Hamburg. Der Nabu und die Wohnungswirtschaft unterstützen die Pläne der grün-roten Koalition im Bezirk Nord. Die Opposition läuft Sturm.
Wird es in Hamburg künftig kaum noch oder gar keine neuen Einfamilienhäuser mehr geben? Erstmals hat sich ein Bezirk dafür ausgesprochen, in Zukunft auf die platzintensiven Bauten zu verzichten. Die Koalitionsvereinbarung von Grünen und SPD in Nord schreibt dies nun erstmals fest, wie bereits berichtet. „In neuen Bebauungsplänen werden keine Einfamilienhäuser mehr ausgewiesen“, heißt es darin.
„Wir brauchen dringend bezahlbaren Wohnraum, um die wachsende Nachfrage zu befriedigen“, sagt Michael Werner-Boelz, Chef der Grünen-Bezirksfraktion, der mittlerweile stärksten politischen Kraft in Nord. „Gleichzeitig haben wir nur noch wenige Konversionsflächen. In der Konsequenz muss man mit dem vorhandenen Boden ressourcenschonend und effizient umgehen. Im Geschosswohnungsbau können wir einfach deutlich mehr Familien oder Wohnungssuchenden auf der gleichen Grundstücksfläche ein neues Zuhause bieten als in Einfamilienhäusern. Das dient auch dem Grünerhalt.“
Grüne, SPD und Nabu gegen neue Einfamilienhäuser
Dass die Grünen das langsame Ende des Einfamilienhauses auch für ganz Hamburg langfristig für sinnvoll halten, macht auch Landeschefin Anna Gallina deutlich. Man wolle das Grün schützen und zugleich bezahlbaren Wohnraum schaffen. Um beides zu erreichen, „bieten sich Einfamilienhäuser nicht gerade an“, so Gallina.
Unterstützt werden die Grünen in dieser Argumentation vom Naturschutzbund Nabu. „Wir haben mit der Stadt gerade den Grünerhalt vereinbart“, sagt Nabu-Chef Alexander Porschke. „Wenn man vorhandene Flächen für den Bau von Einfamilienhäusern nutzt, begrenzt das die Möglichkeiten, in der Zukunft bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Deswegen sind wir gegen den Bau von Einfamilienhäusern in Hamburg.“
Die SPD hat den künftigen Verzicht in Nord zwar mitgetragen. Von einem Ausschluss für ganz Hamburg will man in der Parteiführung aber erst einmal nichts wissen. „Die SPD Hamburg hat die ganze Stadt im Blick, so auch die Wünsche der Hamburgerinnen und Hamburger nach unterschiedlichen Wohnformen“, sagte SPD-Landeschefin Melanie Leonhard. „Wir entwickeln sowohl die innere Stadt mit der Schaffung von neuen geförderten und frei finanzierten Miet- und Eigentumswohnungen als auch große Gebiete wie zum Beispiel Oberbillwerder, wo es einen Angebotsmix von unterschiedlichen Gebäuden wie Ein- und Zweifamilienhäusern und auch Stadthäusern geben wird. Der Mix sorgt dafür, dass sich in neu entwickelten Gebieten auch die Vielfältigkeit Hamburgs widerspiegelt.“
CDU: Rot-grün zerstört Wohntraum
Die CDU dagegen übt scharfe Kritik an der grün-roten Vereinbarung in Nord. „Wenn SPD und Grüne im Bezirk Nord den Bau von Einfamilienhäusern jetzt per Koalitionsvertrag verbieten, zerstören sie den Wohntraum vieler junger Familien“, sagt CDU-Bürgermeisterkandidat Marcus Weinberg. „Einfamilienhäuser gehören genauso zum Stadtbild, insbesondere in den Außenbezirken, wie Altbauwohnungen oder moderne Neubauten. Wollen wir junge Familien nach Hamburg holen oder sie in Hamburg halten, können wir diese attraktive Wohnform nicht ausschließen.“
