Hamburgs Olympia-Professor Sven Güldenpfennig über den Sport als Kulturereignis und falsche Ideale.
ABENDBLATT: Herr Güldenpfennig, wofür braucht man einen Olympia-Professor? SVEN GÜLDENPFENNIG: Die Sportlandschaft braucht einen Olympia-Professor, um aus wissenschaftlicher Distanz die Entwicklung zu beobachten: Worum handelt es sich, wenn wir Olympia machen, Sport treiben, Sport begeistert zur Kenntnis nehmen oder problematische Elemente kritisieren? Ich plädiere für eine kulturtheoretische Deutung des Sports. Sport ist mit anderen Kulturbereichen vergleichbar. Es geht um den Status von Sport als Kultur. ABENDBLATT: Was hat denn die olympische Bewegung davon, dass sie jetzt unter dem Rubrum Kultur firmieren kann? GÜLDENPFENNIG: Der Sport wird für alles Mögliche in Anspruch genommen, im Wesentlichen zu Unrecht. Stattdessen geht es auch darum, seinen autonomen kulturellen Eigensinn anzuerkennen. Olympia wird stets als Friedensmissionar gesehen, der bei jeder größeren Mission scheitert und sich hämische Kommentare einhandelt. Primär besteht aber die Aufgabe darin, ein Kulturprojekt zu realisieren. ABENDBLATT: Was ist das kulturelle Werk des Sportlers? GÜLDENPFENNIG: Das Sportereignis als solches. Der dramatische sportliche Wettkampf. Das ist eine wichtige Korrektur des üblichen Hinsehens. Sportler sind Dramatiker. Der Unterschied zum Theater ist, dass hier kein vorgefertigtes Drama aufgeführt wird, sondern die Akteure auf dem Platz während der Aufführung ein Stück schreiben. ABENDBLATT: Wo sehen Sie zurzeit die größten Gefahren für den Kulturbereich Olympia und die olympische Bewegung? GÜLDENPFENNIG: Intern sind es zwei Hauptprobleme: die finanzielle Unterversorgung, die die Nachwuchsförderung gefährdet, und der Doping-Sektor. Mit einer so geschädigten Glaubwürdigkeit kann ein Kulturbereich nicht lange überleben. ABENDBLATT: Wo liegen die externen Probleme? GÜLDENPFENNIG: Das sind vor allem die Risiken, die in der Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft liegen. Man setzt sich der Gefahr aus, fremdbestimmt zu werden. Man muss allerdings auch bereit sein, Zugeständnisse zu machen. Dort, wo möglicherweise der Sport sogar direkt gewinnt. ABENDBLATT: Wo wäre das? GÜLDENPFENNIG: Die neuen Wettkampfformen im Wintersport, wie Langlauf-Sprint oder im Biathlon zum Beispiel. Dort haben die Medien gesagt: Ändert euren Sport. Dann bringen wir den vielleicht auch. Sie haben es getan und, wie ich meine, mit sportlichem Gewinn. ABENDBLATT: Wären Sie dafür, dass man die besten Fußballer bei Olympia sehen sollte und nicht irgendwelche U-23-Auswahlspieler? GÜLDENPFENNIG: Olympia soll das Ereignis sein, wo die besten Athleten der Welt antreten. Das sind in aller Regel Profis. Was dagegen spricht, sind Verbands-Egoismen. Die Sportidee legt nahe, dass die besten Fußballprofis nach Olympia fahren. ABENDBLATT: Ist die Formel 1 für Sie olympisch? GÜLDENPFENNIG: Das IOC hält zwar nicht konsequent genug an allen, aber doch an einigen Grundsätzen fest. Ein Grundprinzip lautet: Olympische Winterspiele nur mit Sportarten, die auf gefrorenem Untergrund stattfinden. Ein zweites: Keine motorbetriebenen Sportarten. Das halte ich für sinnvolle Eingrenzungen des Programms. ABENDBLATT: Und was meinen Sie persönlich? GÜLDENPFENNIG: Auch die Formel 1 ist trotz aller Mega-Kommerzialisierung ein Bereich, in dem hochrangiger Sport stattfindet. Aber sie ließe sich kaum angemessen in den olympischen Ablauf integrieren. ABENDBLATT: Ist