Harburg. Fast alle sind außer Betrieb – doch die verwahrlosten Mini-„Lost Places“ werden wohl noch Jahre bleiben. Grund: Kosten und Kampfmittel.
Einst standen in Hamburg mehr als 2000 Telefonzellen. Wie viele davon im Bezirk Harburg, ist nicht bekannt. Klar ist: Seit Anfang 2023 sind fast alle Telefonzellen außer Betrieb gesetzt. Doch die ungenutzten Geräte und Häuschen verkommen an vielen Orten und werden das auch weiterhin tun. Grund für die vielen kleinen „Lost Places“ sind offenbar die hohen Kosten für den Abbau.
Denn die Telekom müsste für jeden Standort einen kostenpflichtigen Kampfmittel-Check vornehmen lassen – obwohl sie lange nach dem Krieg und explosionsfrei aufgebaut wurden.
Telefonzellen in Harburg: Gerät wurden schon vom Netz genommen
Früher waren Telefonzellen das Kommunikationsmittel der Wahl, um unterwegs Kontakte zu erreichen oder im Notfall Hilfe zu alarmieren. Noch bis in die Mitte der 1970er-Jahre waren Telefone im eigenen Haus nicht selbstverständlich. Doch ihre Zeit lief spätestens mit der Verbreitung der Mobiltelefone und Smartphones ab.
Kein Wunder also, dass bereits vor mehr als zehn Jahren mit dem Rückbau der Telefonzellen-Infrastruktur begonnen wurde. Im November 2022 wurde zunächst die Münzzahlung bundesweit deaktiviert, „zum ersten Quartal 2023 wurde dann auch die Zahlungsfunktion mittels Telefonkarte und somit der gesamte Service eingestellt“, so die Telekom auf Nachfrage.
Demolierte Telefonzellen verschandeln insbesondere neue Plätze
Die Hörer wurden demontiert, die eigentlichen Telefone und die Metallstehlen verblieben oftmals am Aufstellort. Das Display zeigt: „Entschuldigung, zurzeit gestört.“ Dass niemand mehr die Telefonzellen nutzt, sieht man am Erscheinungsbild. So sind die Scheiben etwa an der geschlossenen Telefonanlage an der Eißendorfer Straße, Höhe Weusthoffstraße, zerstört worden.
Telefonstehlen beispielsweise am neugestalteten Herbert-und-Greta-Wehner-Platz werden als Plakatwand genutzt. Besonders repräsentativ sehen die Kommunikationshinterlassenschaften aus den 1990iger Jahren allerdings nicht aus. So wurde erst vor einigen Monaten die Neugestaltung des Platzes vor dem ehemaligen Karstadtgebäude und Teilen der anliegenden Straßen abgeschlossen.
Auch dem Bezirk sind die Geräte ein Dorn im Auge
An der Lüneburger Straße etwa, auf Höhe der Harburg Arcaden, wurde das neue Klinkerpflaster fein säuberlich um das verbliebene Telefonhäuschen herumgelegt. Das sorgt für Unmut, auch beim Bezirksamt. „Sollte sich bei der Neugestaltung von bezirklichen Flächen eine Telefonzelle in dem betroffenen Areal befinden, nehmen wir Kontakt zu der Telekom auf, um zu klären, ob die Zelle verbleiben soll oder nicht.
Dies ist auch bei der Umgestaltung des Herbert- und Greta-Wehner-Platzes geschehen. Die Telekom hat zu dieser Zelle aber keine konkrete Aussage zum möglichen Rückbau getroffen, sodass die Säule in der Fläche integriert blieb“, teilt das Bezirksamt auf Abendblatt-Nachfrage mit.
