Gladbeck. Die Bestattungskultur wandelt sich stark in Gladbeck. Es sind immer mehr pflegefreie Grabstätten in verschiedenen Varianten gefragt.
Ein Jahr liegt die Entscheidung zurück, dass die Friedhofskultur in Deutschland als Immaterielles Kulturerbe eingestuft wurde. Doch Charakter und Erscheinungsbild dieser Anlagen sind keineswegs in Stein gemeißelt. Gerade in Corona-Zeiten entdecken die Menschen in Gladbeck die parkähnlichen Areale vermehrt für sich als Oasen in der Krise. Ein Wandel in der Bestattungskultur ist ebenfalls unübersehbar.
Das stellt Silke Kuckert-Brinkmann vom Zentralen Betriebshof Gladbeck (ZBG) fest. Die Veränderung ist längst nicht nur an der Gestaltung von Gräbern ersichtlich. Die Expertin – verantwortlich für die drei städtischen Anlagen in Stadtmitte, Brauck und Rentfort – beobachtet: „Viele kommen auf die Friedhöfe, um hier Luft zu schnappen.“ Schließlich drubbeln sich auf einem Gottesacker die Besucher nicht wie in Parks und Freizeitanlagen – man denke beispielsweise an Wittringen.
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Auf den Wegen zwischen Grabfeldern gehen Herrchen und Frauchen mit ihren Hunden Gassi, Fußgänger nutzen die Anlage als Abkürzung, Drahtesel-Fans treten kräftig in die Pedale – „obwohl das untersagt ist“, wie die ZBG-Mitarbeiterin betont. Sie stellt fest: „Die Pietät schwindet.“
Gladbeck: Viele Angehörige wohnen nicht vor Ort
Passé sind Zeiten, in denen es selbstverständlich war, „dass die Familie sonntags zu den Gräbern geht“. Laut einer Umfrage des Vereins Aeternitas, Verbraucherinitiative Bestattungskultur, legen viele Menschen heutzutage auf dieses Ritual keinen (großen) Wert. Und für immer mehr ist es ein Kreuz, sich um die letzten Ruhestätten zu kümmern: gießen, pflanzen, Unkraut zupfen. Das können und wollen manche Angehörigen nicht stemmen. Dieser Aspekt ist ein Mosaik-Steinchen bei der Entscheidung für eine Beisetzungsform. Silke Kuckert-Brinkmann: „Viele wohnen nicht mehr vor Ort, so dass sie regelmäßig zum Friedhof gehen könnten.“ Daher lautet eine zentrale Erkenntnis: „Die Leute wollen pflegefreie Gräber.“
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Mal ganz abgesehen von den Kosten, die den Hinterbliebenen auch am Herzen liegen. Gruften mit Platz für sechs oder gar acht Verstorbene, seien absolut rückläufig: „Im Jahr 2020 haben wir nicht eine verkauft.“
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Dafür aber umso mehr Grabstätten auf einem einheitlich gestalteten Gemeinschaftsgrabfeld, die für Angehörige pflegefrei sind – diese Aufgabe liegt in ZBG-Hand. Jährlich stehen zwei Modelle als Grabmale zur Auswahl. Der ZBG pflegt auch das anonyme Gräberfeld, eine durchgehende Rasenfläche.
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Wenig Mühe macht ebenfalls die Beisetzung in einem Columbarium. Die Expertin berichtet: „Wir haben Urnenkammern erst seit dem Jahr 2017, konnten 2018/2019 einen starken Anstieg verzeichnen. Jetzt ist die Nachfrage konstant.“ Wurden 2018 auf allen drei städtischen Friedhöfen 23 Bestattungen in Urnenkammerwahlgräbern – wie die Bezeichnung sagt, besteht eine Auswahlmöglichkeit - registriert, waren es 2020 insgesamt 44.
Der Anteil der Urnenbeisetzungen stieg auf 50 Prozent
Bei den Urnenkammerreihengräbern (ohne Option) weist die ZBG-Statistik für 2018 insgesamt 55 auf, zwei Jahre später waren es drei mehr. Der Anteil der Urnenbeisetzungen generell stieg von 23 Prozent (2010) auf 50 Prozent (2019). „Ob Erd- oder Urnenbestattung, das ist auch eine Kostenfrage“, räumt die Spezialistin ein.
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Stetig sinkende Zahl
Die Zahl der Bestattungen hat in Gladbeck innerhalb der vergangenen Jahre kontinuierlich abgenommen. Waren es 2018 auf den drei städtischen Friedhöfen insgesamt noch 747, wurden im Jahr darauf nur 687 Beisetzungen durchgeführt. Diese Zahl sank 2020 auf 655.
Im Jahr 2018 fanden auf dem Friedhof Brauck 267 Menschen ihre letzte Ruhe. Für 2018 sind 252 Bestattungen verzeichnet. Ein kleines Plus ergab sich im Folgejahr: 258.
Vor zwei Jahren wurden in Rentfort 273 Beisetzungen durchgeführt, 2019 stieg diese Zahl auf 279. Sie sank allerdings dann erheblich auf 234.
Für den Gottesacker in Gladbecks Mitte weist die Statistik im Jahr 2018 insgesamt 207 Bestattungen aus. Und auch hier ist ein deutlicher Rückgang erkennbar: 156 anno 2019. Die Anzahl stieg darauf auf 163 Beisetzungen.
Silke Kuckert-Brinkmann rechnet vor: „Die Anzahl der Bestattungen ist in Gladbeck innerhalb der vergangenen vier Jahre um rund 21 Prozent zurückgegangen. Bei einem Rückgang der Bevölkerung ist die Zahl der Sterbefälle um etwa fünf Prozent gesunken.“
Apropos Wahl: In anderen Regionen ist es durchaus üblich, dass Bürger schon zu Lebzeiten eine Stelle pachten, an der sie zur letzten Ruhe gebettet werden – erst recht in der aktuellen Krisenzeit. Kuckert-Brinkmann: „Das Verhalten der Menschen unterscheidet sich je nach Kommune enorm.“ Es komme in Gladbeck durchaus mal vor, dass Eltern vorsorgen, „damit die Kinder sich später keine Gedanken zu diesem Thema machen müssen“. Aber das sei eher die Ausnahme, denn: „Wir haben genug Platz.“ Mit einer Ausnahme: der Friedhof in der Stadtmitte.
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Überhaupt sei in einer Aeternitas-Umfrage im Jahr 2019 ans Tageslicht gekommen: „48 Prozent wünschen sich, außerhalb eines Friedhofes begraben zu werden.“ Alternative Möglichkeiten sind unter anderem Ruhestätten in einem Friedwald oder auf See, die der Einstellung entsprechend verstärkt nachgefragt seien.
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Kuckert-Brinkmann meint: „Bei der Wahl ist eigentlich wichtig, was Angehörige empfinden. Wird beispielsweise Asche verstreut, haben die Hinterbliebenen keinen Ort zum Beweinen. Das sollte schon zu Lebzeiten besprochen werden.“ Auch, wenn viele beim Thema Tod lieber Augen und Ohren verschließen.