das olympische Motto noch zeitgemäß? Höher, schneller, stärker? GÜLDENPFENNIG: Es ist noch nie zeitgemäß und schon immer problematisch gewesen. Es hat dem Sport den Ruf eingetragen, dass er eine Immer-weiter-Steigerung betreibe. Der Sinn des Sports besteht aber nicht in einer immer weitergehenden Steigerung, sondern in der Auseinandersetzung mit Grenzen. ABENDBLATT: Aber der Sport hat sich große Teile seiner Faszination aus dem Überschreiten dieser Grenzen über sechs Meter hoch springen, unter zehn Sekunden laufen, erworben. GÜLDENPFENNIG: Dieses Stück Faszination hat er sich illegitim erschlichen. Die Auseinandersetzung zwischen Akteuren ist es, worauf es ankommt. Ich brauche den Gegner, damit er mich herausfordert, weil ich es allein nicht schaffe, an meine Grenzen zu kommen. ABENDBLATT: Die Frage nach dem zweiten Ideal - vom "Dabeisein ist alles": Gehören Leute wie Eric Moussambani, der beinahe beim 100-m-Freistil-Vorlauf in Sydney ertrank, oder der Skispringer Eddie The Eagle Edwards bei Olympia dazu? GÜLDENPFENNIG: Dabeisein ist alles hat Coubertin so nicht gesagt. Vielmehr: Teilnahme ist wichtiger als Siegen. Er hat gemeint, es zu Olympia zu schaffen, ist eine große Leistung. Solche Fälle wie die genannten sind olympisch illegitim. ABENDBLATT: Sie haben bislang nicht die politische Gefährdung erwähnt. Hat das IOC jetzt einen Raum gefunden, in dem es sich zwischen den Machtinteressen behaupten kann? GÜLDENPFENNIG: Ich glaube ja. Das hat mit dem potentiellen Krisenfeld der Kommerzialisierung zu tun. Was der ehemalige IOC-Präsident Juan Antonio Samaranch gemacht hat, ist sicher in vielerlei Hinsicht problematisch. Aber eine ökonomische Unabhängigkeit aufzubauen ist richtig. ABENDBLATT: Kommen wir zu Hamburg: Wie ist Ihr Eindruck von der hiesigen Olympiabewerbung? GÜLDENPFENNIG: Sympathisch. Ich habe auch als Nicht-Hamburger mitbekommen, dass Hamburg beim Engagement im Leistungssport in den vergangenen Jahrzehnten zum Niemandsland geworden war. Dafür ist es aber ein fast vorbildlicher Breitensport-Standort geworden. Und die Stadt hat in kurzer Zeit alle Voraussetzungen dafür geschaffen, ein glaubwürdiger und aussichtsreicher Bewerber zu werden, national und vor allem international konkurrenzfähig. Davon bin ich fest überzeugt. ABENDBLATT: Außerhalb Hamburgs misstrauen viele der Bewerbung. Die Wirtschaft engagiere sich nicht aus Überzeugung, sondern weil man den Kaufleuten erklärt hat, dass am Ende was übrig bleibt. GÜLDENPFENNIG: Die materiellen Interessen spielen sicher eine Rolle. Das halte ich nicht für problematisch. Aber nachdem sich so viel Eigendynamik entwickelt hat, kommt es jetzt eben darauf an, dem Projekt die zukunftsfähige und dauerhaft tragfähige Sinngrundlage zu verschaffen. Auch da ist Hamburg auf einem guten Weg. ABENDBLATT: Sind Spiele in Hamburg nicht auch fremdbestimmt, wenn sie zur Stadtentwicklung benutzt werden? GÜLDENPFENNIG: In einem so großen Projekt darf und muss der Bewerber auch den Blick auf die eigenen Entwicklungschancen richten. Das ist völlig legitim und auch notwendig. ABENDBLATT: Was muss Hamburg noch dringend tun? GÜLDENPFENNIG: Hamburg muss seine Förderpolitik im Bereich des Leistungs- und Spitzensports glaubhaft weiterentwickeln. Auch auf dem Bildungssektor muss etwas getan werden. Man soll sich nicht nur um dieses 16-Tage-Projekt Olympische Spiele bewerben, sondern insgesamt sein Engagement in diesem Sektor verstärken. Interview: JAN HAARMEYER, RAINER GRÜNBERG