Die Schäden durch das Erdbeben in Japan betragen geschätzte 180 Milliarden Euro. Eine Analyse der weiteren möglichen Folgen.

Hamburg. Nach dem schweren Erdbeben und dem Tsunami stehen in Japan viele Produktionsanlagen still. Zahlreiche Fabriken wurden zerstört, Stromausfälle gehören zum Alltag. Der japanische Börsenindex Nikkei erlebte gestern seinen größten Kursrutsch seit Oktober 2008. Vor allem Versicherer und Energieversorger erlitten hohe Kursverluste. Um das Finanzsystem zu stützen, pumpte Japans Notenbank die gigantische Summe von umgerechnet 130 Milliarden Euro in das heimische Bankensystem.

Teile der japanischen Wirtschaft befinden sich im Ausnahmezustand. So weiß Sony nicht, wann die Produktion wieder aufgenommen wird. Honda will die Fabrikation mindestens bis Sonntag ruhen lassen, und auch der Hersteller von Unterhaltungselektronik, Panasonic, hat in den Gebieten nahe der beschädigten Atomkraftwerke die Arbeit vorerst eingestellt. Die Nachbeben verhinderten das Betreten der Werke Sendai und Fukushima.

"Wir sammeln derzeit Informationen über den Einfluss des Erdbebens auf die Infrastruktur vor Ort, um die Produktion sobald wie möglich wieder starten zu können", sagte Maya Geyermann von Panasonic, dessen Deutschland-Zentrale in Hamburg sitzt. Das ganze Ausmaß der Schäden ist noch nicht zu überschauen. Dennoch ist Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI), überzeugt: "Japans Wirtschaft droht in diesem Jahr eine Rezession, auch wenn es nicht zu einer atomaren Katastrophe kommt."

Autoindustrie

Betroffen von dem Beben ist vor allem Japans Autoindustrie. Sie hat ihre Produktion gestoppt. Beim weltweiten Branchenprimus Toyota stehen die Bänder mindestens bis heute still. Das drückt die Produktion um 40 000 Fahrzeuge. Deutsche Kunden müssen dennoch nicht um die pünktliche Lieferung ihrer Neuwagen fürchten. Denn laut Toyota kommen 70 Prozent der hierzulande zugelassenen Autos nicht aus Japan, sondern aus Werken in Tschechien, Großbritannien oder der Türkei. Auch Opel Dello fürchtet keine kurzfristigen Lieferengpässe. "Die Fahrzeuge, die wir für die nächsten sechs Wochen bestellt haben, befinden sich schon auf dem Weg zu uns", sagte Kurt Kröger, Geschäftsführender Gesellschafter von Dello.

Nach Einschätzung des Autoexperten Ferdinand Dudenhöffer könne der Stillstand der Autowerke in Japan bis zu drei Monate dauern. Das entspreche einem Produktionsausfall von 2,5 Millionen Fahrzeugen, der nur zu etwa 30 Prozent durch Produktionsausweitungen der Werke außerhalb Japans auszugleichen sei. Damit würden die japanischen Autobauer etwa 1,6 Millionen Fahrzeuge nicht liefern können. "Dies entspricht in etwa einem Schaden von 25 Milliarden Euro für die japanische Automobilindustrie", so der Experte.

Auch der deutsche Hersteller Daimler stoppt nach den Überflutungen in Japan die Produktion bei seiner Nutzfahrzeugtochter Mitsubishi Fuso. Produktion und Verwaltung blieben diese Woche geschlossen, sagte ein Daimler-Sprecher. Das Unternehmen hat knapp 13 000 Mitarbeiter in Japan und hält rund 89 Prozent an Fuso.

Versicherungen

Die Versicherungsbranche muss sich auf Schäden in zweistelliger Milliardenhöhe einstellen. Allein an Gebäuden dürfte das Beben versicherte Schäden von bis zu 35 Milliarden Dollar angerichtet haben, schätzt der Versicherungsdienstleister AIR Worldwide. Insgesamt werden die wirtschaftlichen Schäden der Katastrophe von der Credit Suisse auf rund 180 Milliarden Dollar prognostiziert.

Die Ratingagentur Moody's schreibt den größten Rückversicherern der Welt wie Munich Re und Swiss Re die höchsten Belastungen zu. Die Folgen der schweren Unfälle in den japanischen Atomkraftwerken muss die Versicherungswirtschaft dagegen nicht fürchten, denn bei der Versicherung von Schäden an den Reaktoren und Gebäuden sind die Folgen von Erdbeben und Tsunamis ausgeschlossen.

Konjunktur

Japans Industrieproduktion wird nach Einschätzung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) für unabsehbare Zeit beeinträchtigt. "Wie lange die negativen Effekte anhalten, hängt vor allem davon ab, wie schnell die Stromversorgung stabilisiert werden kann", sagt Jürgen Gern vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel. "Energie in Japan wird wahrscheinlich knapper und teurer und so die Wirtschaft zusätzlich belasten", sagt Straubhaar.

Während Japan um Jahre zurückgeworfen wird, "sind die Auswirkungen für die Weltwirtschaft kaum spürbar", so Straubhaar. Japan ist zwar die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt, der Anteil am Welthandel liegt aber nur bei fünf Prozent. "Die Erholung der Weltwirtschaft wird durch die Katastrophe nicht gestoppt", sagt Wolfgang Leim von der Commerzbank. Etwa 1,5 Prozent der deutschen Exporte gehen nach Japan. Die größten Exporteure sind nach einer Aufstellung des Statistischen Bundesamts die Branchen Automobilbau, Chemie, Maschinenbau und Datenverarbeitung.

Schreckenszenario

Alle Einschätzungen der Experten beruhen aber noch auf der Annahme, dass eine Kernschmelze in drei Reaktoren des Atomkraftwerks Fukushima abgewendet werden kann. Gelingt das nicht, "wird es zu ganz anderen globalen Auswirkungen kommen, über die ich nicht spekulieren möchte", sagt Andreas Rees, Chefvolkswirt der UniCredit. "In einem solchen Fall lassen sich die ökonomischen Folgen nicht abschätzen", ergänzt Straubhaar. "Dann beginnt eine neue Zeitrechnung, die vieles verändern wird."

Finanzmärkte

Der Deutsche Aktienindex (DAX) hat mit einem Minus von 1,65 Prozent bei 6866,63 Punkten geschlossen. "Angesichts des starken Einbruchs der Tokioter Börse ist das noch moderat", sagt Fidel Helmer vom Bankhaus Hauck & Aufhäuser. Japans Leitindex Nikkei war um mehr als sechs Prozent abgestürzt. Damit wurden umgerechnet rund 200 Milliarden Euro an einem einzigen Handelstag vernichtet.

Zu den großen Verlierern im DAX gehörten in erster Linie Versicherungen und Energiekonzerne. E.on gab 5,3 Prozent und RWE 4,8 Prozent ab, der Rückversicherer Munich Re büßte 3,4 Prozent ein, während Hersteller von Solar- und Windkraftanlagen kräftig zulegten.