Witten. Das EN-Frauenhaus muss mehr Gewaltopfer abweisen, als es aufnehmen kann. Ausgerechnet in dieser Situation kürzt die NRW-Landesregierung Mittel.

Kürzungen der NRW-Landesregierung im Sozialen treffen das Frauenhaus und die Frauenberatung im Ennepe-Ruhr-Kreis. Angebote müssen eingeschränkt werden, wie Marion Steffens und Andrea Stolte vom Trägerverein Gesine Intervention sagen. Der Verein sei auf Spenden angewiesen, um die Unterfinanzierung der Einrichtung möglichst gering zu halten. „In diesem Bereich um Spenden bitten zu müssen, um die Arbeit gewährleisten zu können, ist ein Skandal“, sagen die Geschäftsführerinnen.

Der Bedarf an schutzsuchenden Frauen plus Kindern ist ihren Angaben zufolge binnen zehn Jahren gestiegen. Andrea Stolte: „Wir sind im Frauenhaus voll, voller, am vollsten.“ Das Frauenhaus müsse zahlreiche Opfer aus gewalttätigen Beziehungen andernorts unterbringen. „Wir haben eine über 100-prozentige Auslastung. Wir haben kein Bett frei. Wir können viele Frauen nicht aufnehmen.“ Marion Steffens ergänzt: „Auf jede Frau, die wir aufnehmen, kommen drei Frauen, denen wir absagen.“ Dieser Trend sei auch anderswo zu beobachten. „Wir haben in der gesamten Bundesrepublik extrem zu wenig Plätze“, erklärt Stolte.

Zahl der Gewaltvorfälle hat sich verdoppelt

„Seit zehn Jahren haben sich die Gewaltvorfälle verdoppelt“, stellt Marion Steffens fest. Das beziehe sich ausschließlich auf die „Hellfeldzahlen“: auf Frauen, die tatsächlich in schützende Einrichtungen geflohen sind. „Wenn das Hellfeld wächst, kann man davon ausgehen, dass auch das Dunkelfeld wächst. Es gibt einfach mehr Gewalt in der Gesellschaft.“

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Andrea Stolte sagt, der Trend zu mehr Gewalt in Beziehungen spiegele sich auch darin, dass die Polizei immer häufiger in solchen Fällen eingreifen müsse. Das sei besonders bemerkenswert, weil das Bundeskriminalamt herausgefunden habe, dass bedrohte Frauen insgesamt seltener um Hilfe bitten würden, ergänzt Marion Steffens. Hintergrund sei, dass Täter oft ein System der Bedrohung aufbauen würden. „Jede Frau, die es schafft, da rauszukommen, ist ein großes Wunder.“

Zeit der Trennung für Frauen gefährlichste Phase

Die Flucht ins Frauenhaus steht oft am Ende eines langen Weges, dem Gewaltopfer ausgesetzt sind. Die Betroffenen müssten überhaupt erst mal eine Möglichkeit finden, um einem übergriffigen Partner mit Kontrollanspruch zu entkommen. „Da werden mit uns gemeinsam Fluchtpläne entwickelt: Wann gibt es eine halbwegs sichere Situation?“ sagen die Beraterinnen. Die Zeit der Trennung sei erfahrungsgemäß die gefährlichste Phase für die misshandelten Frauen.

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„Wir machen seit Jahren bereits Risikoanalysen“, sagt Marion Steffens. „Die betroffenen Frauen zählen oft zu Hochrisikofällen. Sie haben nicht nur massive Gewalt erlebt, sondern für sie besteht sogar die Gefahr eines Femizids, einer Ermordung.“ Bundesweit gebe es 900 registrierte Mordversuche an Frauen pro Jahr. Doch das sei nicht alles: „Die Dunkelziffer ist enorm.“

Gesine-Geschäftsführerinnen: Politik gibt zu wenig Geld

Zugleich litten die Frauenhäuser seit Jahren unter einer Unterfinanzierung. „Die Politik gibt zu wenig Geld. Wir bräuchten die doppelte Menge an Schutzhäusern und Schutzwohnungen, um dem Bedarf gerecht zu werden“, sagt Steffens. Die beiden Gesine-Geschäftsführerinnen beklagen, dass Gewaltopfer für ihre Unterbringung zahlen müssten, während die Täter nicht selten unbehelligt davonkämen. Gerade Alleinerziehende trügen ein hohes Armutsrisiko - auch aus gutbürgerlichem Milieu.

Der Inner Wheel Club Witten-Wetter unterstützt den „Orange-Day“ am 25. November. Damit will der Verein ein Zeichen gegen Gewalt gegen Frauen setzen.
Der Inner Wheel Club Witten-Wetter unterstützt den „Orange-Day“ am 25. November. Damit will der Verein ein Zeichen gegen Gewalt gegen Frauen setzen. © Inner Wheel Club Witten-Wetter | Inner Wheel Club Witten-Wetter

Aktionstag gegen Gewalt an Frauen

Der Inner Wheel Club Witten-Wetter beteiligt sich am Aktionstag „Orange the World“ zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Der „Orange Day“ ist Teil einer UN-Kampagne . Der Aktionstag findet traditionell am 25. November statt. Der Inner Wheel Club steht für soziales Engagement. Orange gilt als Symbolfarbe für eine gewaltfreie Welt.

Ausgerechnet in dieser Situation kürze die Landesregierung Mittel, klagen die Expertinnen. Selbst ein Einfrieren der Zuwendungen bedeute angesichts steigender Kosten unterm Strich weniger Geld für den Verein „Gesine“. Spenden könnten das Loch allein nicht stopfen. Deshalb müsse an der Beratung Geflüchteter gespart werden – und an Trainingsprogrammen für gewalttätige Männer, die ihr Verhalten ändern wollen oder sollen. Bei dem Programm „Toni“ gehe es weniger darum, dass sich die Frau ändere, sondern ihr Mann. Doch genau dieses Programm entfällt.

Infos über Frauenberatungsstellen in Witten, Hattingen, Herdecke und Schwelm sowie das Frauenhaus: gesine-intervention.de. Auf der Homepage finden sich auf Hinweise zu Spenden.

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