In Harburg wird der Rückbau besonders lange dauern
In Hamburg stehen nach Schätzungen aktuell noch etwa 400 unbrauchbare Telefonzellen-Stehlen, berichtete die Hamburger Morgenpost zuerst. Doch wer nun glaubt, diese würden einfach so zurückgebaut – der täuscht sich. „Defekte oder durch Vandalismus beschädigte werden bis zu ihrem Abbau nicht mehr repariert“, heißt es von der Telekom. Und für den Rückbau lässt man sich Zeit.
- „Vernichtung erfolgreich“ – Bombe in Harburgs Hafen gesprengt
- Fliegerbombe gefunden: Warum Entschärfung nicht nötig ist
- Fliegerbombe unter Wasser in Harburg erfolgreich entschärft
„Der Abbau der Telefonstellen erfolgt jetzt nach und nach und wird voraussichtlich Anfang 2025 abgeschlossen sein“, so die Telekom, also knapp zwei Jahre nach der Außerbetriebnahme. Es ist aber zu erwarten, dass der Rückbau zumindest in stark durch Kampfmittel belasteten Gebieten wie dem Bezirk Harburg noch länger dauert.
Denn ein mit der Stadt geschlossener Vertrag wurde offenbar bisher nicht gekündigt. „Im Jahr 2000 wurde durch Abschluss eines Rahmenvertrages grundsätzlich die Erlaubnis für das Aufstellen von Telefonanlagen im öffentlichen Raum erteilt, wobei alle einzelnen Standorte bei den jeweils zuständigen Bezirksämtern beantragt und von diesen genehmigt wurden“, heißt es von der Behörde für Mobilität und Verkehr, dieser Vertrag sei auch noch nicht gekündigt und auch nicht der Kündigungswunsch an die Fachbehörde herangetragen worden.
Kampfmittel im Boden? Abbau könnte hohe Kosten für die Telekom verursachen
Als die neuen Telefonzellen mit den Metallstehlen rund um die 2010er-Jahre aufgestellt wurden, habe die Telekom die Anlagen in rund zwei Metern Tiefe im Boden verankert. Kampfmittel gefunden wurden beim Einbuddeln, soweit man es überblicken kann, allerdings nicht. Doch nun scheut die Telekom den Rückbau offenbar. Denn trotz problemlosen Aufbaus muss bei Arbeiten in dieser Tiefe mittlerweile behördlich festgestellt werden, dass sich keine Bomben oder andere Kampfmittel an der Stelle befinden. Und das kostet.
„Bei Tiefbauarbeiten muss die Kampfmittelfreiheit gewährleistet sein. Die Telekom beantragt das bei der Feuerwehr Hamburg. Von dort bekommen wir dann den Nachweis der Kampfmittelfreiheit“, antwortet die Telekom auf Nachfrage. Kampfmittel können beispielsweise Bomben, Granaten oder Munition sein. Ein solcher Antrag kostet je nach Zeitaufwand zwischen 45 und 350 Euro, bei den 400 verbliebenen Telefonzellen ein erheblicher Kostenfaktor.
Immerhin, die zuständige Fachbehörde zeigt sich gesprächsbereit. „Die Deutsche Telekom hat bisher keinen Wunsch zur Kündigung des Rahmenvertrags an uns herangetragen. Daher gibt es aktuell auch keine Vereinbarungen bezüglich erforderlicher Kampfmittelsondierungen. Über erforderliche Kampfmittelsondierungen wäre von den zuständigen Behörden im Einzelfall zu entscheiden“, so die Behörde für Verkehr und Mobilität.
Telefonzellen – kleine Lost Places im urbanen Raum
Immerhin: Nicht alle Telefonzellen sind der blinden Zerstörungswut oder den Hakenkreuzsprühereien wie auf dem Harburger Rathausplatz zum Opfer gefallen. An vielen Orten sind sie stille Zeugen der Zeit und werden immer mehr zu kleinen lebendigen Kunstwerken der Graffiti- und Sprayerszene. Oder sie erhalten ein gänzlich neues Leben als kleine Tauschbörsen oder Mini-Kunstgalerien.