Hamburg. Der Umbau der Verkehrsflächen und die Diskussion um Neubauten hat viele Menschen verärgert. Was im Bezirk Nord noch wichtig ist.
- Bezirksamtsleiter wurde von Cyberkriminellen mit Nacktfotos erpresst
- SPD-Mitglieder kritisierten Bezirksamtsleiter für Fußverkehrsstrategie
- Protest gegen die Bebauung des Naherholungsgebiets Diekmoors
Den Bezirk Nord kennen alle Hamburger: Hier befinden sich der Flughafen, der Stadtpark, die Alster und der Friedhof Ohlsdorf. Und Stadtteile wie Winterhude, Uhlenhorst, Barmbek und Eppendorf sind nicht nur beliebte Wohnviertel, hier kann man auch einen Einkaufsbummel machen, am Wasser relaxen, gut essen gehen (es gibt sogar drei Sterne-Restaurants) oder das Nachtleben genießen.
Seit fünf Jahren ist Michael Werner-Boelz (Grüne) hier Bezirksamtsleiter, davor hatte Harald Rösler (SPD) das Amt bekleidet. Letzterer war seit 1966 im Bezirksamt tätig, von 2012 bis zu seinem Ausscheiden 2018 als dessen Leiter. Am Ende seiner Laufbahn brachte die sogenannte Rolling-Stones-Affäre dann nicht nur ihn in Verruf, sondern auch seine designierte Nachfolgerin Yvonne Nische, die den Posten daher nicht antrat. Stattdessen hievten 2019 Grüne und SPD Werner-Boelz an die Spitze.
Bezirkswahlen 2024: Parkplatzabbau in Hamburg – kommt nun die Quittung?
Derzeit sind die Grünen in Hamburg-Nord mit 19 Sitzen die stärkste Fraktion, gefolgt von der SPD (11) und der CDU (9), Linke und FDP haben jeweils vier Sitze, die AfD zwei Sitze. Mit Petra Sellenschlo und Angelika Traversin sind zwei Mitglieder der Bezirksversammlung über die Jahre fraktionslos geworden.
Laut vorläufigem Wahlberechtigtenverzeichnis (Stand 28. April 2024) können sich am 9. Juni insgesamt 251.582 Menschen an der Bezirkswahl und 237.985 Menschen an der Europawahl beteiligen. Dabei könnte es sein, dass die Grünen die Quittung für den Abbau zahlreicher Parkplätze in Stadtteilen wie Eppendorf und Hoheluft-Ost bekommen.
Bezirk Hamburg-Nord: SPD-Mitglieder kritisierten grünen Koalitionspartner
Aus Sicht einiger SPD-Mitglieder hatte der Bezirksamtsleiter die gemeinsam beschlossene Fußverkehrsstrategie in Hoheluft-Ost „eigenmächtig“ ausgelegt. Der tragischerweise kurz darauf verstorbene SPD-Politiker Sebastian Haffke und seine Genossin Martina Schenkewitz waren in diesem Zusammenhang 2023 öffentlich auf Konfrontationskurs zu Werner-Boelz gegangen, nachdem zahlreiche Bürger und Gewerbetreibende gegen dessen Verkehrspolitik protestiert hatten.
Werner-Boelz, ein bekennender Fußgänger, lobt dagegen die Mobilitätswende im Bezirk: „Ein Alleinstellungsmerkmal des Bezirks ist die Stärkung des Fußverkehrs.“ „Uns von der SPD ging es um Verbesserungen für Fußgänger, nicht darum, die Autofahrer zu vergrätzen und überall Fahrradbügel aufzustellen“, sagt dagegen Thomas Domres, der nach 30 Jahren Bezirkspolitik – die letzten fünf Jahre Vizepräsident der Bezirksversammlung, davor zehn Jahre lang Fraktionschef – nicht wieder antreten wird.
Bezirksamtsleiter in Hamburg-Nord: Cyberkriminelle erpressten ihn mit Nacktfotos
Wegen ihrer Kritik an Werner-Boelz fielen Domres, Haffke und Schenkewitz bei der SPD-Spitze in Ungnade. Es knirschte gewaltig im Getriebe der Fraktion. Seit die Vorsitzende Angelika Bester zurücktrat und einstimmig Lena Otto aus dem Wahlkreis Winterhude als ihre Nachfolgerin gewählt wurde, ist offenbar wieder Ruhe eingekehrt.
