Hamburg. Hier regiert mit der Deutschlandkoalition ein für Hamburg „einmaliges Konstrukt“ – noch. Für wen es nun besonders spannend wird.
Im Bezirk Hamburg-Mitte sind am 9. Juni zur Wahl der Bezirksversammlung rund 205.800 Bürger aufgerufen. Die Abgeordneten werden wieder für fünf Jahre gewählt. Seit November 2019 regiert dort eine Deutschlandkoalition aus SPD, CDU und FDP. „Ein für Hamburg einmaliges Konstrukt“, sagt CDU-Fraktionschef Gunter Böttcher im Gespräch mit dem Abendblatt.
Mit am Tisch im Cloud One Hotel an der Willy-Brandt-Straße sitzen die Fraktionsvorsitzenden Timo Fischer (FDP) und Oliver Sträter (SPD). „Die Deutschlandkoalition arbeitet sehr konstruktiv und vertrauensvoll zusammen. Dabei begegnen wir uns auf Augenhöhe“, betont Sträter. „Wenn es mal Meinungsverschiedenheiten gibt, dann werden diese geräuschlos geregelt.“ Und Böttcher ergänzt: „Nicht einmal musste der Koalitionsausschuss tagen, der bei Konflikten zum Einsatz kommen würde.“
Bezirkswahlen 2024: Deutschlandkoalition hat derzeit komfortable Mehrheit
Mit 28 von 50 Sitzen hat die Deutschlandkoalition eine komfortable Mehrheit in der Bezirksversammlung Mitte. Die SPD stellt 19 Abgeordnete, die CDU sechs und die FDP drei. In der Opposition sind die Grünen mit elf Sitzen, die Linken mit sieben Sitzen und die AfD mit vier Sitzen vertreten.
Dabei war es nicht die SPD mit ihren 27 Prozent, sondern es waren die Grünen, die mit 29,3 Prozent stärkste Kraft bei den Wahlen zum Bezirksparlament 2019 wurden. Doch die Wahlgewinner zerstritten sich, und so gründeten sechs Fraktionsmitglieder für kurze Zeit die „Grüne 2-Fraktion“, um dann geschlossen zur SPD zu wechseln.
Hamburg-Mitte: SPD, CDU und FDP wollen bezahlbaren Wohnraum schaffen
Damit waren die Mehrheiten für eine Deutschlandkoalition gegeben. Fraktionschef Sträter zieht ein positives Resümee: „Wir haben viel gemeinsam für Hamburg-Mitte bewegt. Mir fällt dabei als Erstes das bezirkliche Wohnungsbauprogramm ein, da haben wir die Ziele von 1400 neuen Wohnungen pro Jahr zeitweise sogar übererfüllt, auch bei Sozialwohnungen.“
Bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und Quartiere nachzuverdichten, sei auch für die kommende Legislaturperiode ein wichtiges Thema, so Sträter weiter. Dem schließen sich Fischer, der seit dem Einzug in die Bezirksversammlung 2019 sein erstes politisches Amt innehat, und Böttcher, der seit 1997 Kommunalpolitik macht, an.
„Wichtig ist, dass wir auch lebenswerte neue Wohnquartiere wie die Gartenstadt Öjendorf erschließen, dort sollen bis zu 2200 Wohneinheiten entstehen, davon bis zu 425 in Reihenhaustypologie sowie bis zu 130 Einfamilienhäuser und vergleichbare Einzelhaustypologien“, sagt Böttcher.
Hamburger City: Koalition im Bezirk Mitte will Innenstadt beleben
Den drei Koalitionspartnern ist zudem die weitere Belebung der Innenstadt ein Herzensanliegen. „Auch in der City brauchen wir mehr Wohnungsbau, so werden die Quartiere dort auch nach Feierabend oder am Wochenende lebendiger“, sagt Fischer, der zudem für eine „bessere Durchmischung“ in der Innenstadt plädiert.
„Es steigert die Attraktivität, wenn neben Ladenflächen auch Kunst und Kultur stattfindet oder sogar der ein oder andere Club einzieht“, sagt Fischer.
St. Pauli: Deutschlandkoalition hat Nachtbeauftragten für Kiez eingesetzt
Gastronomie und Clubs eine Bühne zu geben, Außengastronomie zu fördern und dabei aber auch den Schutz der Anwohner im Auge zu haben, das hat in der aktuellen Legislaturperiode ebenso eine wichtige Rolle für die Koalition gespielt. In Mitte liegen Gastro-Hot-Spots wie St. Georg, St. Pauli und Teile der Schanze.
Gerade wurde auf Initiative der Deutschlandkoalition ein sogenannter Nachtbeauftragter für den Kiez präsentiert, der als Mittler zwischen Anwohnern und Gastronomen agieren soll. „Clubkultur zu stärken und Anwohner vor Lärm zu schützen, wird auch in der nächsten Legislatur ein wichtiges Thema sein“, sagt SPD-Mann Oliver Sträter.
Hamburger Hauptbahnhof und Umfeld vom Drob Inn bleiben Brennpunkte
Ein Brennpunkt in Mitte sind der Hauptbahnhof und die benachbarte Grünfläche vor dem Drogenberatungszentrum Drob Inn. Dort, im August-Bebel-Park, wurde vor Kurzem ein Sichtschutz aufgestellt, um für die Drogenszene einen eigenen Raum zu schaffen.
