Regierungssprecher Edano zieht den Blaumann aus, er will wieder Normalität demonstrieren. Doch im AKW gibt es keinen Grund zur Entwarnung.
Tokio. Der japanische Atomkonzern Tepco hat am Freitag frühere Messungen bestätigt, nach denen im Grundwasser nahe des beschädigten Kernkraftwerks Fukushima 10.000-fach erhöhte Werte von Jod-131 entdeckt wurden. Tepco hatte die Analyse auf Anordnung der Atomsicherheitsbehörde wiederholen müssen, da es Zweifel an der Richtigkeit der Ergebnisse gab. Am Donnerstag hatte man laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Kyodo Fehler bei der Analyse bei den seltenen Elementen Tellurium, Molybdän und Zirkonium entdeckt. Tepco hatte bereits vorher fehlerhaft gemessen und steht wegen seiner Informationspolitik seit Wochen in der Kritik.
Tepco schlampte bei Strahlen-Messung
Während neue Messfehler an der strahlenden Atomruine von Fukushima die Öffentlichkeit verunsichern, bemüht sich Japans Regierung, erste Zeichen der Zuversicht zu senden. Zum ersten Mal will Regierungschef Naoto Kan am Sonnabend die Krisenregion besuchen . Die gefährlichen Strahlen-Lecks am Krisen-AKW sind aber längst nicht gestopft. Mittlerweile ist wohl auch das Grundwasser am Kraftwerk verstrahlt. Erneut gerät der Betreiberkonzern Tepco wegen fehlerhafter Messwerte in die Kritik.
Es sei immer noch nicht abzuschätzen, wann die nukleare Krise zu Ende sein werde, sagte Kan am Freitag laut Nachrichtenagentur Kyodo. Zunächst müsse sich die Lage in dem Kraftwerk in Fukushima stabilisieren. “Wir sind auf einen langen Kampf vorbereitet“, betonte Kan. Er will am Sonnabend in die erdbebenzerstörte Stadt Rikuzentakata und in die Präfektur Fukushima reisen, in der auch das havarierte Atomkraftwerk steht. Zum AKW selbst wird er wohl nicht kommen. Bisher war Kan nur in einem Hubschrauber über die Region geflogen. Ein vor einer Woche geplanter Besuch wurde wegen schlechten Wetters abgesagt.
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Regierungssprecher Yukio Edano setzte am Freitag allein mit seiner Kleidung ein Signal: Statt im blauen Overall der Rettungskräfte trat Edano wieder im eleganten dunkelgrauen Anzug vor die Presse. „Wir wollten zeigen, dass die Regierung nun auch in die Zukunft blickt. Deshalb haben wir diese Jacken ausgezogen.“ Die Kabinettsmitglieder hatten seit dem Beben vom 11. März die gleichen Schutzanzüge getragen wie die Helfer im Erdbebengebiet. Es sei „Zeit für die Regierung, die nächsten Schritte in Richtung Wiederaufbau zu machen“, sagte Edano.
Der Kraftwerksbetreiber Tepco gerät allerdings erneut unter Druck, weil das Unternehmen bei der Strahlen-Messung in Fukushima wieder schlampte . Die Messwerte vom Grundwasser in und um das Atomkraftwerk seien teilweise fehlerhaft, teilte die Atomaufsichtsbehörde mit. Das Grundwasser sei jedoch sehr wahrscheinlich verstrahlt. Am Vortag hatte es geheißen, dass im Wasser unter dem Atomwrack ein 10.000-fach erhöhter Wert von radioaktivem Jod gemessen wurde.
Wie hoch die Belastung wirklich ist, wurde nicht bekannt. Tepco hatte bereits vorher fehlerhaft gemessen und steht wegen seiner Informationspolitik seit Wochen in der Kritik. Regierungssprecher Edano schloss nach Angaben von Kyodo nun auch eine Beteiligung des Staates an Tepco nicht mehr aus. Kan sagte, es könne sein, dass die Regierung auch einige Kosten der Atomkatastrophe übernehmen könnte.
An der Ruine Fukushima Eins kämpfen die Arbeiter weiter gegen den Super-GAU . Am Freitag sollten sie erneut versuchen, Harz auf die verstrahlten Trümmer zu sprühen. Das Vorhaben musste am Vortag unterbrochen werden, weil es regnete. Der Kunstharz soll verhindern, dass sich der radioaktive Staub verbreitet.
