Harburg. Die Fabrikgebäude, in denen einst die New-York Hamburger Gummi-Waaren Compagnie produzierte, verfallen. Niemandsland mitten in Harburg.

Wer an der Neuländer Straße am langen Fabrikgebäude der ehemaligen New-York Hamburger Gummi-Waaren Companie entlang fährt, dann in die Nartenstraße abbiegt und auf das dahinsiechende Industrieareal im Osten des Harburger Binnenhafens schaut, kann sich kaum vorstellen, dass hier vor 15 Jahren noch Menschen gearbeitet haben. Viele Fensterscheiben sind zerbrochen, die unteren mit Holzplatten vernagelt, auf einigen Fenstern haben Graffiti-Aktivisten ihre bunten Spuren hinterlassen. Mancherorts bröckelt der Backstein, Rankpflanzen schicken sich an, die Fassade zu erobern.

Wichtiger Hinweis der Redaktion: Das Areal ist nicht öffentlich zugänglich und darf nicht betreten werden. Die Gebäude sind zum Teil stark einsturzgefährdet.

Erst 2009 hatte die NYH AG, so der verkürzte Namen des Harburger Traditionsunternehmens, seinen Sitz an einen neuen Standort in Lüneburg verlagert. Einige denkmalgeschützte Backsteinbauten, anno 1870 bis 1880 errichtet und Anfang des 20. Jahrhunderts mehrfach erweitert, sollten zu Schmuckstücken des Harburger Binnenhafens werden. Doch von den großartigen Plänen ist wenig übrig geblieben – die imposanten Gebäude, die Harburger Industriegeschichte erzählen, verfallen. Am 1. März musste die Feuerwehr im ehemaligen Hauptgebäude brennenden Unrat löschen. Möglicherweise war es Brandstiftung.

Der denkmalgeschützte alte Fabrikkomplex an der Nartenstraße. Vorn steht die ehemalige Kammfabrik.
Der denkmalgeschützte alte Fabrikkomplex an der Nartenstraße. Vorn steht die ehemalige Kammfabrik. © Angelika Hillmer | Angelika Hillmer

Lost Place: Harburger Fabrik wird zur Ruine, nachdem mehrere Investoren scheiterten

Seit vielen Jahren hat sich auf dem Gelände nichts mehr getan. Zunächst eroberten Graffiti-Sprayer die alten Gemäuer, hinterließen in und an den Gebäuden ihre farbigen Erkennungszeichen. Längst ist das Areal mit Bauzäunen gesichert. Wo einst hunderte Arbeiter Hartgummi-Kämme und andere Gummiwaren herstellten, hat der Wildwuchs das Regime übernommen. Die alte Fabrik wird zur Ruine.

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Dabei hatten mehrere Investoren Großes mit ihr vor. „Geplant ist, den Baukomplex umzubauen, zu erweitern und hier unter anderem ein Schiffskompetenzzentrum mit Simulationsanlage zur Ausbildung von Kapitänen und eine Veranstaltungshalle anzusiedeln“, ist in dem Begleitbuch zur Internationalen Bauausstellung Hamburg (2006-2013) mit dem Titel „Denkmalwelt Harburger Binnenhafen“ nachzulesen. Schiffssimulatoren gibt es heute einige hundert Meter weiter westlich, beim Fraunhofer-Center für Maritime Logistik am Lotsekanal.

Ein Blick in eine alte Fabrikhalle. Das Dach ist undicht, und auch hier waren Graffiti-Aktivisten am Werk.
Ein Blick in eine alte Fabrikhalle. Das Dach ist undicht, und auch hier waren Graffiti-Aktivisten am Werk. © Angelika Hillmer | Angelika Hillmer

Doch die Zukunftspläne hatten eine hohe Hürde zu nehmen: Das Hauptgebäude war (und ist noch) mit Nitrosaminen belastet. Die Schadstoffgruppe steht im Verdacht, krebserregend zu wirken. In einem solchen Gemäuer sollte sich niemand aufhalten. Es sei „Zeit und Geduld erforderlich, um angemessene Lösungsansätze zu entwickeln“, hieß es schon damals. Derweil nagte der Zahn der Zeit an den Gebäuden.

