Bochum. Tag für Tag, Stunde für Stunde Stillstand statt Mobilität. „Es ist ein Trauerspiel“, sagt Unternehmer Gerard Graf aus Bochum.
Gerard Graf hat sich eine Vespa gekauft. „Damit kann ich an den langen Staus vorbeifahren“, sagt der Seniorchef der gleichnamigen Bochumer Spedition mit einem Augenzwinkern. Die Fahrerinnen und Fahrer seiner 105 Lastzüge haben dieses Privileg freilich nicht – und stehen Tag für Tag Stunden lang im Stau.
Lkw-Fahrverbote auf den Autobahnen 42, 43 und 45, Beschränkungen auf der Uerdinger Brücke und auf der neuen Neuenkamp-Brücke in Duisburg – die Speditionen im Ruhrgebiet sind von Nadelöhren geradezu umzingelt. Da ist für Gerard Graf die Sperrung der A40 in Bochum, die länger dauern und nun erst Mitte Dezember aufgehoben werden soll, schon das kleinste Problem. „Da kommt man irgendwie mit klar, weil es nur einige Monate sind“, meint der Unternehmer. Verzögerungen beim Brückenbau seien nun einmal nicht vermeidbar.
Immer mehr Verkehr auf den Straßen: Wohl 34 Prozent plus bis zum Jahr 2030
Die anderen Sperrungen und die damit verbundenen kilometerlangen Umleitungen schlagen aus seiner Sicht viel mehr ins Kontor. Aber auch die zunehmende Zahl von Fahrzeugen auf den Straßen. Bis zum Jahr 2030 rechnet das Bundeswirtschaftsministerium mit einer Zunahme des Güterverkehrs auf den Straßen von 34 Prozent.
„Wie soll das gehen?“, fragt Graf. Seine Fahrer, die tagsüber etwa von Duisburg nach Köln unterwegs sind, brauchten schon jetzt die doppelte Zeit im Vergleich zu einigen Jahren zuvor. „Das ist ein Megastress. Man steht und steht und kommt nicht von der Stelle.“ Und wenn das Tor zum Rewe-Zentrallager schon geschlossen ist, weil der Lkw zu spät kommt, müsse er mit der Fracht an Bord wieder umdrehen.
Der Spediteur zeichnet einen Teufelskreis nach: genervte Fahrer, höhere Kosten und jährlich sinkende Margen. Die Folge: „Für den Nahverkehr am Tage finden wir keine Leute mehr“, klagt Graf. Etwas leichter, qualifizierte Fahrerinnen und Fahrer zu finden, sei es auf den längeren Strecken, die nachts bedient werden. Ein Großteil seiner Lkw sei für den Paketriesen DHL unterwegs, berichtet der Bochumer.
Spediteur: Warum wird mit der Lkw-Maut vor allem die Schiene finanziert?
Graf wünscht sich nichts mehr als Investitionen in die Infrastruktur. Mehr als vier Millionen Euro Lkw-Maut muss er nach eigenen Angaben jährlich an den Bund überweisen. Doch große Teile Einnahmen fließen in den Ausbau des Schienennetzes und nicht in Straßen und Brücken, auf die Speditionen angewiesen sind. Der Bochumer Unternehmer schüttelt den Kopf und seufzt: „Es ist einfach nur ein Trauerspiel.“
Die IHKs im Revier haben NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) schon einen „Zehn-Punkte-Plan für eine verlässliche Straßeninfrastruktur im Ruhrgebiet“ überreicht. In einer „Blitzumfrage“ der IHK Mittleres Ruhrgebiet im September unter 3200 Unternehmen aus Bochum, Herne, Witten und Hattingen klagte jedes zweite Unternehmen über verkehrsbedingte Störungen. Fast 47 Prozent der Befragten gaben damals an, sie seien massiv durch die Sperrung der A40 bei Bochum betroffen.
IHK-Umfrage: Stimmung ist noch schlechter geworden
Unter dem Eindruck der Verlängerung der A40-Sperrung wurde die Umfrage jetzt wiederholt. Weil nur 60 Firmen kurzfristig antworten konnten, ist die Rückmeldung diesmal nicht repräsentativ, aber unter jenen, die sich gemeldet haben, ist die Stimmung offenbar noch schlechter als im September. Drei von vier Befragten sagen, Staus und Baustellen beeinträchtigten stark ihr Tagesgeschäft.
Michael Tamminga-Wessels, Experte für Mobilität bei der IHK Mittleres Ruhrgebiet, lobt zwar, dass die drei für das Revier zuständigen Bezirksregierungen inzwischen mit der Wirtschaft „Infrastrukturkonferenzen“ durchführten. Das reiche aber nicht. „Wir benötigen ein Sondervermögen von Bund und Land für den Verkehr im ganzen Ruhrgebiet, denn das Revier ist der bevölkerungsreichste Teil Deutschlands mit dem dichtesten Straßen- und Schienennetz“, sagte er dieser Redaktion.
Verdient der Verkehr im Ruhrgebiet ein „Sondervermögen“ von Bund und Land?
Solch eine besondere Region verdiene besondere Aufmerksamkeit, auch und gerade aus wirtschaftlicher Sicht. Ein Sondervermögen böte die Gelegenheit, den Revier-Verkehr langfristig zu verbessern und unabhängig von Legislaturperioden zu planen.
Vorbild Niederlande?
Laut Michael Tamminga-Wessels gehen die Niederlande serviceorientierter als NRW mit Baustellen um: „Dort werden bei Autobahnreparaturen oder größeren Baustellen ein fester Anteil der Kosten für begleitende Maßnahmen eingeplant, zum Beispiel gute Umleitungen, gute Information, Mobilitätsgutscheine für Anwohner und Mitfahrgelegenheiten-Apps.“
Tamminga-Wessels meint, die existierenden Online-Baustellenportale müssten von Bauträgern wie den Kommunen, Straßen NRW und der Autobahn GmbH viel besser gepflegt werden. „Im Moment funktionieren diese Portale nicht gut, weil viele Verwaltungen ihre eigenen IT-Systeme haben und das Land keine entsprechenden Schnittstellen bereitstellt“, sagte er.
Land NRW verweist auf existierende Baustellen-Koordinierung
Das NRW-Verkehrsministerium erklärte auf Nachfrage dieser Redaktion, dass NRW schon 2014 eine „baulast- und zuständigkeitsträgerübergreifende Baustellenkoordinierung“ eingeführt habe. Aus den verfügbaren Verkehrsdaten würden Radiosender, Verkehrsportale wie „Verkehr.NRW“ und Navigationsgeräte mit aktuellen Infos versorgt. Das von den IHKen geforderte „Verkehrsinformationssystem aus einem Guss“ sei also schon realisiert und es werde von mehr als 40 Kreisen und Städte sowie vom Landesbetrieb Straßenbau Nordrhein-Westfalen und der Deutschen Bahn genutzt, so eine Sprecherin.
Die Verkehrsminister der Länder hätten zudem im Oktober unter der Leitung von NRW ein „Sondervermögen zur Instandsetzung der Infrastruktur“ mit Umsetzungsvorschlägen für den Bund einstimmig beschlossen.
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