Witten. ZF will in Witten massiv Stellen abbauen. An den Arbeitsplätzen hängen viele Einzelschicksale. Hier kommen vier womöglich Betroffene zu Wort.

Beim Industriekonzern ZF in Witten stehen die Zeichen keine zwei Wochen vor Weihnachten weiterhin auf Sturm. Am Standort an der Mannesmannstraße wackeln bis zu 400 der rund 630 Arbeitsplätze. Das hat direkte Auswirkungen auf die Beschäftigten des Großgetriebeherstellers - bis tief in deren Privatleben hinein. Sie haben schlaflose Nächte, sorgen sich um das noch nicht abbezahlte Eigenheim, streichen vorsorglich den Familienurlaub. Wir haben mit vier von ihnen über ihre Sorgen und Nöte gesprochen.

Ende Juli kam die Hiobsbotschaft. Der Konzern mit Sitz in Friedrichshafen am Bodensee kündigte an, die Zahl seiner Beschäftigten deutschlandweit bis 2028 um 14.000 senken zu wollen. Schnell war klar, dass auch das Werk in Witten massiv von den Stellenstreichungen betroffen sein sollte.

Die Wind-Sparte am Standort soll aufgegeben werden, wenn es nach dem Management geht. Seitdem ringt der Betriebsrat mit der Geschäftsführung um deren Erhalt und damit möglichst vieler Arbeitsplätze. Entschieden ist bislang noch nichts. „Das nimmt einen psychisch mit. Die Schultern werden immer schwerer“, beschreibt Jörg Weber, der seit 19 Jahren bei ZF arbeitet, die vergangenen Monate.

Sorge bei Wittener Familienvater um Anschlussfinanzierung fürs Eigenheim

Die bloße Existenzangst treibt den 49-jährigen Vater eines Sohnes um. „Wir haben ein Haus, nächstes Jahr brauchen wir eine Anschlussfinanzierung“, sagt der Stockumer. Aktuell könne er überhaupt nicht planen, wie es weitergehen soll. Diese Ungewissheit sorge auch für eine permanente innere Unruhe. Ständig frage er sich: „Wird heute etwas entschieden? Man wartet eigentlich nur darauf, dass das Fallbeil fällt“, sagt der Werkzeugmechaniker.

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Hinzu kommt, dass viele ZF-Mitarbeiter schon jahrelang im Unternehmen sind. „Das hier ist wie eine zweite Familie. Man unternimmt auch privat viel“, sagt Weber. Bei manchen Schichtmodellen verbringe man sogar deutlich mehr Zeit mit den Kollegen als mit der richtigen Familie. Er kann sich nicht vorstellen, dass „das alles wegbricht“. Seine Kollegen Fatih Uzunel, Erdogan Topcu und Tibor Farkas pflichten ihm da nachdrücklich bei.

ZF-Mitarbeiter: „Ich wollte hier abschließen“

Farkas ist seit 2000 bei ZF angestellt. „Ich wollte hier eigentlich nächstes Jahr mein Jubiläum feiern. Mal schauen, ob das Werktor dann noch aufgeht“, sagt der Zerspanungsschleifer. Seit über 42 Jahren sei er nun schon im Berufsleben. „Und ich dachte, ich könnte hier abschließen.“ Sein Sohn mache ihn bald zum Opa. „Und ich weiß nicht, wie es weitergeht.“

Rund 200 Beschäftigte von ZF protestierten Anfang November gegen den drohenden Stellenabbau in Witten.
Rund 200 Beschäftigte von ZF protestierten Anfang November gegen den drohenden Stellenabbau in Witten. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Wegen seines Alters ist er sich sicher, keine neue Stelle mehr zu finden. „Wer stellt mich denn mit 59 ein? Ich kann zum Arbeitsamt!“ Dabei mache er die Arbeit gerne. Und sei „nicht darauf vorbereitet, zu Hause zu bleiben“. Durch die Situation schlafe er unruhiger, den Kopf „voller Gedanken“, die alle um das eine Thema kreisen, so Farkas.

„Wenn der Laden zumacht, wird das schwer für meine Familie“

Auch deshalb könne er die Adventszeit nicht genießen, sagt sein Kollege Erdogan Topcu. „Man geht mit einem mulmigen Gefühl Richtung Weihnachten, schnürt den Gürtel jetzt schon enger, damit es später kein böses Erwachen gibt.“ Gerade als Vater von drei Kindern empfinde er die Lage als schwierig. „Man trägt ja auch eine Verantwortung als Elternteil. Und wenn der Laden hier zumacht, dann wird das schwer für meine Familie.“ Der 44-Jährige besitzt ebenfalls ein Eigenheim, das noch abbezahlt werden will. Den ältesten Sohn unterstützt die Familie beim Studium in Süddeutschland finanziell.

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Schon jetzt achte er auf den Strom-, Gas- und Wasserverbrauch, kaufe Dinge nicht, die er sonst kaufen würde, sagt Topcu. Gleichzeitig versuche er, die angespannte Situation am Arbeitsplatz von den jüngeren Kindern, zwölf und 16 Jahre alt, fernzuhalten. „Sonst schlägt das noch auf deren Psyche.“ Er wisse von Kollegen, bei denen etwa die Ausgaben für den Nachhilfeunterricht der Kinder auf dem Prüfstand stehen, würde es tatsächlich zu Entlassungen kommen.

Auch die Kinder der ZF-Mitarbeiter spüren den Druck

Fatih Uzunel versucht ebenso sein Bestes, um sich seine Sorgen vor der 15-jährigen Tochter und dem zwölfjährigen Sohn nicht anmerken zu lassen. „Aber bei Kindern in dem Alter ist das schwierig.“ Über Internet und Fernsehen würden sie zu viel von den aktuellen Krisen und der wirtschaftlichen Lage mitbekommen. „Sie stellen Fragen, wollen wissen, was los ist“, sagt der 40-Jährige. Das sei auch schon der Fall gewesen, als die ZF-Mitarbeiter im März diesen Jahres in Kurzarbeit geschickt wurden.

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Auch Uzunel und seine Familie achten vermehrt auf ihre Ausgaben. Schon im letzten Sommer haben sie etwa auf eine Urlaubsreise verzichtet. Gleichzeitig ringt der Vater mit sich selbst. „Man möchte den Kindern ja auch etwas ermöglichen, ihre Wünsche erfüllen.“

Betriebsrat kämpft weiter für Erhalt möglichst vieler Arbeitsplätze

Damit das weiterhin möglich sein kann, hat der Betriebsrat von ZF einen Rettungsplan ausgearbeitet, der mit deutlich weniger Stellenstreichungen auskommt. Derzeit befinden sich die Arbeitnehmervertreter in Verhandlungen mit dem Management. Auch wenn sich die Mitarbeitenden rasche Gewissheit erhoffen, dämpft Betriebsratsvorsitzender Frank Blasey die Erwartungen. „Wenn es länger dauert, ist das sogar gut für uns.“ Denn dann würde sich richtig mit dem Alternativ-Vorschlag auseinandergesetzt.

Für die ZF-Leute heißt es also weiterhin abwarten. Fatih Uzunel bringt die Stimmung auf den Punkt: „Man schaut in die Leere und weiß nicht, was an Neujahr ist. Man hängt in der Luft und hofft einfach darauf, weich zu fallen.“

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