Hamburgs früherer Umweltsenator setzt auf Windenergie, hält aber auch das Kraftwerk in Moorburg für notwendig.

Abendblatt:

Herr Vahrenholt, Sie sind 59 Jahre alt und Mitglied in den Aufsichtsräten verschiedener Firmen. Finanziell gesehen müssten Sie wohl nicht mehr arbeiten. Warum tun Sie sich das an und gründen für den RWE-Konzern mit Innogy eine völlig neue Firma?

Fritz Vahrenholt:

Es ist eine große Herausforderung, die mir viel Freude bereitet. RWE korrigiert derzeit seinen Kurs. Ein wesentliches Element ist das Wachstum erneuerbarer Energien, das wir bei RWE Innogy steuern. Wir investieren hier natürlich nicht aus reinem Idealismus. Das muss sich rechnen. So bauen wir den Anteil CO2-freier Stromerzeugung aus und reduzieren damit die Kosten für den CO2-Ausstoß für den Konzern insgesamt.



Abendblatt:

Inzwischen macht jeder große Energiekonzern auf Ökostrom. RWE ist jedoch der Einzige, der dafür extra eine Firma gründet.

Vahrenholt:

Damit setzt RWE ein deutliches Zeichen: Das Geschäft mit erneuerbaren Energien steht auf Augenhöhe mit den anderen Führungsgesellschaften im Konzern. Zudem steht RWE Innogy für eine Kultur, die auf die Bedürfnisse des Marktes für erneuerbare Energien zugeschnitten ist: Flexible und schnelle Entscheidungswege erleichtern uns das Agieren in diesem extrem wettbewerbsintensiven Umfeld. Damit sind wir als Unternehmen natürlich auch für die richtigen Mitarbeiter attraktiv.



Abendblatt:

Wie viele Mitarbeiter haben Sie?

Vahrenholt:

Gestartet sind wir vor drei Monaten mit rund 560 aus dem RWE-Konzern plus 50 neuen Mitarbeitern. Bis Ende des Jahres wollen wir noch mal rund 150 Stellen besetzen. Wir suchen vor allem Ingenieure für unsere Standorte in Hamburg, Essen und Großbritannien. In Hamburg haben wir unsere Windkraftaktivitäten konzentriert, denn hier sitzen die wichtigsten Lieferanten und Experten der Branche.



Abendblatt:

RWE will in Zukunft jedes Jahr eine Milliarde Euro in erneuerbare Energien investieren. Das ist nicht viel. Dafür bekämen Sie noch nicht einmal ein Kraftwerk in der Größe von Moorburg.

Vahrenholt:

Das ist nicht vergleichbar. Wir wollen organisch wachsen, das heißt wir identifizieren, sichern und entwickeln Projekte in Europa. Kleinere Akquisitionen schließe ich auch nicht aus. Mit einer Milliarde steckt RWE immerhin rund ein Fünftel seiner Investitionen in erneuerbare Energien.



Abendblatt:

Wo setzt RWE Innogy den Schwerpunkt?

Vahrenholt:

70 Prozent der Investitionen werden in die Windenergie fließen. Wir planen Windparks auf hoher See und auf dem Land. 150 bis 200 Millionen Euro pro Jahr werden wir in Biomassekraftwerke investieren. Allein in Deutschland wollen wir rund zehn neue Biomasseanlagen bauen. Für die Versorgung dieser Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen werden wir in Deutschland und Südosteuropa Energieholzplantagen auf Wiederaufforstungs- oder ertragsschwachen landwirtschaftlichen Flächen anbauen. Damit stehen wir nicht in Konkurrenz zur Lebensmittelproduktion, das ist uns wichtig.



Abendblatt:

Welche Rolle wird Wasserkraft spielen?