Für Werner-Boelz selbst wurde es im Frühjahr 2023 turbulent. Er war von Cyberkriminellen mit Nacktfotos erpresst worden. Anstatt Geld an die Erpresser zu zahlen, ging er an die Öffentlichkeit, gestand seine Scham über seine Leichtfertigkeit ein – und zeigte sich, äußerlich unverdrossen, schnell wieder in der Öffentlichkeit.
Im beruflichen Kontext löste seine Entscheidung, in neuen Bebauungsplänen keine Einfamilienhäuser mehr auszuweisen, einen Aufschrei und ein bundesweites Medienecho aus. Auch hier blieb Werner-Boelz gelassen: „Bezahlbarer Wohnraum ist die zentrale soziale Frage in Metropolen. Wenn 40 bis 50 Prozent oder mehr des Nettohaushaltseinkommens für die Miete aufgebracht werden müssen, dann leidet die soziale Teilhabe darunter.“
Diekmoor in Langenhorn: Bau von 700 neuen Wohnungen sorgt für Protest
Ebenso unverdrossen handelte er hinsichtlich der Bebauung des Diekmoors. Als sich abzeichnete, dass es Protest gegen den Bau von 700 Wohnungen inmitten der Naherholungsfläche geben dürfte, bat er den Senat 2021, ihn zur Umsetzung des Projektes anzuweisen.
Zur Bezirkswahl 2024 in Hamburg fühle sich die SPD angesichts des Unmuts vieler Bürger und Bürgerinnen über das oft als ideologisch bezeichnete Handeln der Grünen „besser aufgestellt als letztes Mal“, sagt Thomas Domres. „Der grüne Hype ist abgeklungen.“ Auch die neue Fraktionsvorsitzende Lena Otto ist zuversichtlich: „Viele der aktuell noch aktiven Abgeordneten kandidieren am 9. Juni nicht erneut, sodass wir nach der Wahl viele neue Gesichter in der Fraktion haben werden und somit einen guten Mix aus Erfahrung und frischen Ideen.“ Wer dann den Vorsitz übernimmt und wer welche Sprecherrollen, werde sich zeigen.
Bezirkswahl 2024: Grüne wollen wieder stärkste Kraft in Hamburg-Nord werden
Doch die Grünen wollen wieder stärkste Kraft in Hamburg-Nord werden. „Wir wollen die erfolgreiche Arbeit der vergangenen fünf Jahre als stärkste Kraft und auch die seit zehn Jahren erfolgreiche Zusammenarbeit mit der SPD fortsetzen – und die begonnenen Projekte weiterführen“, sagt Fraktionschef Timo B. Kranz.
Zu den wichtigsten Projekten aus dem Grünen-Wahlprogramm gehöre, weiter Voraussetzungen für (vor allem günstigen und nachhaltigen) Wohnraum zu schaffen und dabei auch Handel und Gewerbe zu berücksichtigen, Verbesserungen für Fußgänger umzusetzen, Velorouten und das Fahrrad-Parken auszubauen – und in Langenhorn fahrerlose Kleinbusse einzuführen, die die Bürger innerhalb von fünf Minuten zu Hause abholen und zur U1 bringen.
Grünen-Fraktion in Hamburg-Nord akzeptiert runden Tisch zum Verkehr
Außerdem sollten viele Aspekte aus dem Stadtpark-Gutachten umgesetzt werden, etwa Verbesserungen bei Beleuchtung und Toilettensituation, aber auch ein runder Tisch, der sich mit allgegenwärtigen Problemen wie Vermüllung und Lärm befassen würde. Hinsichtlich der Förderung von Sport und Kultur wolle man die Chancen nutzen, die sich durch die Umbauten von Kampnagel und Goldbekhaus bieten.
Um die Situation in Eppendorf und Hoheluft-Ost zu befrieden, haben sich die Grünen einem Antrag der SPD angeschlossen, mit der gemeinsamen Forderung nach einem runden Tisch. „Die im Rahmen der Umsetzung der Fußverkehrsstrategie Hoheluft-Ost vorgenommenen Maßnahmen zur Umgestaltung des Straßenraumes“ würden „teilweise vollständig abgelehnt“, heißt es darin. Zwar werden Verbesserungen für Fußgänger und Fußgängerinnen demnach „sehr häufig gelobt“. Um aber „eine höhere Akzeptanz“ bei den Bürgern und Bürgerinnen zu erreichen, sei ein Dialog in einem geeigneten Format erforderlich.
Das vor allem von Bezirksamtsleiter Werner-Boelz forcierte und bei vielen umstrittene Vorhaben, nämlich der Bau von 700 Wohnungen im Naherholungsgebiet Diekmoor, findet sich in den Wahlprogrammen beider Parteien eher als Randnotiz. Die Grünen wollen die geplante Entwicklung der Flächen nutzen, „um ökologische Verbesserungen für den Bornbach und das Regenrückhaltebecken zu erreichen“, um diese besonders durch die Erderhitzung bedrohten Feuchtlebensräume widerstandsfähiger zu machen.