Trotz der weiter steigenden Strahlenbelastung will die japanische Regierung die 20-Kilometer-Evakuierungszone um das Kraftwerk nicht erweitern. Die Internationale Atomenergiebehörde IAEA hatte hingegen zur Evakuierung eines Ortes geraten, der etwa 40 Kilometer von dem AKW entfernt liegt.
Der Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz, Wolfram König, äußerte die Sorge, ob die Bevölkerung in Japan ausreichend vorbereitet sei für eine immer noch mögliche Eskalation der Lage am Kernkraftwerk. Er frage sich, wie der Schutz der Bevölkerung gewährleistet werde, wenn es schlagartig zu einer weiteren Erhöhung der Freisetzung von Radioaktivität käme. “Die uns vorliegenden Messergebnisse zeigen, dass die unter anderem von der IAEA empfohlene Ausdehnung der Evakuierungsmaßnahmen schon aufgrund der nachgewiesenen Belastungen geboten ist“, sagte König. Am Sonnabend wird Außenminister Guido Westerwelle (FDP) Japan besuchen. Mit dem Abstecher wolle er Deutschlands Solidarität mit dem schwer getroffenen japanischen Volk zum Ausdruck bringen.
Drei Wochen nach der Erdbebenkatastrophe begann am Freitag derweil eine großangelegte Suchaktion nach Opfern des verheerenden Tsunamis. Die mehr als 18.000 japanischen Soldaten werden von Polizei, Küstenwache, Feuerwehr und ungefähr 7000 US-Soldaten bei ihrer Arbeit unterstützt. Große Teile der Küste im Nordosten Japans wurden am 11. März von der teilweise mehr als 20 Meter hohen Monsterwelle zerstört. Man vermutet, dass viele Opfer ins Meer geschwemmt wurden. Noch immer werden mehr als 16.400 Menschen vermisst, 11.500 Todesopfer sind bisher bestätigt.
EU-Grenzwerte für die radioaktive Belastung sollen verschärft werden
Vor dem Hintergrund der Fukushima-Katastrophe dringt die Bundesregierung darauf, die EU-Grenzwerte für die radioaktive Belastung von Import-Lebensmitteln zu verschärfen . Bisher gebe es unterschiedliche EU-Verordnungen mit unterschiedlichen Grenzwerten, kritisierte ein Sprecher von Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) am Freitag in Berlin. Das sei für die Verbraucher „weder nachvollziehbar noch vermittelbar“. Die EU müsse daher die Regelungen angleichen und dabei den „niedrigsten, also sichersten Grenzwert“ anwenden.
Hintergrund der Debatte ist eine EU-Eilmaßnahme von vergangener Woche: Die Europäische Union hatte eine seit 1987 existierende Verordnung aktiviert, die für nukleare Notfälle verfasst worden war. Hauptziel sind mehr und strengere Import-Kontrollen. Die Verordnung enthält aber auch Höchstgrenzen für radioaktive Substanzen: Unter anderem darf die Belastung mit Cäsium bei den meisten Nahrungsmitteln maximal 1.250 Becquerel pro Kilogramm betragen.
Dieser Wert steht im Widerspruch zu einer zweiten EU-Verordnung, die zuletzt 2008 aktualisiert wurde und einen Cäsium-Höchstwert von 600 Becquerel für den Großteil der Nahrungsmittel vorsieht. Sie zielte zwar auf von der Tschernobyl-Katastrophe betroffene Länder ab, setzte aber in der praktischen Anwendung einen generellen Standard.
Der Aigner-Sprecher verwies darauf, dass beide Grenzwerte einen umfassenden Gesundheitsschutz für die Bürger garantierten. Auch sei der Umfang der Importe aus Japan äußerst gering. Trotzdem müsse es eine Harmonisierung geben, was auch die Position des Bundesumweltministeriums sei, unterstrich er. Die EU müsse sich bei der Überarbeitung auch an japanischen Grenzwerten orientieren. Dort gilt für viele Nahrungsmittel derzeit ein Cäsium-Grenzwert von 500 Becquerel. (dpa/epd)