Vom Hauptgebäude an der Neuländer Straße soll nur die Fassade stehen bleiben

Was anfangen mit einem historischen Gebäude, das als Baudenkmal erhalten werden soll, aber aufgrund der Schadstoffbelastung nicht zu nutzen ist? Investor Nummer eins entwickelte im Projekt EcoCity die Idee, die denkmalgeschützte Fassade gewissermaßen als Lärmschutzwand stehenzulassen und dahinter, mit 1,5 Metern Abstand, einen Neubau zu errichten. Dort sollten ein Parkhaus und Wohnungen entstehen. Auch ein Hotel war geplant. In einem 65 Meter großen, futuristisch anmutenden Hochhaus im Inneren des Areals.

An der ehemaligen Kammfabrik sind rechts noch die Speicherwinde und die Luken zu den einzelnen Böden zu sehen.
An der ehemaligen Kammfabrik sind rechts noch die Speicherwinde und die Luken zu den einzelnen Böden zu sehen. © Angelika Hillmer | Angelika Hillmer

Nur die Südfassade des Hauptgebäudes an der Neuländer Straße und die Kammfabrik an der Nartenstraße mussten erhalten werden, alle anderen Gebäude sollten Neubauten weichen. Als Ausgleich zu den Denkmalschutzauflagen wurde dem Investor in Aussicht gestellt, ein zweites, etwas kleineres Hochhaus bauen zu dürfen. Dennoch herrschte Stillstand, bis das Projekt 2016 in neue Hände geriet. Investor Nummer zwei taufte es HafenQuartier. Der Harburger Lokalpolitiker Ralf-Dieter Fischer plauderte aus, dass in einem zwölfstöckigen Neubau eine Wellness-Oase mit Hafenblick geplant ist. Dazu Eigentumswohnungen und durchlüftete Parkflächen.

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Hamburger Denkmalschutz wünscht sich ein „sinnvolles Nutzungskonzept“

2018 kaufte dann als dritter Investor, die Berliner CG Gruppe, das Areal. Das Unternehmen war damals gerade dabei, die nachbarliche Brachfläche auf der anderen Seite der Neuländer Straße zum neuen Stadtquartier Neuländer Quarree zu entwickeln. Beide Projekte gingen mit dem Verkauf der CG-Gruppe an Consus Real Estate über, die ihrerseits von der Adler Gruppe übernommen wurde. Die geriet in finanzielle Schwierigkeiten und verkaufte 2020 die Projekte an Partners Immobilien Capital Management, einem Investmentfonds, der auf der Insel Guernsey registriert ist.

Im Januar 2017 waren die Fenster des Kopfgebäudes zum Veritaskai noch nicht abgedeckt und erlaubten ein Blick in die ehemaligen Betriebsräume.
Im Januar 2017 waren die Fenster des Kopfgebäudes zum Veritaskai noch nicht abgedeckt und erlaubten ein Blick in die ehemaligen Betriebsräume. © HA

Der neue Investor bezahlte den Kaufpreis nur zu 40 Prozent. Das Geschäft sollte rückabgewickelt werden. Doch Adler fehlte die Liquidität, um die 40 Prozent zurückzuzahlen. Damit steht die Zukunft der alten Fabrik und der prominenten Brachfläche jenseits der Neuländer Straße bis heute in den Sternen. Die alten Fabrikgebäude werden allmählich zu Ruinen. Einige Dächer sind eingebrochen, andernorts steht Wasser im Gebäude.

Das Hamburger Denkmalschutzamt sah 2023 in einer Antwort an das Abendblatt keine Gefahr für die zu erhaltenden Gebäude, schrieb aber auch: „Dem Denkmalschutzamt ist nicht bekannt, dass der Eigentümer dort Maßnahmen plant. Wir würden uns für dieses Denkmal jedoch ein sinnvolles und denkmalgerechtes Nutzungskonzept wünschen.“ Diesen Wunsch teilen viele Menschen in Harburg, in der Lokalpolitik und Verwaltung für den verwunschenen Ort.