CDU-Fraktion: Andreas Schott tritt 2024 nicht wieder zur Wahl an
Die CDU-Fraktion will bei der Bezirkswahl 2024 mit einem neuen Vorsitzenden in die Bezirksversammlung ziehen. Nach 20 Jahren gibt Andreas Schott sein Ehrenamt an der Fraktionsspitze an Martin Fischer ab. Neben Beruf und Familie nennt Schott als Grund, sich zurückzuziehen, auch aufgrund der veränderten Situation durch die sozialen Medien: „Es gibt heute mehr Wutbürger, die einem das Leben schwer machen.“
Die CDU Hamburg-Nord greift in ihrer Agenda die alte Forderung nach Alsterfähren im HVV-Tarif auf, will sich für besser beleuchtete Fuß- und Radwege einsetzen, für mehr öffentliche Toiletten in Parks, für Bürgerhäuser in Fuhlsbüttel und Langenhorn, für den vierspurigen Ausbau des Nedderfelds und für die Ausdehnung von Car-Sharing und Moia bis an die nördliche Stadtgrenze.
Die FDP will unter ihrem langjährigen Vorsitzenden Claus Joachim Dickow erneut in die Bezirksversammlung einziehen – und sich dort unter anderem für eine höhere Bebauung an den Magistralen (etwa an Bramfelder Straße, Alsterkrugchaussee oder Langenhorner Chaussee) einsetzen: Würde dort statt der momentan häufig zweistöckigen Altbebauung vier- oder fünfgeschossig gebaut, könne man Grüngebiete wie das Diekmoor oder das Raakmoor freihalten. Außerdem will sich die FDP für wohnortnahe Gewerbegebiete und Schulen in Groß Borstel und im Pergolenviertel einsetzen
Hamburg-Nord: Linke hofft auf viele Stimmen, um AfD zurückzudrängen
Die Linke will sich laut Wahlprogramm für soziale Gerechtigkeit in allen Bereichen einsetzen, um Verbesserungen für die Menschen zu erreichen und damit auch die AfD zurückzudrängen, sagt der Fraktionsvorsitzende Marco Hosemann. Konkret werde man für mehr bezahlbaren Wohnraum im Bestand und auf bereits versiegelten Flächen eintreten – statt auf Kosten von Grünflächen und Klimaschutz. Außerdem wollen sich die Linken im Bezirk Hamburg-Nord für eine gute medizinische Versorgung in allen Stadtteilen, eine nachhaltige Mobilität durch Verbesserung und Ausbau von Fuß- und Radwegen sowie die Stärkung der Stadtteilkultur einsetzen.
Mehr zur Bezirkswahl 2024
- Drogen, Lärm, Wohnraum: Das bewegt Hamburg-Mitte vor der Wahl
- Was Sie über die Wahlen am 9. Juni in Hamburg wissen müssen
- „Stadtstaat“ Altona: Wie Hamburgs Westen vor der Wahl tickt
Die AfD gibt sich zur Bezirkswahl 2024 siegesgewiss: „Bisher haben wir im Bezirk Hamburg-Nord keine Fraktionsstärke erreichen können, dies soll sich mit der kommenden Wahl am 9. Juni ändern“, sagt Vorstandsmitglied Michael Schumann. Man wolle dann unter anderem das Verbot, Einfamilienhäuser zu bauen, aufheben, den Bezirklichen Ordnungsdienst wieder einführen, den Migrationsnotstand ausrufen, „freie Fahrt für freie Bürger“ erreichen und das Anwohnerparken abschaffen.
Bezirkswahl 2024 in Hamburg-Nord: Bezirksamt zieht in City Nord
Zu den wichtigen Themen in Hamburg-Nord wird in den kommenden Jahren auch der geplante Umzug des Bezirksamtes in die City Nord gehören. Ursprünglich sollte es Barmbek-Süd werden, doch die Baukrise hatte die Pläne für einen Neubau am Wiesendamm zunichtegemacht. Der Umzug in das Arne Jacobsen Haus sei für das Bezirksamt ein zentraler Baustein für ein attraktives Arbeitsumfeld, so Werner-Boelz, der schon zu Beginn seiner Amtszeit die Verwaltung modernisieren wollte. Dabei habe man auch schon viel erreicht, sagt der Bezirksamtsleiter.