Witten. Vor 50 Jahren kam Herbede zu Witten - und Witten zum EN-Kreis. Doch die einstige Kleinstadt kann ihre Eigenständigkeit bewahren. Wie geht das?

Am 1. Januar 1975 wurde in Witten und Herbede vieles anders. Die Stadt Witten verlor ihre Kreisfreiheit. Sie gehört seither zum Ennepe-Ruhr-Kreis. Zugleich ging die einst eigenständige Stadt Herbede in Witten auf. Die kommunale Neuordnung war umstritten. Inzwischen hat Herbede mit der Entscheidung des Landes seinen Frieden gemacht. Dennoch betont der Stadtteil mit seinen 13.000 Einwohnern seine Eigenständigkeit. Ein 77-jähriges Urgestein, der seinen Namen nicht veröffentlicht wissen will, bringt das Herbede-Gefühl auf den Punkt: „Wir sind das gallische Dorf.“

NRW wollte die Kommunalverwaltungen in den 60er Jahren schlagkräftiger machen. Da waren sich die damals im Landtag vertretenen Parteien SPD, CDU und FDP einig. Durch Bildung von größeren Einheiten sollte das Ziel erreicht werden. Doch vor Ort lösten die Pläne teilweise erbitterten Widerstand aus. Wie war es im Ruhrtal?

Witten-Herbede verlor eigene Stadtverwaltung

„Die Stimmung in Herbede war damals nicht gut“, erinnert sich der 77-Jährige. Er weiß es aus erster Hand. Denn er arbeitete damals bei der Stadt Herbede. Die kommunale Neuordnung bedeutete, dass der Herbeder Stadtverwalter, wie seine Kolleginnen und Kollegen, ins Wittener Team kamen. „Die Herbeder fühlten sich von da an untergeordnet.“

Auch interessant

Die einstige Kleinstadt sei stolz darauf gewesen, dass vor der Neugliederung „alles geklappt“ habe. „Es war eine funktionierende Kleinstadt.“ Örtliche Unternehmen hätten – trotz Schließung der Zeche Holland 1972 - für genügend Gewerbesteuer gesorgt. Es habe sogar Pläne für den Bau eines Gymnasiums gegeben, auch für eine Gesamtschule.

Gesundheitsamt

Die Stadt Witten hat durchgesetzt, dass eine Nebenstelle des Gesundheitsamts des Ennepe-Ruhr-Kreises im Stadtgebiet angesiedelt wurde. Es befindet sich inzwischen im Ärztehaus an der Pferdebachstraße. Dort sind rund 80 Mitarbeitende beschäftigt.

In Witten verortet sind die Abteilungen Gesundheits- und Medizinalverwaltung, Hilfen für Menschen mit Behinderungen und Elterngeld, Kinder- und Jugendgesundheit, Kinder- und Jugendzahngesundheit, Ärztlicher Dienst ,Apotheken- und Arzneimittelaufsicht, Gesundheitsaufsicht und gesundheitlicher Umweltschutz sowie Sozialpsychiatrischer Dienst. Vor Ort finden Schuleingangsuntersuchungen, zahnärztliche Untersuchungen, amtsärztliche Untersuchungen, Beratungen zum Elterngeld und zu Schwerbehindertenangelegenheiten statt.

Lesen Sie auch

Dr. Arne Meinshausen engagiert sich seit Jahren für Herbede - wie hier bei einer Anhörung der CDU im Stadtteil (Archiv).
Dr. Arne Meinshausen engagiert sich seit Jahren für Herbede - wie hier bei einer Anhörung der CDU im Stadtteil (Archiv). © WAZ | jürgen overkott

Das Gebäude der Herbeder Stadtverwaltung trägt längst einen neuen Namen. Es ist seit 2010 das „Rathaus der Medizin“. Treibende Kraft ist Dr. Arne Meinshausen (67). Seit 32 Jahren lebt der Bochumer in Herbede. Der Arzt hat als Sprecher des Arbeitskreises Herbeder Brücken enge Verbindungen zu Politik und Verwaltung. Der Umbau der Meesmannstraße zur Einkaufsmeile habe seinerzeit erhitzte Gemüter in Herbede beruhigt. Meinshausen betont zugleich: „Wir fühlen uns immer noch eigenständig. Wir wissen, dass wir einen wunderschönen Stadtteil haben.“