FDP-Fraktionschef Michael Kruse sieht das ähnlich. „Viele junge Familien wünschen sich ein Eigenheim und auf manchen Flächen sind auch nur Einzelhäuser möglich und sinnvoll“, so Kruse. „Anstatt diese zu verbieten, sollte die Stadt alles in ihrer Macht Stehende tun, um auch solche Bauformen möglichst vielen Menschen zu ermöglichen.“
Wohnungswirtschaft unterstützt Pläne
Torsten Flomm, Vorsitzender des Grundeigentümer-Verbandes Hamburg, räumt dagegen ein, dass es „das Einfamilienhaus in der Großstadt schwer hat“, weil Wohnraum gebraucht werde. „Ich denke, dass sich Hamburg auf freien Flächen den Bau von Einfamilienhäusern gar nicht mehr leisten kann“, so Flomm. „Es ist objektiv so, dass man, wo mehr draufgeht, auch mehr draufbauen soll“, sagt Flomm. Andererseits seien Einfamilienhäuser eine Wohnform, die nachgefragt werde und die die Menschen wollten. Werde der Bau von Einfamilienhäusern im Stadtgebiet verboten, dann müssten die Menschen ins Umland ausweichen, um dort ihren Traum vom eigenen Häuschen zu verwirklichen.
Dann müssten sie aber zur Arbeit in die Stadt pendeln, was wiederum die Verkehrsprobleme verstärke. Flomm sagt aber auch: „Ich glaube, dass es das klassische Einfamilienhaus auf 500- bis 800-Quadratmeter-Grundstücken langfristig nicht mehr geben wird.“ Der Bedarf an Wohnungen sei groß, und für Bauträger sei es attraktiver, auf einem Grundstück drei Objekte zu verkaufen als eines.
„Wer wirklich die Not der Wohnungssuchenden lindern will, der muss größer denken und vor allem mehrgeschossige Wohnhäuser errichten“, sagt auch Andreas Breitner, Direktor des Verbands norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW). Deshalb halte er den Ansatz der Lokalpolitik für richtig. „Allerdings lehrt die Alltagserfahrung, dass zu starre Regelungen manchmal kontraproduktiv sind.“ Manche Grundstücke seien so beschaffen, dass sie sich nur für Ein- oder Zweifamilienhäuser eigneten.
Die meisten Einfamilienhäuser gibt es im Bezirk Wandsbek
Auch Axel-H. Wittlinger, Chef des Immobilienverbandes Deutschland IVD, Region Nord, setzt auf Verdichtung: „Hamburg muss wachsen, wir müssen dichter werden.“ In bestehenden Quartieren mit gültigen Bebauungsplänen gebe es weiterhin die Möglichkeit, Einfamilienhäuser zu bauen oder zu bewohnen. Wittlinger betont, dass man auch im Geschosswohnungsbau Eigentum erwerben könne, es müsse nicht unbedingt ein Einfamilienhaus sein: „Das abbezahlte Eigenheim ist die beste Altersvorsorge.“
Laut Statistikamt Nord gab es Ende 2018 im Hamburger Stadtgebiet 252.751 Wohngebäude, davon waren 150.328 Einfamilienhäuser (mit einer Wohnung). Die meisten Einfamilienhäuser gibt es im Bezirk Wandsbek mit 55.350, gefolgt von Altona (22.312). Eimsbüttel (17.351), Harburg (17.243), Bergedorf (14.991), Nord (13.077) und Mitte (10.004). Im jetzt betroffenen Bezirk Nord gibt es die mit großem Abstand meisten Einfamilienhäuser im Stadtteil Langenhorn (7055).
Wer ein altes Einfamilienhaus abreißen und an gleicher Stelle ein neues bauen will, kann das übrigens weiterhin tun. „Es geht nur um künftige Bebauungspläne“, sagt Alexander Kleinow, SPD-Fraktionschef im Bezirk Nord. Für bereits gültige Bebauungspläne gelte Bestandsschutz, „das bleibt geltendes Recht“.