argumentiert: „Wir wollen keinem Gladbecker einen Grund geben, sich nicht in Gladbeck beerdigen zu lassen.“ Vieles sei möglich – bis auf naturgemäß See- und Waldbestattungen: „Wir haben einfach keinen Wald wie in Westerholt.“
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Absolut tabu ist es, eine Urne überhaupt nicht zu beizusetzen und womöglich mit nach Hause zu nehmen. Kuckert-Brinkmann zum Grund: „In Deutschland besteht ein Bestattungszwang, weil jeder Mensch ein Recht auf Trauer hat.“ Der Zugang zu einem Ort der Trauer muss gewährleistet sein.
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Trotz aller Neuerungen ist die Zahl der Beerdigungen auf den drei städtischen Friedhöfen in Gladbeck zurückgegangen. Nach Hilgners Angaben waren es 854 Beisetzungen im Jahre 2016, anno 2021 nur noch 690. Unterm Strich bedeutet das ganz profan auch: geringere Einnahmen. „Wir haben seit 2020 die Gebühren nicht mehr erhöht“, bringt Silke Kuckert-Brinkmann in Erinnerung. Nur bei den Wahlgräbern „sind wir teurer als andere Kommunen.“ Hilgner sagt klar: „Tendenziell steigen die Gebühren. Wir müssen an das Thema ran.“ Wie das aussehen soll oder könnte, will der Fachmann aktuell jedoch noch nicht ausführen.
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Gesetzt den Fall, Friedhofsflächen liegen irgendwann einmal brach: Was wird geschehen? Könnten Frauchen und Herrchen auf eine letzte Ruhestätte für ihre Lieblinge auf einem Tierfriedhof in Gladbeck hoffen? Kuckert-Brinkmann blickt nach Gelsenkirchen, wo dergleichen ins Auge gefasst ist. „Dort in Rotthausen hat es auf der geplanten, abgrenzbaren Fläche des Friedhofs noch nie eine Beisetzung gegeben. So ein Areal haben wir in Gladbeck nicht. Ein Tierfriedhof wird zudem in Gelsenkirchen stark nachgefragt, bei uns nicht“, so die ZBG-Expertin.
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Hilgner meint: „Wenn wir zu viel Flächen haben, ist eine naturnahe Nutzung denkbar.“ Beispielsweise eine Baumanpflanzung im Randbereich oder eine Obstwiese. Ein Friedhof erfülle eben auch eine Klimaschutz-Funktion, habe „Park-Charakter“.
Lesung „Friedhofsgeflüster“
Dr. Anja Kretschmer wird am Montag, 17. Oktober, eine Lesung auf dem Friedhof in der Stadtmitte, Feldhauser Straße 24, halten. Der Titel lautet „Friedhofsgeflüster“.
Beginn ist um 19 Uhr. Anja Kretschmer wandelt, stilecht kostümiert, mit dem Publikum auf den Spuren der Vergangenheit, um Antworten zu finden auf die Frage, „warum wir etwas von unseren Vorfahren über den Tod lernen können“. Silke Kuckert-Brinkmann, beim Zentralen Betriebshof Gladbeck (ZBG) Expertin für die Friedhofsunterhaltung: „Sie spricht über Friedhofskultur an sich, aber auch über Aspekte wie Aberglauben.“
Der Eintritt kostet 14 Euro. Schüler und Studenten zahlen die Hälfte. Anmeldung bei der Volkshochschule (VHS) unter 0 20 43/99 24 15.
In den Gladbecker Anlagen gehen Menschen spazieren, joggen, treffen sich. Vorbei die Zeiten, in denen der gemeinsame Gang zum Friedhof für Familien ein festes Ritual war – und zwar nicht nur an Gedenktagen. Vorbei die Zeiten, in denen Angehörige die Pflege der Gräber selbst in die Hand nahmen. Und vorbei die Zeiten, in denen Gottesäcker vor allem eines waren: Orte der Besinnung.
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Schon jetzt stehen Überlegungen im Raum, wie sich ein Friedhof anderweitig nutzen lasse. Ein Klavierkonzert etwa? Warum nicht! Kuckert-Brinkmann: „Wir probieren am 17. Oktober erst einmal etwas Neues aus.“ Eine Lesung auf dem Friedhof in der Stadtmitte (siehe Info-Box).