Auch interessant

Durch die kommunale Neuordnung wurde vieles anders, aber nicht alles besser. „Ich ärgere mich vor allem darüber, dass Witten sich so vom Kreis in Schwelm drangsalieren lässt. Ich habe das beim Gesundheitszentrum erlebt, ich habe das erlebt, als wir die Psychiatrie nach Witten kriegen wollten. Ich habe das Gefühl, dass uns von Schwelm die Butter vom Brot genommen wird“, sagt der Allgemeinmediziner.

Witten stellte lange Landrat und Regierungspräsident

Dabei sah Wittens Kommunalpolitik in der Neugliederung eher Chancen als Risiken. Altbürgermeister Klaus Lohmann (88) und der einstige CDU-Stadtverbandschef Manfred Liesche (87) sagen, warum. Die einstige kreisfreie Stadt Witten sei zwar im EN-Ruhr-Kreis aufgegangen. Sie sei aber selbstständig geblieben. Eine ähnlich große Stadt wie Wattenscheid sei indes vom größeren Nachbarn Bochum geschluckt worden.

Klaus Lohmann in seinem Garten in Witten-Annen. Der Altbürgermeister hat Betonfiguren von Christel Lechner aufgestellt: ein Bekenntnis zu Kunst aus dem Stadtgebiet.
Klaus Lohmann in seinem Garten in Witten-Annen. Der Altbürgermeister hat Betonfiguren von Christel Lechner aufgestellt: ein Bekenntnis zu Kunst aus dem Stadtgebiet. © FUNKE Foto Services | Marie-Christin Jacobs

Sozialdemokrat Lohmann zieht auch im Rückblick eine positive Bilanz. Die Neuordnung bescherte Witten mit Herbede einen neuen Stadtteil. Die Gesamtbevölkerung schnellte hoch auf bis zu 109.000 Einwohner. Auch wenn Witten inzwischen unter die 100.000er Marke gerutscht ist, bleibt die Stadt kreisweit mit Abstand die größte Kommune.

+++Folgen Sie jetzt auch dem Instagram-Account der WAZ Witten+++

Die Wittener Kommunalpolitik hat dieses Pfund ausgespielt. Sie stellte mit Friedhelm Ottlinger (1930-2001) lange den Landrat in Schwelm. Und der Wittener Richard Grünschläger (1929-2002) wurde gar Regierungspräsident in Arnsberg. Beide verkörperten die einstige SPD-Hochburg Witten.

Zwischenzeitlich haben Wittens Politik und Verwaltung aber auch ernüchternde Erfahrungen mit der Kreisverwaltung gemacht. Bürgermeister Lars König sieht die geschätzten Kosten von mehr als 140 Millionen Euro für die Sanierung des Kreishauses als überzogen an. Witten wäre daran via Kreisumlage mitbeteiligt.

Die Ideenwerkstatt Herbede ist angetreten, um das Dorf mit bürgerschaftlichem Engagement schöner zu machen (Archiv).
Die Ideenwerkstatt Herbede ist angetreten, um das Dorf mit bürgerschaftlichem Engagement schöner zu machen (Archiv). © WAZ | jürgen overkott

Die beste Nachrichtenbörse ist Fleischtheke bei Edeka

Doch Investitionen müssen nicht immer Geld kosten. Darauf weist Björn Brose (39) von der Ideenwerkstatt Herbede hin. Manchmal reichen demnach Zeit und Engagement aus, um das Leben vor Ort schöner zu machen – von Blumenbeeten bis zum Weihnachtsmarkt. Der elfköpfige Vorstand hat immer wieder Unterstützung gefunden; personell wie finanziell. „Obwohl wir zu Witten eingemeindet wurden“, sagt der Vorständler vom SV Herbede, „konnten wir unsere Lebensart aufrechterhalten.“ Was heißt das?

Man kennt sich, die Wege sind kurz. Die beste Nachrichtenbörse sind keineswegs die sozialen Netzwerke – es ist die Fleischtheke bei Edeka.

Mehr Nachrichten aus Witten lesen Sie hier.