Um die dramatische Lage am Hauptbahnhof, wo es vor allem Probleme mit der Trinkerszene gibt, zu entspannen, gilt dort zum Beispiel seit Kurzem ein Alkoholverbot. Zudem sind Sozialraumläufer im Einsatz. Sozialdemokrat Sträter, der selbst in St. Georg wohnt, betont, dass schon viel passiert sei rund um den Hauptbahnhof, auch in Bezug auf zusätzliche sozialpolitische Angebote.
Bezirkswahlen 2024: Bleibt Deutschlandkoalition im Bezirk Hamburg-Mitte?
In diesem Fall hält CDU-Mann Böttcher jedoch dagegen: „Es muss vor Ort noch viel mehr getan werden, damit die Bürger und Gäste dieser Stadt auch im Bereich des Hauptbahnhofs und am Museum für Kunst und Gewerbe sowie an der Bücherhalle, die im Umfeld des Drob Inn liegen, wieder sicherer sind.“
Die Themen im Bezirk Mitte werden auch nach der Wahl bleiben – aber wird es dann auch wieder eine Deutschlandkoalition geben? Oliver Sträter sagt: „Das hängt ganz vom Wahlergebnis ab, erst mal macht jetzt jeder für sich Wahlkampf bis zum 9. Juni.“ Fest steht, dass Sträter, Böttcher und Fischer wieder als Spitzenkandidaten ihrer Parteien antreten. Insgesamt buhlen in der SPD 98, in der CDU 64 und in der FDP 26 Kandidaten um die Stimmen der Wähler.
Die Grünen schicken Theresa Rothberg als Spitzenkandidatin ins Rennen
Die Grünen gehen unterdessen mit Spitzenkandidatin Theresa Rothberg ins Rennen. Der amtierende Fraktionschef Manuel Muja, der aktuell noch eine Doppelspitze mit Henrike Wehrkamp bildet, kandidiert auf Platz 2.
Was hat sich die Partei für die nächsten fünf Jahre vorgenommen? „Als Grüne schlagen wir in unserem Wahlprogramm eine Vielzahl von Maßnahmen vor, um wichtige Ziele wie mehr bezahlbaren Wohnraum, effektiven Klimaschutz sowie die Mobilitätswende umzusetzen“, sagt Muja.
Ein Thema, das dem 32 Jahre alten Politikwissenschaftler außerdem besonders am Herzen liege, sei, die Beteiligung der Anwohner zu stärken. Das gelte sowohl bei Stadtentwicklungsthemen als auch bei der Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen. „In all unseren Stadtteilen engagieren sich viele Menschen für ihre Nachbarschaft“, sagt Muja.
Bezirksamtsleiter Ralf Neubauer pflegt engen Kontakt zur Deutschlandkoalition
Bezirksamtsleiter in Mitte ist seit dem 17. November 2021 SPD-Politiker Ralf Neubauer. Der Jurist, der auf Falko Droßmann (SPD) folgte, pflegt nicht nur mit der Deutschlandkoalition einen engen Austausch. Auch mit der Opposition gibt es regelmäßige Gespräche. „Mir ist es wichtig, mich mit den Fraktionen auszutauschen. Es sollen alle mit eingebunden werden in die Themen, die Mitte beschäftigen“, sagt Neubauer.
Da auch die Innenstadt, der Brennpunkt Hauptbahnhof und prominente Stadtteile wie St. Pauli und St. Georg zu seinem Revier zählen, ist Neubauer häufig in den Medien präsent und wird von vielen in der Rolle des Machers wahrgenommen. So zum Beispiel auch bei der Billstraße. Dort greift Neubauer seit einem Großbrand auf einem Autohof im April vergangenen Jahres regelmäßig mit Razzien durch, gründete eine Taskforce und hat es sich zum Ziel gemacht, Missstände wie zum Beispiel illegale Wohnunterkünfte auszuheben.
Hamburg-Mitte: SPD stellt seit Jahrzehnten den Bezirksamtsleiter
„Es gibt auch in der kommenden Legislatur viele Themen, die wir anfassen oder weiter verfolgen müssen. Das führt nur zum Erfolg, wenn Verwaltung und Politik wie bisher vertrauensvoll und effizient zusammenarbeiten“, sagt der frühere SPD-Bürgerschaftsabgeordnete.
Dass die SPD in Mitte den Bezirksamtsleiter stellt, ist seit Jahrzehnten Tradition. Aber was passiert nach der Wahl am 9. Juni? Ralf Neubauers Amtszeit geht eigentlich bis zum 9. Januar 2028 – doch sollten sich die Mehrheiten in der Bezirksversammlung ändern, könnte das auch für ihn ein Problem werden.
Bezirkswahlen 2024 in Hamburg: Abgeordnete könnten Neubauer abwählen
Denn die Bezirksversammlung kann theoretisch einen amtierenden Bezirksamtsleiter abwählen. Bislang läuft es gut: Zur Zusammenarbeit mit Bezirksamtsleiter Neubauer äußert sich nicht nur Parteifreund Sträter positiv, auch Böttcher und Fischer betonen, es gebe mit Neubauer eine äußerst konstruktive Zusammenarbeit.
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Und nach Abendblatt-Informationen hat Neubauer intern bereits signalisiert, Interesse an einer zweiten Amtszeit, über 2028 hinaus, zu haben. Dafür müsste er dann noch einmal neu von der Bezirksversammlung gewählt werden. Sollte die SPD wieder stärkste Kraft in Hamburg-Mitte werden, dann dürfte an Neubauers Stuhl nicht geruckelt werden.