Vahrenholt:

Wasserkraft ist eine seit Langem ausgereifte Technik. In Deutschland ist das Potenzial ausgereizt. Dennoch werden wir jedes Jahr rund 100 Millionen Euro in Wasserkraft investieren, vor allem aber in Osteuropa. Ein Schwerpunkt unserer Arbeit ist zudem die Entwicklung neuer Technologien. Denn hier ist noch viel zu tun. Wir wollen in fünf bis zehn junge Technologieunternehmen jährlich 50 Millionen Euro investieren. Das ist immerhin die Hälfte dessen, was das Bundesumweltministerium für die Forschung an erneuerbaren Energien ausgibt. Seit dieser Plan vor wenigen Wochen bekannt wurde, haben sich bereits rund 100 Firmen bei uns beworben. Das bestätigt wieder einmal, dass Deutschland ein Volk der Tüftler ist. Allein 20 Mitarbeiter werden sich mit diesem Bereich beschäftigen.



Abendblatt:

Wie hoch wird der Anteil der erneuerbaren Energien an der Gesamtkapazität von RWE in den kommenden Jahren ansteigen?

Vahrenholt:

Bis zum Jahr 2012 wollen wir die Erzeugungskapazität auf Basis erneuerbarer Energie von jetzt 1100 Megawatt auf 4500 Megawatt hochfahren. Bis 2020 planen wir sogar 10 000 Megawatt.



Abendblatt:

Ein echter Ersatz für fossile Energieträger und damit für Kohlekraftwerke sind die erneuerbaren Energien also noch lange nicht.

Vahrenholt:

Ich bezweifle, dass wir jemals auf Kohle werden verzichten können, selbst wenn der Anteil der erneuerbaren Energien bis 2050 auf 50 Prozent steigen würde. Beim Öl ist in zehn Jahren der Punkt erreicht, bei dem die Jahresförderung nicht mehr ausreicht, um die Nachfrage zu decken. Nun verweisen viele aufs Gas, das noch viel länger verfügbar sein wird. Aber Gas im Kraftwerk zur Stromerzeugung zu verbrennen, ist Verschwendung. Wenn das Öl nicht mehr ausreicht, werden wir Gas zum Heizen und für die Mobilität brauchen.



Abendblatt:

Der Widerstand in der Bevölkerung gegen Kohlekraftwerke wächst - wie man am Hamburger Beispiel Moorburg sieht.

Vahrenholt:

Was in der Diskussion immer vergessen wird, ist, dass sich durch ein Verbot von Moorburg der bundesweite CO2-Ausstoß nicht verringern wird. Wenn der Strombedarf da ist, wird ein neues Kraftwerk halt woanders gebaut oder ein altes länger betrieben. Die CO2-Menge bleibt die gleiche. Wir können es uns nicht leisten, aus dieser Technologie auszusteigen. Aber wir brauchen Verbesserungen, wie etwa das CO2-freie Kohlekraftwerk.



Abendblatt:

In Hamburg steht derzeit der Bau des Kraftwerks Moorburg im Genehmigungsverfahren. Die Wirtschaft fürchtet, dass die neue schwarz-grüne Regierung den Bau nicht genehmigen wird.

Vahrenholt:

Wenn eine politische Zusage zurückgezogen wird, hat dies eine verheerende Wirkung auf Investoren auch aus anderen Bereichen. Für die Norddeutsche Affinerie, deren Aufsichtsratsmitglied ich bin, wäre es bedrohlich, wenn Moorburg nicht gebaut würde. Die Affinerie hat auf den Bau eines eigenen Kraftwerks verzichtet, nachdem ihr angeboten wurde, sie könne eine Kraftwerksscheibe an Moorburg übernehmen.



Fritz Vahrenholt (59), promovierter Chemiker, ehemaliger SPD-Umweltsenator in Hamburg, war unter anderem Vorstandsmitglied der Deutschen Shell AG und Vorstandsvorsitzender des Windkraftanlagenbauers Repower, ehe er am 1. Januar 2008 zu RWE Innogy wechselte und dort Vorsitzender der Geschäftsführung wurde.